- Berlin
- Kältehilfe in Berlin
Für einen Winter ein wenig Zuhause
Obdachlose können in einer Unterkunft in Berlin barrierefrei unterkommen
»Kältehilfe ist immer ein Kraftakt«, fasst Claudia Nickel ihre Erfahrungen zusammen. Ohne ehrenamtliche Hilfe gehe in den Monaten der Saison von November bis März meistens gar nichts, sagt Nickel. Sie leitet für den Sozialträger Internationaler Bund (IB) seit November unter anderem die neu eröffnete Kältehilfeeinrichtung in der Kurmärkischen Straße in Schöneberg.
Gemeinsam mit Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) erläutert die IB-Mitarbeiterin am Dienstag, wie Kältehilfe im Winter eine Unterstützung für Menschen sein kann, die auf der Straße leben, auch wenn dieses Notsystem von vielen Sozialträgern selbst als zu wenig nachhaltig kritisiert wird. Die seit November vom IB betriebene Einrichtung hat hier vor Ort im Bülow-Kiez in Berlin-Schöneberg mehrere Aufgaben.
Zum einen ist die im ehemaligen Familienzentrum »Kurmark«, das von der Fröbel-Pestalozzi-Stiftung betrieben wurde, angesiedelte Unterkunft für 30 Menschen barrierefrei. Es gibt eine Rollstuhlrampe und die gesamte Etage sowie der Zugang zur Dusche sind ebenerdig. Dazu kommt, dass die Gäste, die hier die Nacht verbringen, sich ihr Bett auch für den Winter »reservieren« können. »Es gibt Menschen, die sind gekommen und haben gesagt ›Ich bleibe bis März‹«, berichtet Claudia Nickel.
Auch Angehörige einer Gruppe obdachloser Menschen, der man laut Elke Breitenbach bis zur ersten berlinweiten Zählung im Januar 2020 bei der bisherigen Kältehilfe-Unterbringung nicht genügend Beachtung geschenkt hatte, finden in der Kurmärkischen Straße nun ein Zimmer: Menschen, die als heterosexuelles Paar auf der Straße zusammenleben und in Einrichtungen, in denen Männer und Frauen strikt getrennt untergebracht sind, nicht aufgenommen werden können. Während ihnen die gewisse Enge des Doppelzimmers, das ihnen hier zur Verfügung steht, nichts ausmachen dürfte, setzt man angesichts der in den anderen Zimmern zuweilen etwas nahe beieinander stehenden Betten pandemiebedingt vor allem auf regelmäßiges Testen auf Covid-19 bei der Ankunft. Zudem bringe man kleine Gruppen, die die Tage gemeinsam verbringen, dann auch zusammen in einem Zimmer unter, wenn sie das wünschen und schaffe so nicht unnötig größere Infektionsgemeinschaften.
Claudia Nickel freut sich zusammen mit ihren Mitarbeiter*innen vor allem über die großzügig eingerichtete Küche im ehemaligen Familienzentrum. »Auch wenn wir das warme Abendessen vor allem aus Dosen anrichten, weil es mit Lieferdiensten nicht so gute Erfahrungen gab, ist es toll, eine Küche zu haben«, sagt die Leiterin. So gebe es ab und an auch ein von den insgesamt 20 ehrenamtlichen Helfer*innen selbst gekochtes Essen. Viele von ihnen seien auch deshalb eine große Hilfe, weil sie mit Kenntnissen osteuropäischer Sprachen als Sprachmittler tätig sein können - denn eine immer größer werdende Gruppe Obdachloser sind Menschen, die im Rahmen der EU-Freizügigkeit nach Deutschland und Berlin kommen und hier auf der Straße landen, weil ihnen im Fall von Arbeitsausbeutung oder Arbeitslosigkeit zu oft behördliche Hilfe versagt wird. Sie haben eigentlich ein Recht auf Unterbringung per bezirklich zu regelnder Wohnungslosenhilfe.
Dass die Corona-Pandemie für die Obdachlosenhilfe in der Hauptstadt eine große Herausforderung darstellt, ist bekannt. Vor allem benötigten viel mehr Menschen eine Unterkunft, die sich bisher zuweilen noch durch ein prekäres Einkommen selbst eine leisten konnten. »Für die Sexarbeiterinnen hier im Kiez hieß die Pandemie, dass sie kein Geld mehr verdienen konnten«, erklärt dazu Sozialsenatorin Breitenbach. So sei zu spüren gewesen, dass deutlich mehr Frauen auf die Unterbringung per Kältehilfe angewiesen wären. Es gibt in der Gegend trotz vieler Hilfsprojekte immer wieder Konflikte um Sexarbeit, Drogenkonsument*innen und Obdachlose, zuletzt seitens der Bewohner*innen einer Senioreneinrichtung gegenüber der ehemaligen »Kurmark«, wo man sich beschwert hatte, dass Obdachlose im Winter die Hauseingänge und Treppenaufgänge nutzten, um sich aufzuhalten. Zuletzt hatte die Wohnungsbaugesellschaft einen Sicherheitsdienst beauftragt, dafür zu sorgen, dass das nicht mehr geschieht.
»Man merkt deutlich, wie sich die Situation entspannt, wenn so eine Einrichtung wie diese öffnet«, sagt auch Edith Kinzelmann. Die ältere Dame wohnt seit vielen Jahren in der Nähe und interessiert sich für das Kiezmagazin »Mittendran« für das Geschehen. Sie sei froh, dass auch mit dem geplanten »Campus der Generationen« 15 Wohnungen entstehen könnten, in denen der IB unter anderem Menschen unterbringen will, die unfreiwillig obdachlos sind.
Kältehilfe sei nicht nachhaltig und »unendlich teuer«, sagt die Sozialsenatorin. »Schön wäre es, wenn wir die Kältehilfe-Plätze wieder reduzieren können - aber erst, wenn die Menschen langfristig in Wohnungen untergebracht sind.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.