Viele Feinde im eigenen Land

Der erfolglose irakische Premier muss eine gespaltene Gesellschaft regieren

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Suche nach den Tätern läuft auf Hochtouren. Politik und Polizei blicken vor allem nach Teheran und auf jene Milizen, die von der iranischen Revolutionsgarde unterstützt werden. »Ausländische Kräfte versuchen, unser Land in einen Konflikt zu stürzen«, sagte der irakische Regierungschef Mustafa Al-Kadhimi am Montagmorgen. Am Tag zuvor hatten unbemannte Drohnen im Morgengrauen sein Wohnhaus in der »Grünen Zone« angegriffen, einem streng bewaffneten Gebiet in Bagdad, in der sich das politische Leben abspielt, meist weitgehend isoliert vom Rest des Landes.

Proteste gegen Wahlergebnisse

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Die iranische Regierung bestreitet eine Beteiligung und verurteilte den Anschlag. Auch die vom Iran unterstützten Milizen weisen die Vorwürfe von sich, doch ihre politische Vertretung, die Fatah, weigert sich, das Ergebnis der Parlamentswahl von Anfang Oktober anzuerkennen, spricht von Wahlbetrug und ruft ihre Anhänger*innen immer wieder zu Demonstrationen gegen die Regierung auf. Die Fatah hatte bei der Wahl zwei Drittel ihrer Sitze eingebüßt; stärkste Kraft wurde die Partei des schiitischen Geistlichen Muktada Al-Sadr. Eine absolute Mehrheit hat aber keine Fraktion im Parlament, und auch nicht in der Gesellschaft.

Denn der Irak ist gespalten wie jeher seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein: Die politischen Parteien sind fast immer eng mit den einzelnen religiösen oder ethnischen Bevölkerungsgruppen verbunden. Auch die politischen Führungsämter sollen gemäß eines nach der US-Invasion 2003 geschlossenen Deals unter Kurd*innen (Präsidentschaft), Schiit*innen (Regierungschef*in) und Sunnit*innen (Parlamentssprecher*in) aufgeteilt werden. Hinzu kommt eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen, die sich offiziell im Umfeld der politischen Parteien bewegen, sich auch zum größten Teil während des Kampfes gegen den »Islamischen Staat« (IS) unter den Befehl der Regierung gestellt hatten und dann Seite an Seite mit der internationalen Allianz gegen den IS kämpften. Doch im Alltag werden viele dieser Milizen vor allem für die exorbitante Kriminalitätsrate in Bagdad und anderen Städten verantwortlich gemacht.

Ministerpräsident Al-Kadhimi hat sich viele Feinde gemacht, denn zuvor war er gut vier Jahre lang Geheimdienstchef gewesen und maßgeblich am Kampf gegen den IS beteiligt. Anfang 2020 wurden in Bagdad der iranische General Qassem Soleimani und Abu Mahdi Al-Muhandis, Anführer der dem Iran nahestehenden Miliz Kata’ib Hesbollah, durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff getötet. Die Miliz gilt als militärischer Flügel der Fatah. Nach dem Angriff lobte das Weiße Haus die Zusammenarbeit mit den »irakischen Sicherheitsbehörden«.

Nach Al-Kadhimis Amtsantritt gingen Geheimdienst und Sondereinsatzkommandos auch gegen die bewaffneten Milizen vor. Immer wieder kritisierte der Premier, »der Irak sei zu einem Bandenstaat« geworden. Doch seine Erfolgsbilanz ist dürftig: Anklagen hat es bis jetzt nicht gegeben, und die Lebensbedingungen der Menschen haben sich in den vergangenen eineinhalb Jahren weiter verschlechtert. Im Sommer machte das Land eine Phase extremer Hitze durch, Stromausfälle sind die Regel, die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen.

Milizen töten Demonstranten

Dass Politiker, Diplomaten und Wirtschaftsbosse in dieser schweren Zeit ein komfortables Leben in der »Grünen Zone« verbringen, treibt bei vielen die Emotionen hoch und macht sie empfänglich für jene, die einfache Lösungen anbieten: Der Prediger Al-Sadr, der offiziell kein Politiker ist und nicht mal auf der Wahlliste seiner Partei stand, und Hadi Al-Amiri, Chef der Fatah und ausgesprochen Iran-nah. Al-Sadr kritisierte nach dem Anschlag, der Irak solle »unter die Kontrolle von nicht-staatlichen Kräften zurückgebracht« werden; eine Anspielung auf Al-Amiri, der auch eine Schlüsselfigur in der Kata’ib Hesbollah ist und großen Einfluss auf die Führung anderer Milizen hat. Während des Kampfes gegen den IS war er hochrangiger Kommandeur in den Volksmobilisierungskräften (VMK), einem Verbund aus gut 40 Milizen. Diese hatten sich unter den Oberbefehl des damaligen Regierungschefs Haider Al-Abadi gestellt und zusätzliche Waffen erhalten. Nachdem 2019 Massenproteste gegen die Regierung ausgebrochen waren, töteten Milizen unter der Verantwortung der VMK mindestens 1 000 Menschen.

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