Instabilität seit dem Völkermord in Ruanda

Naum Butoto über die Lage im Osten Kongos, die Corona-Pandemie und die Nachwirkungen des Genozids

Über die Folgen der Corona-Pandemie in afrikanischen Ländern dringt nicht allzu viel nach Deutschland, außer dass die Impfquote auf dem Kontinent sehr niedrig ist. In der DR Kongo wurden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bis Ende September erst 0,15 Impfdosen pro 100 Einwohner verteilt. Wie ist die Corona-Lage im Osten Kongos derzeit?

Die Corona-Infektionen gehen seit Juni ein wenig zurück, aber die Lage ist immer noch ernst. Insgesamt ist die Inzidenz in der Hauptstadt Kinshasa höher als im Osten und seiner Regionalhauptstadt Goma. Allerdings ist das Gesundheitssystem auch überhaupt nicht in der Lage, die Corona-Fälle systematisch zu erfassen, es fehlen zum Beispiel Testkapazitäten. Und das Gesundheitssystem ist auch nicht in der Lage, adäquat medizinisch auf die Corona-Kranken zu reagieren. Das wissen wir aus unserer Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssystem und den Informationen aus unseren gemeinsamen Treffen. Wir stellen Chlor her, das zur Desinfektion von Wasser benützt wird, auch im Gesundheitssystem. Kurz gesagt: Corona wirkt sich negativ auf die Gesellschaft aus. Die Mobilität der Menschen wird stark eingeschränkt, das begrenzt die Einkommensmöglichkeiten vor allem im informellen Sektor. Vielen war es zeitweise nicht möglich, zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen, da der Transport heruntergefahren wurde.

Interview
Naum Butoto

Naum Butoto ist Agraringenieur und Direktor der kongolesischen Organisation UGEAFI, die in Süd-Kivu, nordwestlich des Tanganjikasees, mit friedensbildenden Maßnahmen rund um die Ernährungssicherung den gewalttätigen Konflikten entgegenwirkt.

UGEAFI ist die kongolesische Partnerorganisation von SODI, die im Oktober 1990 als Nachfolgeorganisation des Solidaritätskomitees der DDR gegründet wurde. Mit Naum Butoto sprach für »nd« Martin Ling.

Aber die Mobilität ist inzwischen wieder besser geworden?

Ja, inzwischen ist wieder mehr möglich. Es war ja neben Corona auch der Ausbruch des Vulkans Nyiragongo Ende Mai, der eine halbe Million Menschen aus Goma in die Flucht trieb und die Einkommensmöglichkeiten zeitweise begrenzte. Die Wirtschaft war da gerade wieder leicht angelaufen, als es zum Rückschlag kam, inklusive Cholerafällen infolge des Mangels an sauberem Trinkwasser. Das Kardinalproblem ist das schwache Gesundheitssystem. Mitten in der Pandemie haben auch dort Angestellte wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, der niedrigen Löhne und der mangelhaften Ausstattung gestreikt. Die Politik hat darauf nicht reagiert.

Der Osten Kongos stand immer wieder im Zentrum kriegerischer Auseinandersetzungen, die Befriedung durch die UN-Blauhelmmission Monusco scheint nicht zu funktionieren. 2021 war immer mal wieder von einer islamistischen Gruppierung zu hören, den Allied Democratic Forces (ADF). Hat sich die Lage beruhigt?

Die Aufgabe der Monusco ist es, die kongolesische Regierung und die Armee bei der Stabilisierung und Befriedung zu unterstützen. Das funktioniert nicht wirklich. Das Aufkommen und Agieren der ADF ist dafür ein gutes Beispiel. Die ADF ist im Osten Kongos, in der Provinz Kivu aktiv, verübt Morde, Brandschatzungen und Entführungen. Die Monusco ist zwar präsent in der Region, bleibt aber passiv, schaut zu, schafft es nicht, die Bevölkerung zu schützen. Deswegen hat es auch schon viele Demonstrationen der lokalen Bevölkerung gegeben nach dem Motto »Was macht ihr eigentlich hier?«

Die Monusco sollte auch bei der Reform der kongolesischen Streitkräfte RDC helfen, aber auch hier sind keine Fortschritte erkennbar. Es gibt in der Armee nach wie vor mafiöse Strukturen, organisierte Kriminalität. Dabei geht es um Waffenhandel, um Raub, um Diebstahl. Das trifft nicht auf die ganze Armee zu, aber es gibt fraglos kriminelle Elemente darin.

Muslime sind in der DR Kongo eine geringe Minderheit von 1,5 Prozent. Wie erklärt sich eine islamistische Gruppe auf so einer schmalen Basis der Bevölkerung? Kommt sie von außen?

In Kongo gibt es ein Sprichwort: Ein Feind von außerhalb braucht immer Unterstützung von innerhalb. So ist es auch bei uns. Die Extremisten kommen überwiegend von außerhalb, zum Beispiel aus Uganda, es gibt aber auch Kongolesen darunter. Auch Teile der Armee kooperieren mit der ADF.

Aber die ADF ist nicht die einzige Gruppierung, die im Osten Kongo den Konflikt befeuert, oder?

Nein, es gibt viele Konfliktherde. Die Korruption in der Armee ist einer, der ethnische Hass ein anderer. So sind die Banyamulenge-Tutsi am Kivu-See seit Jahren Angriffen verfeindeter Milizen ausgesetzt, unter anderem von den Mai-Mai-Milizen, ethnisch ausgerichteten Selbstverteidigungsgruppen, die auch die Banyamulenge haben.

Der Konflikt mit den Banyamulenge-Tutsi hat den Völkermord in Ruanda 1994 als einen Hintergrund. Die Tutsi-Regierung in Ruanda versteht sich als Schutzmacht der Banyamulenge. Wie steht es um den Einfluss Ruandas auf den Osten Kongos?

Es ist ein geopolitisches Problem. Nicht nur Ruanda ist in den Konflikt im Osten Kongos involviert, sondern auch Uganda und Burundi sowie selbstverständlich Kongo. Alle sind über Milizen oder die Armee präsent. Alle vier müssen sich zusammensetzen, um die Region zu befrieden. Passiert das nicht, wird die Region instabil bleiben. Das trifft ja jetzt schon nicht nur auf den Osten Kongos zu, sondern auch auf Burundi und Uganda. Seit dem Völkermord in Ruanda gibt es keine Stabilität in der Region. Seitdem halten die Auseinandersetzungen anhand ethnischer Linien an. Diese Gewaltspirale muss durchbrochen werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.