- Wirtschaft und Umwelt
- Pflegebedürftigkeit
Pflegerisiko hängt vom Geld ab
Menschen mit geringen Einkommen sind häufiger und früher pflegebedürftig als Gutverdienende
Von Armut bedrohte Menschen haben ein höheres Risiko pflegebedürftig zu werden und sind früher auf Pflege angewiesen als Menschen mit höherem Einkommen. So das Ergebnis einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Männer, die direkt vor dem Renteneintritt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient haben, sind demnach etwa sechs Jahre früher auf häusliche Pflege angewiesen als Männer mit mehr als 150 Prozent des mittleren Einkommens. Bei Frauen beträgt der Unterschied rund dreieinhalb Jahre. Aber auch die Stellung innerhalb des Jobs sowie die Belastung im Beruf haben demnach einen Einfluss auf das Pflegerisiko.
Vom höchsten Pflegerisiko ist geschlechterunabhängig jeweils die Gruppe der Arbeiter und Arbeiterinnen betroffen. Hingegen ist das Risiko bei verbeamteten Personen am geringsten. Das Pflegerisiko von angestellten und selbstständigen Männern ist ebenfalls höher als bei Beamten, bei Frauen gibt es in dem Bereich hingegen keine erkennbaren Unterschiede. Darüber hinaus haben Menschen, die Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente hatten, ein deutlich höheres Pflegerisiko. Für Frauen erhöht sich dieses um rund zwei, bei Männern sogar um knapp drei Prozentpunkte.
Durchschnittliche Lebenserwartung hängt von dem Einkommen ab
Schon lange ist durch Untersuchungen bekannt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland vom Einkommen und Vermögen abhängt. Wer nur ein geringes Einkommen erhält, oder in einer niedrigen beruflichen Stellung tätig ist, hat eine deutlich kürzere Lebenserwartung. So betrug im Jahr 2018 die mittlere Lebenserwartung von Männern der niedrigsten Einkommensgruppe 8,6 Jahre weniger als die von Männern der hohen Einkommensgruppe. Bei Frauen betrug diese Differenz 4,4 Jahre.
Wie alt jemand im Schnitt wird, kann statistisch aber sogar am Geburtstort festgemacht werden. Wer in einer armen Gegend geboren wurde, hat durchschnittlich eine niedrigere Lebenserwartung. Am höchsten ist diese hingegen, wenn jemand in einer Region mit der niedrigsten Armutsrisikoquote geboren wurde. Bei Männern beträgt die Differenz in der Lebenserwartung zwischen Regionen mit den höchsten und niedrigsten Armutsrisikoquoten rund drei Jahre, bei Frauen etwa zwei Jahre.
Arme und von Armut bedrohte Menschen sterben also früher. Dass darüber hinaus auch die Qualität der Lebensjahre sinkt, verdeutlichen die aktuellen Studienergebnisse des DIW. Als pflegebedürftig gilt, wer dauerhaft und erheblich bei der Bewältigung des täglichen Lebens eingeschränkt und auf Unterstützung angewiesen ist.
»Pflegebedürftigkeit hängt nicht nur vom Alter ab und tritt auch nicht zufällig auf. Im Gegenteil: Die Pflegebedürftigkeit wird durch Gesellschaft, Einkommen und Arbeitswelt beeinflusst«, erklärt Johannes Geyer vom DIW die Studienergebnisse. Ende des Jahres 2020 erhielten rund 4,3 Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung, davon wurden knapp 80 Prozent ambulant betreut. Dabei deckt die gesetzliche Pflegeversicherung nur einen Teil der benötigten Pflegekosten. Ein Großteil muss von den Betroffenen privat gezahlt werden. Laut DIW liegen die Zuzahlungen für einen Platz im Pflegeheim im Bundesdurchschnitt bei etwa 2100 Euro im Monat. Eine Alternative ist, dass die Pflege innerhalb der Angehörigen selbstständig organisiert wird, was neben einer zeitlichen, emotionalen und körperlichen Belastung ebenfalls oft auch eine große finanzielle Last darstellt. Denn nicht selten müssen Angehörige für die private Pflege ihre Erwerbsarbeit reduzieren.
Sozialpolitische Maßnahmen gegen das ungerechte Pflegerisiko
Da Menschen mit geringen Einkommen oder einer hohen beruflichen Belastung ein höheres Pflegerisiko haben, treten die Kosten für sie häufiger auf und reduzieren damit ihre ohnehin schon geringen Einkommen. »Um diese Ungleichheit zu bekämpfen, brauchen wir sozialpolitische Maßnahmen, die das ausgleichen. Wir brauchen dabei sowohl Konzepte, die sofort greifen, als auch solche, die langfristig angelegt sind«, fordert Peter Haan vom DIW.
Die an der Studie beteiligten Forscher empfehlen eine Reihe von Maßnahmen. Neben einer Verringerung der Arbeitsbelastung, um präventiv gegen eine spätere Pflegebedürftigkeit vorzusorgen, sollten auch die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung ausgebaut werden. Dazu gehöre, dass die Qualität und das Angebot in der Pflege erhöht werden müsse. Um die dabei entstehenden Kosten zu senken, könnte laut DIW auch innerhalb des Pflegesystems umverteilt werden, indem private Zuzahlungen stärker vom Einkommen abhängig gemacht werden. Eine weitere »kurzfristige Lösung« biete zudem eine Bürgerversicherung. »Eine Möglichkeit, hier eine gerechtere Lösung zu finden, ist, über eine Bürgerversicherung nachzudenken, in der die private und die gesetzliche Versicherung zusammengebracht werden«, so Haan.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.