»Es mangelt uns an Anerkennung«

Ein Job, für den man chemische, physikalische und mathematische Grundkenntnisse braucht und Bauzeichnungen lesen können muss - klar: Gebäudereinigung! Roman von Staden erzählt, worauf es ankommt

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.

nd: Sie sind Gebäudereinigermeister. Den Begriff »putzen« versuchen Sie zu vermeiden. Wieso?

Roman von Staden: »Putzen« sagen wir eher nicht, weil es abwertend klingt und meiner Meinung nach auch unprofessionell. Wir sind ja ein Reinigungsunternehmen und kein Putzunternehmen. Oftmals wird gesagt: »Du olle Putze«. Das ist immer negativ behaftet.

Interview

Roman von Staden ist Gebäudereinigermeister und arbeitet beim Betrieb Wodara in Marzahn. Mit dem Projekt Berliner Schulpaten besucht der 34-Jährige Schulklassen und erzählt, was er an seinem Beruf liebt. Im Interview mit dem »nd« erklärt er die Unterschiede zwischen Sonder- und Unterhaltsreinigungen. Er spricht über den Fachkräftemangel in seiner Branche, darüber, wie er zu seinem Beruf gekommen ist und was ihm während der Coronazeit gefehlt hat.

Es gibt also viele Vorbehalte Ihrem Beruf gegenüber?

Ja, es mangelt an Anerkennung. Oft sieht man die Menschen nicht, die reinigen. Die meisten Leute gehen an ihren Arbeitsplatz und wünschen es sich sauber - und das war’s. Sie machen sich darüber keine weiteren Gedanken. Weil oft auch abends oder nachts gereinigt wird. Deshalb wird es auch nicht so wertgeschätzt, glaube ich. Weil man die Leute nicht wahrnimmt.

Deshalb setzt sich Ihr Arbeitgeber, der Gebäudeservice Wodara, dafür ein, dass mehr am Tag gereinigt wird?

Wir sind an dem Thema dran, bei einigen Kund*innen konnten wir es schon umsetzen. Bei anderen ist es sehr schwer. Unserer Vermutung nach haben sich viele Kund*innen mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt, können es sich nur schwer vorstellen, und wir müssen noch viel Aufklärungsarbeit leisten.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich bin stellvertretender Sonderreinigungsleiter. Ich kümmere mich um die Annahme und die Vergabe von Aufträgen, habe als Meister auch eine beratende Funktion und erkläre den Kollegen, worauf es ankommt. Momentan habe ich drei Azubis. Ich arbeite koordinierend, aber auch in der Reinigung.

Wie sind Sie zu dem Beruf gekommen?

Ich habe mit 17 angefangen im Krankenhaus in der Reinigung zu jobben, weil der Vater einer Freundin dort gearbeitet hat. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht, aber dann musste Personal eingespart werden und ich wurde entlassen. Ich bin zum Jobcenter und wurde gefragt: Auf welche Ausbildung hast du Bock? Ich habe gesagt, Gebäudereinigung würde mich interessieren. Ein halbes Jahr später kam das Angebot bei einem Träger. Während der Ausbildung habe ich erst ein Praktikum bei einer Firma gemacht, bei der es mir nicht so gefallen hat, dann habe ich im Internet gesehen, dass die Firma Wodara in der Nähe ist und habe mich dort beworben. Seitdem bin ich hier, und es macht mir immer noch Spaß. Ich habe vor zwei Jahren meinen Meister angefangen und Anfang 2021 fertiggemacht. Corona hat es etwas hinausgezögert.

Hatten Sie als Kind oder Jugendlicher schon den Wunsch, ins Handwerk zu gehen?

Das ist schwer zu sagen. Ich war in meiner Jugend ziemlich faul und habe mich für Berufe eigentlich gar nicht so interessiert. Ich musste aber mit 17, nach meinem Hauptschulabschluss, arbeiten gehen, denn ich hatte schon meine erste Wohnung und wollte Miete zahlen. So richtig nachgedacht habe ich in meinen jungen Jahren nicht, um ehrlich zu sein. Bis zum Ende meiner Ausbildung war ich ein kleiner Rüpel. Aber man verändert sich mit den Jahren. Mittlerweile bin ich verheiratet und habe ein Kind. Dann sieht man alles ein bisschen anders.

Sie versuchen inzwischen selbst, Kinder und Jugendliche für Ihren Beruf zu begeistern. Mit den Berliner Schulpaten, einem von der Handwerkskammer Berlin initiierten Projekt, gehen Sie regelmäßig an Schulen und erzählen von Ihrem Beruf. Wie sieht das aus?

Es gibt dann mehrere Gruppen von vier oder fünf Kindern an einem Tisch. Dort werden unterschiedliche Berufe - wie Bus fahren oder bei der Polizei - vorgestellt. Meine erste Frage ist immer, was die Kinder sich unter Reinigung vorstellen. Dann kommen die unterschiedlichsten Sachen: Fenster sauber machen zum Beispiel. Dann erkläre ich, was alles zur Reinigung gehört - zum Beispiel die Aufteilung in Sonderreinigung und Unterhaltsreinigung.

Was ist denn eine Sonderreinigung?

Das sind Einmalaufträge wie etwa eine Glasreinigung, Baufeinreinigung oder eine Grundreinigung. Ich erkläre den Schüler*innen, wie wichtig das für den Werterhalt ist. Eine Unterhaltsreinigung ist die tägliche Reinigung. Wir reinigen viele Kitas, machen aber auch viel Baureinigung - auch bei großen Komplexen mit Hunderten von Wohnungen. Da soll es so laufen, dass wir die Letzten bei einem Bauvorhaben sind und alles so reinigen, dass die Wohnung übergeben werden kann. Außerdem haben wir Privatkund*innen, zum Beispiel Mehr- oder Einfamilienhäuser.

Was haben die Kinder in der Schule für Fragen?

Die am häufigsten gestellte Frage ist, ob ich Spaß daran habe. Ich sage immer: Ja, weil das Ergebnis wunderbar ist. Ich sehe immer, was ich gemacht habe. Am Ende kann man wieder durch die Scheibe gucken und der Boden glänzt. Es ist eigentlich das Schönste, wenn man den Kund*innen für seine Arbeit begeistern kann. Es gibt auch mal Objekte, in denen man Tage verbringt und kein Ende in Sicht ist, aber am Schluss sieht man doch: Das ist topp, dafür arbeite ich gerne.

Gibt es auch Aspekte Ihres Berufs, die Sie ärgern?

Ja, mich ärgert, dass viele verkennen, wie wichtig Reinigung ist. Auch bei Corona ist das untergegangen. In den Medien hat man nicht viel von der Reinigungsbranche gehört, wie es den Leuten damit geht oder wie wichtig ihre Arbeit zum Beispiel in Krankenhäusern ist. Das ist irgendwie eine Selbstverständlichkeit. Das finde ich ein bisschen traurig.

Was sind besonders schwierige Fälle?

Baureinigungen sind sehr aufwendig, weil manchmal nicht richtig koordiniert wird, wann welches Gewerk da ist. Dann kommt vieles in Verzug. Dadurch haben auch wir Schwierigkeiten, das Ganze zum Abschluss zu bekommen. Unangenehm kann auch die Unterhaltsreinigung sein, wenn Kund*innen den Beruf nicht so wertschätzen, einfach mit Absicht den Dreck dalassen und sagen: »Da kommt dann die olle Putzfirma, die macht das schon weg.« Schwierig ist es auch, wenn man an Orten Grundreinigungen durchführt, wo jahrelang eine andere Firma drin war und nicht so gründlich gearbeitet hat. Oder auch, wenn es neue Fußbodenbeläge ohne Sicherheitsdatenblatt gibt und wir gar nicht wissen, was das ist. Kann man die überhaupt mit diesem oder jenem Mittel behandeln? Das ist eine Herausforderung. Denn es gibt mittlerweile so viele verschiedene Fußbodenbeläge, die man kaum unterscheiden kann.

Was müssen Sie für Ihren Beruf wissen?

Wir brauchen chemische und physikalische Grundkenntnisse. Zum Beispiel müssen wir uns mit pH-Werten auskennen, um zu entscheiden: Welche Reinigungsmittel nehme ich, um keinen Schaden zu verursachen? Der Umgang mit Geräten und Maschinen ist auch wichtig. Außerdem brauchen wir mathematische Grundkenntnisse und müssen Bauzeichnungen lesen können.

Ihr Arbeitgeber hat sich 2017 der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) angeschlossen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Bei mir wirkt es sich so aus, dass ich zum Beispiel beim Bestellen darauf achte, dass die Transportwege nicht so lang sind. Ich habe in meinem Meisterkurs auch gelernt, wie man mit weniger Chemie reinigen kann. Ich gebe mal ein Beispiel: Wenn wir eine Grundreinigung von einem Linoleumbelag machen, gibt es eine Maschine mit einem mit Industriediamanten besetzten Pad. Damit kann ich Bodenbeschichtungen abtragen, ohne chemischen Grundreiniger zu verwenden. Letztens habe ich dadurch bei einem Objekt ungefähr 20 Liter Reinigungsmittel gespart. Das ist schon eine Menge. Danach muss man allerdings wieder eine neue Beschichtung auftragen, um den Boden zu schützen. Das ist dann leider wieder Chemie.

Viele Handwerksberufe leiden unter Nachwuchsmangel. Ist das bei ihnen auch so?

Ja, wir haben absoluten Fachkräftemangel. Deshalb finde ich den Ansatz von den Berliner Schulpaten so interessant, den Kindern schon in der fünften Klasse nahezubringen, wie wichtig das Handwerk ist. Die Schüler*innen dürfen bei mir auch eine Glasreinigung ausprobieren und ein bisschen mit anpacken. Das ist schön. Ich habe immer das Gefühl, dass sie Spaß daran haben. Vielleicht haben wir es auch ein bisschen den Medien zu verdanken, dass Leute denken, es sei attraktiver, in irgendwelchen Start-ups zu arbeiten und was mit Computern zu machen. Vielleicht hat das Handwerk auch irgendwann verpasst, die Preise so anzuheben, dass die Mitarbeitenden angemessen verdienen und nicht so hart arbeiten müssen.

Was muss man für den Beruf mitbringen?

Man sollte schon eine gewisse Ausstrahlung haben und lächeln können, weil wir mit Kund*innen zu tun haben. Außerdem sollte man ein sauberes Auftreten haben. Der Schulabschluss ist mir persönlich egal. Mir nützt es nichts, wenn jemand vom Gymnasium kommt, aber keine Lust hat. Mir ist wichtig, dass man Bock hat zu arbeiten und etwas zu unserer Gesellschaft beizutragen. Ich habe in den letzten Jahren viele Azubis gehabt, bei denen das nicht so war. Wir bekommen häufig junge Menschen mit Lerndefizit und müssen von daher auch viele Grundkenntnisse neu vermitteln, aber bisher ist noch keiner durchgefallen. Wir bekommen das irgendwie hin, auch wenn es ganz schön viel Arbeit ist.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -