- Kultur
- Nazi-Karrieren
Wenn der Mensch bloßes Ausbeutungsobjekt ist
Johann Chapoutot enthüllt, wie Netzwerke aus der Nazizeit im bundesdeutschen Betriebswesen fortlebten
Die Aus- und Nachwirkungen des Nationalsozialismus geben uns nicht frei. Nichts zu machen. Und hat man dieses Buch zu Ende gelesen, kann es einen nachdenklichen Leser frösteln lassen.
Er wolle ja keineswegs »Manager auf die Anklagebank setzen«, schreibt der französische Historiker Johann Chapoutot in seiner Einleitung, er wolle keineswegs »das Management, die Personalchefs oder Unternehmensberater unter Generalverdacht stellen«. Natürlich möchte er Verallgemeinerungen ausschließen, denn er ist kein Populist, sondern Professor an der Sorbonne in Paris. Was aber finden wir in diesem Buch?
Es geht vorrangig um Reinhard Höhn, 1904 geboren, Jurist und Staatsrechtler. Ab Mai 1933 Mitglied der NSDAP; September 1933 Mitglied der SS, bis 1935 Hauptabteilungsleiter im SD. Dank der Protektion Heinrich Himmlers machte er eine SS-Karriere bis zum Standartenführer und schließlich Oberführer, im Rang eines Generals also, blieb dabei bis zum Ende des Krieges. Ein »begnadeter Intrigant« und »unverbesserlicher Sozialdarwinist«, urteilt Chapoutot, der »die Welt als Kampfstätte« betrachtete und als Leiter des Instituts für Staatsforschung an der Berliner Universität mit vielen Schriften und Vorträgen für »eine wünschenswerte Verwaltung des eroberten ›Großraums‹« warb und agitierte. Und: »Er war und blieb ein Gegner des Staats«, betont Chapoutot, »eine Art Josef Mengele des Rechts«.
Der Staat sollte im Nationalsozialismus ersetzt werden durch die »Volksgemeinschaft«. Und aus der »Volksgemeinschaft« sollte dann nach 1945 die »Mitarbeiter-Gemeinschaft« in westdeutschen Unternehmen werden, als »Hort der Freiheit, Kreativität und Selbstverwirklichung«. Über allem das Thema: »Menschenführung« und »Lebensraum«. Schon im NS-Staat entwickelte Höhn ein Managementkonzept, das er nach 1945 bruchlos übernehmen konnte. Das Prinzip: Jeder sei frei zu gehorchen. Ihm werde zwar ein Ziel vorgeschrieben, doch danach sei er völlig frei darin, wie und mit welchen Mitteln er dieses Ziel erreichen wolle.
Im Übrigen ein Prinzip aus der Militärgeschichte, orientiert am Vorbild des Generalleutnants Gerhard von Scharnhorst aus dem 19. Jahrhundert. Angewendet auf den Soldaten bedeutete das: »Seine Freiheit bestehe allein darin, selbstständig und autonom herauszufinden, wie der Hügel zu erobern oder der Ort einzunehmen sei. Er ist also frei zu gehorchen.« Im zivilen Leben eines Angestellten führte dieses »bemerkenswert effiziente, aber auch bemerkenswert niederträchtige« Prinzip, wie Chapoutot betont, zu ungeheuren und auch zerstörerischen Anstrengungen. Denn niemand wolle als Versager und somit schuldig dastehen, wenn das Ziel verfehlt werde. Burnout, Angst, Erschöpfung sind mittlerweile anerkannte Symptome einer solchen Überforderung. Auf der anderen Seite ist es schwer, Verantwortliche zu benennen, jedenfalls in den oberen Etagen einer Hierarchie, denn wie gesagt: Jeder sei so frei in seinem Handeln, wie es ihm möglich ist. Wirklich zu entscheiden habe er freilich nichts. Steht am Ende also das, was heute mit dem Begriff »organisierte Verantwortungslosigkeit« bezeichnet wird, worunter die Deutschen in der Pandemie besonders zu leiden haben?
Ganz so einfach macht es der französische Historiker dem deutschen Leser nicht, schließlich ist er wie gesagt Professor an der Sorbonne. Doch er schreibt auch: »Frauen und Männer gefügig zu machen, indem man sie als bloße Produktionsfaktoren betrachtet, und die Erde zu verwüsten, weil man sie als bloßes Ausbeutungsobjekt begreift, sind zwei Seiten derselben Medaille.« Entfremdete Arbeit also als oberste Maxime.
Höhns Konzept für die Bundesrepublik Deutschland lautete: »Management durch Delegation von Verantwortung«, das Harzburger Modell. Worin »die Kontinuitäten zur NS-Zeit mehr als augenfällig sind«, fügt Chapoutot hinzu. Tatsächlich führte Höhn beinahe seine Karriere im Nazireich fort. Er wurde zum »Guru des Managements« im Westen Deutschlands. Auch Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr pilgerten nach Bad Harzburg, um sich fortzubilden. Bis die Studentenbewegung seiner Karriere ein abruptes Ende bereitete. Helmut Schmidt schließlich sah sich nach einigen Enthüllungen im März 1972 als damaliger Verteidigungsminister genötigt, die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Harzburger Akademie zu beenden.
Was Höhns publizistischen Eifer fortan freilich nicht beeinträchtigte. Und zu seinem Tod, im Mai 2000, priesen ihn immer noch alle führenden deutschen Zeitungen in Nachrufen und bezeichneten ihn unter anderem »einhellig als großen Vordenker des modernen Managements«. Netzwerke aus der Nazizeit hatten auch im Betriebswesen über Jahrzehnte erfolgreiche Politik betrieben. Die angstbesetzte Unternehmensführung beim Discounter Aldi beispielsweise beruht wohl noch heute auf den Bad Harzburger Managementmethoden.
Johann Chapoutot hat mit seiner Studie kein Neuland betreten, in der Literaturliste weist der französische Historiker eine Reihe von Vorarbeiten aus. Er hat ein anspruchsvolles und gründlich recherchiertes Buch zu beklemmenden Kontinuitäten im bundesdeutschen Management verfasst, um am Ende auch unser ganz gewöhnliches Arbeitsleben kritisch zu betrachten. Dies ist zweifellos ein Buch, das Debatten auslösen wird.
Johann Chapoutot: Gehorsam macht frei. Eine kurze Geschichte des Managements - von Hitler bis heute. Aus dem Französischen von Clemens Klünemann. Propyläen, 176 S., geb., 22 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.