- Berlin
- Mietenwahnsinn
Mietensteuer für Umverteilung
Wirtschaftsforscher legen Konzept zur Abschöpfung von Immobiliengewinnen vor
205 Millionen Euro pro Jahr für den sozialen Wohnungssektor, so viel könnte Berlin mit einer neuen Mietensteuer erlösen. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Berlin hervor. Damit könnte beispielsweise jährlich der Bau von 7500 Wohnungen finanziert werden, rechnen die Autoren Stefan Bach, Claus Michelsen und Marco Schmidt vor.
»Die Idee ist ganz klar: Man will die realisierte Bodenrente abschöpfen«, sagte Bach zu »nd«. Bei Grundeigentümern habe es eine regelrechte »Vermögenslotterie« gegeben, in den letzten zehn Jahren hätten sich schließlich die Immobilienpreise verdoppelt. Das seien leistungslose und oft auch steuerfreie Vermögenserträge, zumal die Bundesrepublik in Immobilienfragen ein »Niedrigsteuerland« sei.
Vorbild für den Vorschlag ist die 1924 in der Weimarer Republik eingeführte Hauszinssteuer, mit der die durch die vorherige Hyperinflation entschuldeten Hauseigentümer an den Kosten des öffentlichen Wohnungsbaus beteiligt werden sollten. Zahlreiche Siedlungen der Moderne wie die Hufeisensiedlung in Neukölln entstanden in der Folge. Die Autoren verweisen in einem Beitrag vom Januar auch auf die Wirtschaftskrise im Zuge der Corona-Pandemie, die wegen hoher staatlicher Hilfen vor allem an Grundeigentümern fast spurlos vorbeigegangen ist.
Mit einer progressiv ausgestalteten Mietensteuer könnten die Immobilienbesitzenden »moderat ›enteignet‹« werden, heißt es in der DIW-Studie. Dabei soll es vor allem um hohe Mieten gehen, erst ab 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete sollten zunächst zehn Prozent Steuersatz fällig werden, der bis auf 30 Prozent ab 130 Prozent Miethöhe steigen soll. Der Wohnungskonzern Akelius hätte demnach auf die 16,42 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, zu denen laut Akelius-Mieter*innenvernetzung im Durchschnitt im Jahr 2019 Wohnungen neu vermietet hatte, rund 2,50 Euro monatliche Steuer zu entrichten. Der Mittelwert laut Mietspiegel lag damals bei 6,72 Euro.
»Im Gegensatz zur Grundsteuer könnte diese Steuer auch nicht auf die Mieter abgewälzt werden«, sagt Stefan Bach vom DIW Berlin. Er geht davon aus, dass Berlin diese Abgabe auch in Länderkompetenz erheben könnte, ähnlich der City Tax für touristische Übernachtungen in der Stadt.
Die Autoren der Studie sehen ihr Konzept als Gegenentwurf zu »fragwürdigen Versuchen«, wie dem gescheiterten Berliner Mietendeckel oder auch dem erfolgreichen Volksbegehren der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.
In diesem Punkt widerspricht der Stadtsoziologe Andrej Holm. »So charmant die Grundidee ist, Gewinne aus dem Immobilienbereich abzuschöpfen, so wenig Effekt hat das auf die die konkrete Wohnsituation«, sagte er zu »nd«. Es fehlten gerade Wohnungen im preisgünstigsten Segment, auch mit der Steuer gäbe es dort weiterhin Erhöhungsspielräume. »Eine Mietensteuer wäre eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Instrumenten, um eine dauerhafte Förderbasis für den sozialen Wohnungsbau bekommen«, so Holm weiter.
Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, hält eine als Ersatz für Mietpreisregulierung gedachte Mietensteuer für »nicht erfolgversprechend«. Auch sei fehlendes Geld der öffentlichen Hand nur ein Teil des Problems. »Die Bauwirtschaftskapazitäten, Personalmangel in der Verwaltung, Ressourcenschonung und Klimaschutz sowie Bodenspekulation lösen wir ja nicht einfach mit mehr Geld«, sagte er zu »nd«. Man könne damit zwar die Förderung im Sozialen Wohnungsbau auf 80 Prozent der Baukosten erhöhen, wie in den 1950er Jahren. »Aber gibt es deshalb mehr interessierte Bauherren?«, fragte er.
»Absurd wird die Idee, wenn man den Eigentümern erst die hohen Mieten lässt, sie dann hoch besteuert und die Einnahmen zur individuellen Mietsenkung verwendet«, kritisierte Wild. »Sollte der Vorschlag als Einstieg in eine Debatte über die Besteuerung größerer Vermögen gedacht sein, dann nur zu!«, sagt der Mieterlobbyist.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.