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Außer Kontrolle

Gefährliche Viren aus dem Labor? Solche Experimente werden wieder deutlicher kritisiert

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Was einmal gemacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden, lässt sich der berühmte Satz aus »Die Physiker« abwandeln. Friedrich Dürrenmatts Groteske handelt grob gesagt davon, dass in einer Gesellschaft, die sonst nur gewinnbringenden Schund zu produzieren gewohnt ist, auch die wissenschaftliche Grundlagenforschung nicht edel und rein ist. In der kapitalistische Anarchie der Interessen kann sie zu üblen Resultaten führen. In den vergangenen Monaten hat man nicht nur sehr viel über Viren, sondern auch über Virologie erfahren. Neuerliche Kritik gibt es vor allem an der sogenannten Gain-of-Function-Forschung. Biologische Eigenschaften werden im Labor hinzugefügt oder optimiert, Viren beispielsweise ansteckender oder tödlicher gemacht. Der erhoffte Nutzen sind Prognosen über das Verhalten von Viren.

Kritiker wie der Harvard-Epidemiologe Marc Lipsitch oder der Johns-Hopkins-Bioingenieur Steven Salzberg verweisen darauf, dass die Gain-of-Function-Experimente hohe Risiken haben, Prognosen aber unmöglich seien. Es gäbe keinen Nutzen. Schließlich sind selbst Hochsicherheitslabore nie absolut sicher, es kommt gelegentlich zu Unfällen. Und die gentechnisch aufgerüsteten Viren sind nicht harmlos. Vor nahezu zehn Jahren prahlten Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka, beide führend in Gain-of-Function, eines der gefährlichsten Influenzaviren im Labor geschaffen zu haben, das man sich vorstellen könne. Seitdem reißt die Kritik nicht ab.

Das dürfte sich auch so bald nicht ändern. Am 20. Oktober informierten die National Institutes of Health den US-Kongress, dass man - wohl ohne es zu wissen - Experimente an Fledermaus-Coronaviren in einem chinesischen Hochsicherheitslabor finanziert habe - in Wuhan. Im Zentrum dieser Forschung steht die New Yorker EcoHealth Alliance, gegründet von dem Biologen und Epidemiologen Peter Daszak. Wie die NZZ unter Berufung auf die Recherchegruppe »Drastic« kürzlich berichtete, hat seine Organisation auch Geld vom Verteidigungsministerium für Biowaffenforschung erhalten. Wofür das genau verwendet wurde, sei unklar, doch habe man seit Jahren an der gentechnischen Veränderung von Coronaviren gearbeitet - und hatte im Jahr 2018 präzise Pläne vorgelegt, diese für Menschen gefährlicher zu machen. Daszak hatte sich immer gegen die These von einem Laborunfall verwehrt, doch sind bis heute die Protokolle unter Verschluss. Zwar gilt es als unwahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 aus einem Labor stammt. Ausgeschlossen werden könne aber nicht, dass es im Zuge der Forschung zu einer Übertragung kam, wie der Leiter der WHO-Mission zum Ursprung der Corona-Pandemie und Zoonosen-Experte Peter Embarek im Sommer sagte. Man weiß es bisher nicht. Unabhängig davon geht die Diskussion über Gain-of-Function weiter.

Der Epidemiologe Simon Wain-Hobson warnte kürzlich in der FAZ, wenn nicht jetzt, so werde man doch in Zukunft mit einer Pandemie aus dem Labor rechnen müssen - wenn man die Gain-of-Function-Forschung nicht einstelle oder nach Vorbild der Internationalen Atomenergiebehörde streng reguliere. Er prangerte zudem ein toxisches Gemisch von »Interessenkonflikten, Verschleierung und verdecktem Lobbyismus« an. Das Geld, das in die Gain-of-Function-Forschung fließt, verhindert eine kritische Reflexion ihres gesellschaftlichen Nutzens durch die beteiligten Wissenschaftler. Verwiesen wird auch darauf, wie unter anderem von Anthony Fauci oder Christian Drosten, dass Laien nicht verstehen könnten, worum es dabei im Detail geht. Das mag zwar stimmen, löst aber das wissenschaftsethische Dilemma nicht. Der Inhalt der Virologie geht die Virologen an, die Auswirkung alle Menschen, um nochmals Dürrenmatt zu paraphrasieren. Und der fügte noch hinzu: »Was alle angeht, können nur alle lösen.«

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