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Die Straße entscheidet
Das Militär im Sudan hat geputscht. Die Revolution steht auf dem Spiel
Es ging alles ganz schnell: Am vergangenen Montag nahmen Spezialeinheiten der Armee den Ministerpräsidenten Abdalla Hamdok fest und brachten ihn ins Haus des obersten Generals Abdel Fattah al-Burhan. »Aus Sicherheitsgründen«, so der General, »und um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, mussten wir diese Maßnahmen ergreifen.« In einer offiziellen Stellungnahme am Dienstag prangerte der General vor laufenden Kameras die Großdemonstrationen an, die in den vergangenen Wochen im ganzen Land stattfanden. Das Zynische daran: Die Demonstranten hatten gegen eine immer größere Einflussnahme des Militärs auf die Politik protestiert und vor einem drohenden Staatsstreich gewarnt.
Mittlerweile ist der Premier wieder in seinem eigenen Zuhause, doch die Macht ist weiter in den Händen der Militärs. Dieses verspricht, an den geplanten Wahlen im Sommer 2023 festzuhalten. Doch daran scheint kaum jemand Land zu glauben. Die sudanesische Bevölkerung, das ist offensichtlich, ist nicht bereit, diesen Putsch kampflos hinzunehmen. »Die Menschen protestieren aber nicht nur gegen den Staatsstreich«, so Almuntasir Ahmed im Gespräch mit dem »nd«. »Sie protestieren auch gegen die Dummheit und Korruption mancher Revolutionäre, die über die vergangenen Monate mit dem Militär angebändelt haben«, sagt Ahmed, der ein Sprecher der revolutionären Gewerkschaftsbewegung Sudanese Professionals Association ist.
Brennende Reifen, demonstrierende Massen, das Geheul der Sirenen, das sind die Bilder, die es aus dem Sudan rausgeschafft haben. Mindestens drei Menschen haben seit Montag ihr Leben verloren, über 80 wurden schwer verletzt. Das Internet funktioniert nur phasenweise, der Flughafen ist dicht, die Wut der Menschen macht sich breit. Der Putsch kam keineswegs überraschend. »Wir wussten, dass dieser Tag kommen würde«, sagt Almuntasir Ahmed, »leider waren die Bevölkerung und vor allem die revolutionären Kräfte aufgrund innerer Streitigkeiten nicht fähig, abwendende Maßnahmen zu ergreifen.«
Die Drahtzieher
Das Militär selbst hatte im April 2019 für die Absetzung des langjährigen Präsidenten Omar al-Baschir gesorgt. Sie reagierten damit auf eine Protestwelle, die im Dezember davor durch eine Verdreifachung der Lebensmittelpreise ausgelöst wurde. Es wurde ein Übergangsrat aus Militärs und Zivilisten eingerichtet, der das 44-Millionen-Einwohner-Land in drei Jahren zu freien Wahlen führen sollte. Der Rat sollte zusammen mit anderen staatlichen Institutionen Wirtschaft und Verwaltung übernehmen, während im Hintergrund nach 30 Jahren Diktatur eine demokratische Infrastruktur entwickelt werden sollte, auf die das Land dann langfristig bauen könnte. So zumindest der Plan.
Die USA strichen Sudan im vergangenen Dezember von ihrer Liste der Terrorunterstützer als Anerkennung für die Fortschritte und das Friedensabkommen mit Israel. Obwohl damit die Sanktionen wegfielen, kämpfte die Normalbevölkerung mit den Folgen eines drastischen Währungsverfalls, der auch die Güter des täglichen Bedarfs massiv verteuerte. Allein im September betrug die Inflationsrate laut Regierungsangaben 388 Prozent. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung lebt unter der von der Weltbank festgelegten Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar am Tag.
Die Drahtzieher des Putsches sind die beiden ansonsten konkurrierenden Generäle Abdel Fattah al-Burhan und Mohammed Hamdan Dagalo, Spitzname »Hemeti«. Sie hätten sich darauf geeinigt, die Macht in Zukunft zu teilen. Denn während al-Burhan an der Spitze der regulären Streitkräfte steht und politisch eher mit Ägypten und den USA liebäugelte, kommandiert Hemeti paramilitärische Spezialeinheiten, die Rapid Support Forces (RSF), auch Dschandschawid – berittene Teufel – genannt. Sie werden im Darfur-Konflikt im Westen seit 2003 für den Tod mehrerer zehntausend Menschen verantwortlich gemacht. Die Dschandschawid wurden 1987 gegründet und 2013 in die RSF integriert, weil al-Baschir sich vor einem Militärputsch fürchtete und ein militärisches Gegengewicht errichten wollte, um seine Macht zu schützen. »Dagalo und Burhan sind wie ein altes Ehepaar«, so Ahmed. »Sie können nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Das Militär wird das offizielle Gesicht dieses Staatsreichs spielen, und die RSF im Hintergrund die Drecksarbeit erledigen.« Unterstützt wird General al-Burhan laut Ahmed vor allem von ehemaligen Angehörigen des Baschir-Regimes.
Massenprotest am Wochenende geplant
Die USA haben bereits angekündigt, eine dringend benötigte Hilfszahlung von 700 Millionen US-Dollar auszusetzen. Am Mittwoch hat die Afrikanische Union beschlossen, das Land aus dem Bund auszuschließen, bis es auf den Pfad der Demokratie zurückkehrt. Hochrangige sudanesische Diplomaten aus 27 Ländern, darunter die Botschafter aus Paris, New York und Abu Dhabi, haben eine gemeinsame Stellungnahme unterschrieben, in der sie unterstreichen, dass sie weiter Abdalla Hamdok als Premierminister anerkennen. Bislang wurden fünf der Unterzeichner entlassen.
Die sudanesische Revolution gegen Ex-Diktator Al-Baschir hatte sich vor allem durch eine hervorragende Organisation der Bevölkerung ausgezeichnet, die sich nur so gegen den allgegenwärtigen Sicherheitsapparat des Diktators durchsetzen konnte. Fast jede Region, jede Nachbarschaft hatte ein revolutionäres Komitee, die zusammen mit den mächtigen Gewerkschaften kooperieren. Auf dieses Netzwerk greifen die Menschen nun auch in dieser Situation zurück.
Eine wichtige Rolle spielen auch die diversen Rebellengruppen vor allem in den Regionen Darfur, Blauer Nil und Südkordofan. Das Abkommen von Juba 2020, durch das die post-revolutionäre Regierung mit einigen Gruppen wie der SPNL-A einen Friedensprozess einleiten konnte, droht nun zu zerfallen. Andere Gruppen, die sich gerade erst verhandlungsbereit gezeigt haben, haben mit einem Boykott der Gespräche gedroht, sollte das Militär die Übergangsregierung nicht wieder installieren.
»Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Am Ende des Tages wird der Putsch aber nicht jene Erwartungen erfüllen, die General Burhan selbst hatte«, sagt Almuntasir Ahmed. »Er hat jetzt die Macht, die große Frage ist: Wie lange und wie konsequent werden die Leute dagegen protestieren, denn am Ende entscheidet im Sudan die Straße.« An diesem Samstag ist eine große Demonstration geplant, laut Berichten soll es die größte in der Geschichte des Landes werden.
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