Äthiopien am Scheideweg

Martin Ling über einen gescheiterten Friedensnobelpreisträger

Äthiopiens Ministerpräsident Ahmed Abiy hat sein Wort gebrochen: Vor fast genau einem Jahr, am 4. November 2020 hatte der Friedensnobelpreisträger seinen Feldzug in der Region Tigray begonnen. Mit einer kurzen Militäraktion sollten Recht und Ordnung wieder hergestellt werden. Kurz darauf erklärte er die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) für besiegt. Ein Trugschluss. Ein Jahr später steckt das Land tiefer denn je in einem blutigen Bürgerkrieg, der bisher vermutlich Zehntausende Menschen das Leben gekostet und Hunderttausende in die Flucht getrieben hat. Eine Hungersnot kommt obendrauf.

Abiy trägt nicht die Alleinschuld an diesem Desaster, aber er trägt die Hauptverantwortung. Sein ursprüngliches Ziel war es, die tigrayische Regierungspartei TPLF zu entmachten, die kurz zuvor ein Militärlager angegriffen hatte. Die TPLF hatte nach dem Sturz von Diktator Mengistu 1991 bis 2018 mit eiserner Hand über das Land geherrscht. Dabei stellen die Tigrayer nur sechs Prozent der Bevölkerung, was in dem Vielvölkerstaat mit rund 115 Millionen Menschen aus über 80 Ethnien für wachsenden Unmut sorgte.

Abiy wollte ein neues Äthiopien schaffen, ein Land, in dem die Partikularinteressen der Ethnien hinter einem Gesamtinteresse zurücktreten sollten. Die TPLF, die an den Schalthebeln von Armee und Wirtschaft saß, wollte da nicht mitspielen. Die TPLF berief sich nach ihrer Entmachtung auf die Verfassung, die eine föderale Republik festschreibt, in der die größten Volksgruppen und ihre Regionen große Autonomie genießen - eine Verfassung, die sie selbst oft missachtete.

Abiy nahm den Fehdehandschuh auf, schürte ethnischen Hass auf die Tigrayer, statt auch nur zu versuchen, die TPLF politisch einzuhegen. Das war ein fataler Fehler. Es gibt keine militärische Lösung für die ethnischen Konflikte in Äthiopien. Es bleiben nur ein allseits akzeptierter Föderalismus oder der Zerfall des Landes. Letzteres ist derzeit wahrscheinlicher.

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