»…und morgen ess ich dann ein Schnitzel«

Ein Gespräch mit Gerhard Polt sowie Karl und Michael Well von den Well-Brüdern über 40 Jahre Bühnenjubiläum und darüber, was Philipp Amthor auf dem Oktoberfest machen würde

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 11 Min.

Lieber Gerhard Polt, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des bayerischen Verdienstordens.

Gerhard Polt: Dankeschön.

Gerhard Polt und die Well-Brüder

Gerhard Polt ist einer der berühmtesten deutschen Kabarettisten. Er wuchs in München und im Wallfahrtsort Altötting auf. Bekannt wurde er im Fernsehen Ende der 70er Jahre, als er gleich mit den Verantwortlichen, die sich als Zensurbehörde begriffen, aneinander geriet – nach dem Motto: »Humor ist rätselhaft. Gottseidank«. Lange Zeit trat er mit den Biermösl Blosn als Begleitband auf, die in den 70er Jahren ins »damals noch wenig erschlossene Niemandsland zwischen Volksmusik und Kabarett« (Richard Oehmann) vorstießen. 2012 lösten sie sich auf. Seit 2013 tourt Polt mit den Well-Brüdern: Mit Michael Well , Karl Well und ihrem Bruder Christoph, der mit Michael schon bei den Biermösl Blosn spielte. Die Multiinstrumentalisten kommen aus einer 17-köpfigen Familie aus dem Dorf Günzlhofen bei Fürstenfeldbruck, wo ihr Vater Schuldirektor war. Gerhard Polt war übrigens auch mal Lehrer.

Was muss man denn machen, um für »herausragenden Einsatz und außerordentliches Engagement im Freistaat für das Gemeinwesen« geehrt zu werden?

Polt: Ich weiß nicht. Ich hab das ja nicht gesagt [lacht]. Aber man muss sehen, dass der Preis 1957 vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner eingeführt wurde, der während des Nationalsozialismus im Asyl in der Schweiz war und nach dem Krieg zurückkam. Bayern verdankt Hoegner eigentlich seine Grundstruktur. Ich halte ihn für einen wichtigen Mann, der sich große Verdienste um das Land erworben hat.

Und somit spielt es keine Rolle, dass der Orden vom CSU-Mann Markus Söder überreicht wurde?

Polt: Der Söder füllt auch nur eine Rolle aus und muss seine Aufgabe erfüllen.

Michael Well: Aber trotzdem präsentiert er sich öffentlich mit dir.

Polt [seufzt]: Es hilft ja nichts. Ich bin da hin, habe dann danke gesagt, wie sich das gehört, wenn man was geschenkt bekommt und gut ist.

Die Auszeichnung kam passend zum Jubiläum: 40 Jahre stehen Sie jetzt als Gerhard Polt zusammen mit den Well-Brüdern, vormals die Biermösl Blosn, zusammen auf der Bühne. Was hält Sie zusammen und wie schafft man es, sich nach so langer Zeit noch zu motivieren?

Michael Well: Der Spaß, den wir miteinander haben und auch ein persönliches Einvernehmen. Aktuell trägt natürlich auch die Freude, auf der Bühne stehen zu können, dazu bei und die Möglichkeit, sich dabei immer noch wahnsinnig gut gegenseitig zu inspirieren. Es ist ganz großartig, nun nach so langer Zeit wieder vor Publikum aufzutreten. Das hat schon sehr gefehlt.

Aber wie hält man über all die Zeit den Humor hoch?

Polt: Wenn die Gaudi ausgehen würde und man die Lust am Beruf verliert, dann wär’s vorbei. Aber der Dieter Hildebrandt hat einmal gesagt: »Kabarettisten sind wie Triebtäter, die müssen immer weiter machen.« Da ist was dran.

Karl Well: Dazu kommt, dass wir uns auch immer ausgesucht haben, wie wir arbeiten wollen. Das war immer low-budget und nie mit großen Agenturen zusammen. Wir wollten immer sehr unabhängig sein und uns aussuchen können, wie oft wir spielen. Es bedeutet für uns sehr viel, eine Souveränität über das eigene Tun zu haben. Der Gerhard ist ja gerne mal in Italien und macht dann auch länger gar nichts.

Polt: Na, ich mach schon was. Ich trinke Kaffee, ich gehe ins Wasser und dann politisiere ich mit den Italienern. Das ist auch sehr ergiebig [lacht].

Was sich durch Ihr gesamtes Schaffen zieht, ist eine genaue Beobachtung Ihrer konkreten Umgebung. Woher kommt dieses Interesse am Hinsehen?

Polt: Es ist so eine Lust, das Komische an den Menschen zu sehen. Selbst wirklich absurde Vögel, schreckliche und böse Menschen haben etwas Lustiges an sich. Wenn man das weiß, kann das auch sehr tröstend sein.

Michael Well: Bei uns war es auch immer eine Auseinandersetzung mit der Ohnmacht, die man in Bayern spürt, wenn man nicht der CSU folgt; eine Partei, die den Staat als Parteibesitz verstanden hat und verfilzt war bis in alle Ecken. Wir haben das aber als Motivation verstanden, um daraus Kunst zu machen.

Aber überholt die Realität die Kunst nicht dort, wo es etwa den Korruptionsskandal von Sebastian Kurz oder die diversen Pleiten und Pannen von Andreas Scheuer gibt? Wird man als Kabarettist nicht arbeitslos?

Karl Well: Es kommen immer wieder neue Leute nach.

Polt: Ja, die Menagerie ist groß [lacht].

Michael Well: Wir wollen uns auch gar nicht in erster Linie an diesen Personen abarbeiten. Viel lustiger ist es doch, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen, die diese Leute wählen und toll finden. Daraus ziehen wir unsere Inspiration.

Geht es da auch um eine Auseinandersetzung mit der Heimat?

Michael Well: Es ist eine Auseinandersetzung mit dem was da ist. Bei uns hat es viel zu tun mit der eigenen Familie und dieser vermeintlich heilen Welt, in der wir aufgewachsen sind. Irgendwann haben wir angefangen, das zu hinterfragen. Dann war es auch das direkte Umfeld in den Dörfern, wo wir als Well-Brüder gewohnt haben. Entscheidend war ebenso der Streit um die Atomaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die eine unglaubliche gesellschaftliche Polarisierung mit sich gebracht hat. Mit all dem haben wir uns beschäftigt. Wenn man über Heimat spricht, fällt auf, dass wir durch unsere Lieder und unsere Sicht auf Volksmusik und Traditionen ganz schnell eher als Nestbeschmutzer angesehen wurden. Aber vielleicht war unsere Arbeit ganz fruchtbar und hat dazu geführt, den Heimatbegriff mit der Zeit etwas differenzierter zu sehen.

Karl Well: Gerade in Bayern wurde Heimat sehr missbräuchlich verwendet, daher haben wir ihn auch immer hinterfragt.

Polt: Ich habe mit dem Heimatbegriff nie ein sehr enges Verhältnis gehabt. Im Germanischen gibt es das Wort »Heimskringla« und da steht Heimat eigentlich für die Welt. Das ist mir deutlich näher. So kann die Heimat überall sein und hat nicht diesen Fokus auf das Begrenzte. Heimat gibt es nicht als statisches Ding, sondern sie ist immer in Bewegung und es kommen immer neue Menschen dazu. In bin ja in Altötting aufgewachsen und da gab es nach dem Krieg viele Kriegsflüchtlinge, die kamen - und natürlich die Wallfahrer [lacht].

Sie sagen es. Sie wurden im Krieg aus München evakuiert und kamen in den erzkatholischen Wallfahrtsort Altötting. Was macht das mit einem?

Polt: Es gibt so Bilder, die sich einbrennen. Wir hatten einen Lehrer in der Schule, der auch Pfarrer war, der einen Schulkollegen so sehr am Ohr gezogen hat, dass es im Krankenhaus genäht werden musste. Der hat geblutet wie ein Schwein und das kann ich sagen, weil ich damals über einer Metzgerei gewohnt habe. Das war die Pädagogik von damals und das prägt schon.

Und doch sind Sie als Kabarettist zu einem starken Kritiker der Amtskirche und der CSU geworden. Wie schafft man es, aus diesem provinziellen und konservativen Umfeld auszubrechen?

Polt: Ich frage mich das selbst auch. Was sind die Faktoren, dass man so ist, wie man ist? Aber ich weiß es einfach nicht [lacht]. Ich bin auch froh, dass ich es nicht ganz genau weiß. Es gibt ja, Gott sei Dank, Geheimnisse, die man nicht erklären kann. Bei mir ist es so, dass die Leute oft schon lachen, obwohl ich noch gar nichts gemacht habe. Aber warum das so ist, kann ich nicht sagen.

Michael Well: Aber das Aufwachsen in einem stark repressiven Umfeld hilft doch schon…

Polt: Vorsicht! Es gibt viele, die in so einem Umfeld aufwachsen und da müssten wir ja ein Volk der Humoristen sein. Das sind wir aber leider nicht [lacht]. Ich stelle mir diese Fragen nicht so oft. Ich bin der, der ich bin. Und morgen ess ich dann ein Schnitzel [lacht].

Das hat fast etwas kindlich-naives.

Polt: Das ist spannend, weil Kinder haben häufig ein feines Gespür für Komik oder dafür, ob Menschen zum Beispiel lügen oder nicht. Das ist so ein klarer, regelloser Blick.

Der Schriftsteller Oskar Maria Graf hat die Bayern einmal als die wahren Anarchisten bezeichnet, die auch einfach sagen, was ist.

Polt: Da ist etwas dran. Es gibt schon eine gewisse Respektlosigkeit, die aber nicht bösartig ist, sondern einen Blick für die Realitäten hat. Das ist eben der Gegensatz zur Politik, die Realitäten eher zu kaschieren versucht.

Karl Well: Das ist auch das, was wir mit unserer Musik versuchen. Es geht darum, spitz zu sein, Verantwortliche zu benennen und Kritik zu üben - und das mit Mitteln der Musik.

Ist dieser »bayerische Anarchismus« aber auch der Grund dafür, dass es Politiker wie Hubert Aiwanger gibt?

Karl Well: Ja mei, die Welt wäre ärmer, wenn es so herausragende Figuren nicht geben würde [alle lachen].

Wie ist es jetzt bundesweit auf Tour zu sein? Ich habe den Eindruck, Sie passen ihre Sprache und ihren Dialekt nicht an.

Michael Well: Nein, die Lieder sind so wie sie sind, da muss das Publikum dann klar kommen. Ich glaube aber, dass das meiste auch rüber kommt.

Sie haben auch schon in der DDR gespielt. Wie kam es eigentlich dazu?

Michael Well: Das war in den 1980er Jahren. Die ersten Kabarettisten aus dem Westen waren Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder, die durch die Vermittlung von Willy Brandt, Bruno Kreisky und Erich Honecker eingeladen wurden. Daraus entstand dann ein deutsch-deutscher Kulturaustausch und so kamen wir zweimal, 1986 und 1987, in die DDR. Wir sind in Leipzig im »Kabarett academixer«, in Dresden in der »Herkuleskeule« und in Ostberlin in der »Distel« aufgetreten. Das war für uns wirklich hochinteressant und sehr prägend. Das Kabarett war in der DDR ein wichtiges Ventil. Das Publikum hat auf winzige Spitzen total fein reagiert, weil man ja viel nur indirekt sagen konnte. Wir hatten den Vorteil, dass wir Volksmusik zusammen mit Kabarett und klassischer Musik gemacht haben. Diese Verbindung war in der DDR unbekannt und somit konnten wir uns auch etwas mehr erlauben.

Polt: Üblicherweise wurden in der DDR alle Kabarett-Programme vor Aufführung abgenommen. Dabei kam es zu kuriosen Situationen. DDR-Kollegen haben uns erzählt, dass sie von der prüfenden Kommission sogar ermutigt worden sind, noch schärfer zu sein. Bei unseren Gastspielen gab es allerdings keine Prüfung oder Zensur.

Nach 40 Jahren erfolgreicher Karriere würden mich die Produktionsbedingungen von Kabarett interessieren. Gegenwärtig wird viel über vermeintliche Sprechverbote oder »cancel culture« gesprochen. Beeinflusst Sie das?

Michael Well: Wir machen das von uns aus nicht zum Thema. Aber was manchmal schon fehlt, ist eine gewisse Ironiefähigkeit der Menschen. Es wird nicht mehr unterschieden, was eigentlich Satire ist und was nicht. Wenn sich etwa der WDR-Intendant Tom Buhrow mehrfach entschuldigen muss, weil ein Kinderchor über die »Umweltsau« singt und dann ein massiver Shitstorm tobt, nervt das schon.

Karl Well: Das alles wird durch die sozialen Medien befeuert, aber da halten wir uns auch komplett raus.

Polt: Früher wurden die Dumpfheiten meist schlicht am Stammtisch ausgetragen. Heute sind diese Dumpfheiten über das Internet mit der ganzen Welt verbunden und glauben, wirklich Bedeutung zu haben. Haben sie aber nicht.

Herr Polt, Sie haben auch mal gesagt, Sie würden ältere Stücke heute wieder genauso schreiben und aufführen wie früher.

Polt: Ja, warum denn nicht? Die Rollen, in die ich schlüpfe und die Figuren, die ich darstelle, sind aus aus einer Auseinandersetzung mit der Realität entstanden. Viele basieren auch auf wahren Begebenheiten. Diese Rollen zweifeln meist gar nicht daran, ob das, was sie machen oder sagen, richtig oder falsch ist - und das stelle ich dann auf der Bühne dar.

In aller Banalität.

Polt: Genau so. So hat es auch Hannah Arendt in ihrem Buch über Adolf Eichmann beschrieben: Es geht darum, diese schreckliche und entsetzliche Banalität sichtbar zu machen. Das versuche ich und hoffe, dass das Publikum etwas dabei lernt.

Sie haben sich vielfältig engagiert. Sie haben gegen Wackersdorf protestiert und sich in Ihrer Arbeit immer wieder gegen die Kirche, die CSU und dieses »Mia san mia«-Gefühl gestellt. Nun stehen wir vor einer neuen Bundesregierung. Was erwarten Sie kabarettistisch von einer möglichen Ampelregierung?

Michael Well: Wir sind eher in Bayern verortet und da gibt’s noch lange keine Ampel - da gibt’s nur Ampeln auf der Straße [lacht]. Aber das Parteiensystem ist vielfältiger geworden, das macht es auch für das Kabarett interessanter. Ich denke, es wird auch weiter in Berlin Skandale genug geben, aber wir fokussieren uns auf den Mikrokosmos Bayern.

Karl Well: Wobei der Christian Lindner kabarettistisch sicher einiges hergeben kann.

Polt: Oder Philipp Amthor. Der wirkt ja wirklich wie eine Figur von Wilhelm Busch. Wenn man ihn auf dem Oktoberfest vor eine Bude stellt, muss der gar nicht mehr viel machen. Da lacht man einfach so - das hat auch was [lacht]. Also langweilig wird es für uns sicher nicht.

Gerhard Polt & Die Well-Brüder: »40 Jahre« (JKP/Warner) als CD oder Vinyl

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.