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Entpolitisiert nicht das Klima!
Lasse Thiele über die notwendige Radikalisierung der Klimabewegung und die Abkehr von Umfragemehrheiten
Alltag im Nachwahltheater: Als Aktivisten von Fridays for Future »Wer hat uns verraten?« zitierten, weil die SPD schon wieder Gas und Kohle schützt, raunte aus der Partei Peinliches von »Nazis und Kommunisten«. FDP-Vollprofi Christian Lindner zischt jungen Klimabewegten zu, ihre Zukunft sei sehr wohl verhandelbar, mutmaßlich durch seinesgleichen. CDU-Geldkofferagent Wolfgang Schäuble belehrt dieselbe Jugend in seiner Abtrittsrede mit großväterlichem Zeigefinger über Geduld und Demokratie. Grünen-Spitze Annalena Baerbock motzt zur Fridays-Kritik am Ampel-Sondierungspapier, dann könne sie das Teil ja direkt entsorgen. Niemand widerspricht. In dieser Gemengelage rätseln nun Markus Lanz und »Bild« über – huch – Radikalisierungstendenzen in der Klimabewegung. Solche will der neue CDU-Greenwashingverein »Klimaunion« per Petition direkt unterbinden. Unterschriften gibt es kaum, aber vielleicht reicht’s fürs nächste Rezo-Video. Ja lol ey?
Unter dem Theater liegt die klassische Spaltungslinie zwischen linker und liberaler Klimapolitik. Für Liberale geht es vor allem um die technische Frage, wie Treibhausgase möglichst wirtschaftlich einsparbar sind. Als Politikum gilt bestenfalls noch die Kostenverteilung – alles darüber hinaus ist »ideologische« Ablenkung. Linke Positionen beginnen dagegen beim gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang und reden von Klimagerechtigkeit: Wo eine ganze Gesellschaftsordnung auf ewigem Wachstum basiert, wäre es gerade pure Ideologie, die Klimafrage auf Ingenieur*innenkunst zu reduzieren. Kapitalismuskritik folgt logisch. Inhaltliche Radikalisierung der Bewegung und grundsätzliche Politisierung der Debatte sind also eng verknüpft – darum greifen Liberale wie Konservative beides an.
Aus welchen guten Gründen sich Klimabewegte inhaltlich radikalisieren und bei »grünen« Wachstumsversprechen abwinken, diskutiere ich an dieser Stelle regelmäßig. Heute geht es um die generelle (Ent-)Politisierungsfrage. Denn die Angriffe befeuern auch innerhalb von Fridays for Future zeitlose strategische Kontroversen: Verliert die Klimabewegung gesellschaftlichen Rückhalt, wenn sie »zu politisch« auftritt, »zu links«, »zu polarisierend«, zu viele Themen jenseits von CO2 aufmacht?
Andersherum wird ein Schuh draus: Jede Politik braucht eine Kraft, die sie durchsetzt. In der liberalen Erzählung sucht ein neutraler Staat nach der »objektiv« besten Lösung. Die ergänzende Rolle der Klimabewegung changiert dann zwischen moralischem Appell und täglich erneuertem Beratungsangebot. Doch Klimaschutz scheitert nicht an Glauben oder Wissen der Regierenden, sondern am Widerstand gut organisierter Wirtschaftsinteressen, die von Klimazerstörung profitieren und ihre eigenen »grünen« Wachstumsmythen nur bedingt glauben. »Objektiv« ist hier nur der Konflikt.
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Gegenkräfte, die diesen Klimakonflikt aufnehmen können, entstehen nicht nur über periodische Großdemos, so wichtig diese sind. Sie brauchen dauerhafte Organisierung mit Menschen, die von einer klimagerechten Gesellschaft ein besseres Leben erhoffen und bereit sind, dafür zu kämpfen. Dazu müssen unsere Gesellschaftsentwürfe mehr als »nur« CO2-Vermeidung umfassen – und wir politische Gegner*innen klar benennen. Der Politalltag zeigt: Selbst um kurzfristig technische Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen, braucht es diese politisierende Klimagerechtigkeitsbewegung. Darauf aus Angst vor dem Verlust der jetzigen bloß zahlenmäßigen Umfragemehrheiten »für Klimaschutz« zu verzichten, wäre eine Sackgasse.
Langfristig kann Klimaschutz ohnehin nicht der begrenzte Selbstzweck sein, den Liberale verlangen. Es gibt kein Idyll »vor der Klimakrise« zu erhalten: Ausbeutung, Vertreibung, Rassismus prägen die globalen Verhältnisse schon. Polarisierung ist Realität. Und die Klimakrisenwelt, die sie zu verschärfen droht, ist selbst mit konsequentestem Klimaschutz nicht mehr ganz abwendbar. Wir müssen uns also fragen, welche Klimakrisenwelt wir wollen. In welchen gesellschaftlichen Verhältnissen würde ein gutes Leben für alle trotzdem möglich? Kein Innovationslabor kann diese politische Frage beantworten. Die versuchte Entpolitisierung der Klimafrage ist die Strategie derer, die die soziale Polarisierung verteidigen. Als Klimabewegung sollten wir uns davon nicht beirren lassen.
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