- Politik
- US-Demokraten
»Anti-Trump sein reicht nicht«
Nach Verlusten in zwei Staaten streiten die US-Demokraten über die Gründe dafür
Es ist ein gehöriger Dämpfer für die US-Demokraten. In Virginia haben sie den Gouverneursposten verloren und zudem einige Sitze im Staatsparlament. Ob es nur ein Sitzegleichstand mit den Republikanern oder ein Rückstand von einem Sitz wird, ist nach derzeitigem Auszählungsstand noch unsicher. Im bei Präsidentschaftswahlen zuverlässig demokratisch wählenden New Jersey muss Gouverneur Phil Murphy um seine Wiederwahl zittern. Er errang zwar sogar noch etwas mehr Stimmen als bei der letzten Wahl, doch die Wahlbeteiligung der Republikanerwähler wuchs noch viel stärker. Konservativer Enthusiasmus an der Wahlurne bescherte auch dem Republikaner Glenn Youngkin in Virginia einen knappen Wahlsieg. Der moderate Demokrat und Unternehmer Terry McAuliffe hat damit bei zwei von drei Versuchen, die Wahl zum Gouverneur zu gewinnen, verloren. Er hatte hauptsächlich einen Anti-Trump-Wahlkampf gemacht. Doch das war weder genug um die eigene Basis zu mobilisieren, noch um Wechselwähler, die 2020 Joe Biden ihre Stimme gegeben hatten, für sich zu gewinnen.
Angesichts der wochenlangen Flügelkämpfe bei den Demokraten zwischen Konservativen und Progressiven um die Verabschiedung und den Umfang von zwei Infrastruktur- und Sozialstaats-Gesetzespaketen von US-Präsident Biden gab es sofort nach der Wahl wechselseitige Schuldzuweisungen. Die Kongressreporterin des vor kurzem von Axel Springer übernommenen Politmagazins Politico Heather Caygyle schrieb auf Twitter: »Demokratenabgeordnete schreiben mir Textnachrichten und machen Progressive verantwortlich.« Diese hätten zu weitgehende linke Forderungen, so die gerne von konservativen Demokraten nach verlorenen Wahlen erhobene Klage. Die Gründerin der progressiven Beraterfirma New Deal Strategies Melinda Katz, schrieb dagegen an: »Das sind dieselben Leute, die McAuliffe als besonders wählbar deklariert und ihn durch die Vorwahl gerammt haben«. Immer wieder würden konservative Politiker die Parteilinke zu den Schuldigen für eigene Versäumnisse erklären.
Parteilinke verweisen darauf, dass die Partei Wähler*innen gerade wenig anzubieten hat. »Demokraten-Strategen schreiben mir Textnachrichten und fordern, Joe Biden solle Marihuana legalisieren und Studiengebührenschulden streichen«, berichtete Waleed Shalid, Sprecher der linken Gruppe Justice Democrats, auf Twitter in einer ironischen Antwort auf Politico-Reporterin Caygyle. Hintergrund sind Umfragen, die einen zunehmenden Verdruss bei jungen Wähler*innen über die Demokraten zeigen. Parteilinke wie Bernie Sanders machen außerdem dagegen mobil, dass die Partei populäre Maßnahmen, wie Steuern auf Ultrareiche und Großkonzerne, aus Bidens Infrastrukturprogramm gestrichen hat und nun vielleicht eine versteckte Steuerentlastung für Reiche darin aufnimmt.
Nach Wahlumfragen war in Virginia die Bildung das Top-Thema. Offenbar wandten sich vor allem über Schulschließungen verärgerte weiße Frauen von den Demokraten ab. »Angesichts dessen sollten wir vielleicht überlegen, ob es so gut war, die Einführung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Mutterschaftsurlaub aus dem Infrastrukturpaket zu streichen«, erklärte Tom Periello auf Twitter. Frauen würden besonders von diesen nicht überall in den USA garantierten Sozialstaatsleistungen profitieren.
Der progressive Kongressabgeordnete, der 2008 in einem Wechselwählerbezirk in Virginia gewählt worden war, für die Einführung der Gesundheitsreform Obamacare stimmte und dann 2010 seine Wiederwahl im Zuge der landesweiten Kampagne gegen Obama und die neu eingeführte staatlich-private Krankenversicherung verlor, setzt sich dafür ein, dass die Demokraten ihre verfügbare Macht nutzen, um reale Verbesserungen zu erreichen. Statt darauf zu schielen, was wenig kontrovers und vielleicht mit Blick auf künftige Wahlen opportun ist. »Anti-Trump zu sein ist nicht gut genug. Die Demokraten hätten die Built-Back-Better-Agenda von Joe Biden schon vor Monaten verabschieden sollen«, erklärte Periello im liberalen Fernsehsender MSNBC mit Verweis auf die beiden Infrastrukturpakete der Demokraten. Doch das haben konservative Demokratenparlamentarier im Kongress verhindert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.