- Politik
- Flüchtlinge in Belarus und Polen
Menschenrechte mit Füßen getreten
Flüchtlingshelfer Axel Grafmanns über die Lage im belarussisch-polnischen Grenzgebiet
Sie sind derzeit für Ihren Verein im belarussisch-polnischen Grenzgebiet und leisten hier Hilfe für Schutzsuchende. Wie kam es dazu?
Unser Verein »Wir packen es an« hat im brandenburgischen Bad Freienwalde nahe der polnischen Grenze seinen Hauptsitz. Als wir mitbekamen, was an der belarussisch-polnischen Grenze mit den Geflüchteten passiert, war uns klar, dass wir da nicht nur zuschauen können. Ich hatte in einem Interview von Aktivisten von Ort gehört, dass sie mehrere Dinge benötigen. Wir nahmen daraufhin mit ihnen Kontakt auf.
Was haben Sie ins Grenzgebiet gebracht?
Wir wollten nichts hinschicken, was nicht wirklich gebraucht wird, von daher hatten wir uns mit den aktiven Gruppen vor Ort abgesprochen. Wir brachten dann am Mittwoch mit einem Lkw unter anderem 120 Winterschlafsäcke, 1000 Rettungsdecken, Winterkleidung, 200 Paar Schuhe, hochkalorienhaltige Nahrung und 5000 Müsliriegel sowie Powerbanks und Handy-Ladekabel, damit die Menschen auch ihren Verwandten mitteilen können, dass sie noch am Leben sind.
Woher stammte das Material?
Wir hatten innerhalb kürzester Zeit über eine Spendenaktion 14 000 Euro erhalten und konnten damit das meiste finanzieren. Parallel lief noch bei uns eine Winterhilfsaktion für Geflüchtete in Griechenland und Bosnien-Herzegowina, davon hatten wir im Lager auch noch einige Bestände an Material.
Wie ist die Lage im Grenzgebiet?
Zuerst hatte ich ein Großteil der Güter in ein zentrales Lager bei Białystok gebracht. Hilfsbereitschaft ist auch in Polen vorhanden, einiges war bereits da, anderes jedoch nicht. Wir sind dann noch näher an die Grenze herangefahren und haben dort weitere Gruppen unterstützt, die den Flüchtenden helfen wollen. Die waren sehr glücklich über unser Material, hier waren die Lager ziemlich leer.
Wie geht es den Schutzsuchenden?
Wir hatten bisher vor allem mit Aktivisten Kontakt. Die beschrieben uns, dass viele Geflüchtete unterkühlt und hungrig sind, auch Wasser fehlt. Viele Kinder sind dazu im Grenzgebiet, die Helfer befürchten, dass es bei Frosttemperaturen Tote geben könnte. Alle Beobachter berichten von Pushbacks, es gibt mittlerweile auch Versuche von Aktivisten, bei den Menschenrechtsverletzungen zu intervenieren oder diese zu dokumentieren. Die Polizei hat jedoch an der Grenze eine Kontrollzone eingerichtet und lässt hier Auswärtige nicht so einfach hinein. Wir haben dazu gehört, dass die Entwicklungen vor Ort sehr von dem individuellen Verhalten der Beamten abhängig sind. Einige haben auch Skrupel, Schutzsuchende wieder zurückdrängen zu müssen.
Wie viele Menschen sind vor Ort?
Wir haben Berichte gehört, wonach es zwischen 8000 und 15.000 sein sollen. Genau wissen wir es nicht, aber es dürften mindestens einige Tausend sein.
Und wer koordiniert die Hilfe?
Es gibt eine Vielzahl von kleinen Vereinen und Gruppen, die vor Ort aktiv sind. Nicht alle davon sind hauptsächlich in der Flüchtlingshilfe engagiert, jüngst sprach ich beispielsweise mit einer Gruppe von Theater- und Kulturschaffenden. Sie sagten uns, dass sie einspringen, weil der Staat seine Aufgabe nicht wahrnimmt. Die meisten Helfer sind in dem Bündnis »Grupa Granica« vereint. Generell ist es eine sehr heterogene Struktur – Aktivisten und die lokale Bevölkerung haben jedoch eine tolle Allianz gebildet, um Menschlichkeit zu zeigen.
Was wäre aus Ihrer Sicht nun notwendig?
Die Einhaltung von Recht. Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention werden hier mir Füßen getreten. Schutzsuchende werden einfach über die Grenze nach Belarus zurückgeschickt und in den Wald gedrängt. Das ist alles illegal. Eigentlich sollte die Einhaltung der Gesetze etwas Selbstverständliches sein – damit das klar ist, könnte von der EU und Deutschland auch mal ein offeneres Wort gegenüber Polen gesprochen werden. Wenn dann einzig der brandenburgische CDU-Innenminister Michael Stübgen sagt, dass er den Bau einer Mauer an der Grenze befürworten würde, ist das menschenverachtend.
Sie sind auch Ex-Geschäftsführer von Sea-Watch. Wie ordnen Sie die Geschehnisse im Grenzgebiet im Rahmen der europäischen Flüchtlingspolitik ein?
Vor der libyschen Küste finden Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen ebenso statt wie in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, in Griechenland und vor den Kanarischen Inseln. Überall sehen wir das gleiche Elend. Was im hiesigen Grenzgebiet noch mal verschärft wurde, ist die Einrichtung dieser speziellen Zone, in der man versucht, den Zugang für Journalisten und NGOs zu unterbinden. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass dahinter keine bewusste Strategie oder zumindest eine Duldung der EU steht – auch der verantwortlichen deutschen Stellen.
Planen Sie weitere Hilfstransporte?
Das werden wir entscheiden, nachdem wir in den nächsten Tagen weiter Gespräche mit den lokalen Gruppen geführt haben. Wenn, braucht es ja eher spezielle Güter, vieles wird ja auch schon von der polnischen Hilfsbereitschaft abgedeckt.
Wie können Menschen in Deutschland in der jetzigen Situation am besten helfen?
Die Gruppen vor Ort sagen deutlich, dass es erstens politischen Druck und öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema braucht. Zweitens müsste speziell gefragt werden, warum die großen Hilfsorganisationen sich nicht im Grenzgebiet blicken lassen. Die hätten im Gegensatz zu uns eher kleinen Initiativen andere Möglichkeiten, in der Kontrollzone der Polizei aktiv zu werden.
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