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Bidens riskantes Konjunkturpaket
Das am Montag in Kraft gesetzte überparteiliche Infrastrukturpaket in den USA fördert vor allem Männer
Joe Biden hat ein Problem. Seine Politik ist beliebter als er selbst. Laut einer Umfrage von Mitte November befürworten nur noch 41 Prozent seine Amtsführung, aber 63 Prozent sein überparteiliches Infrastrukturpaket und 58 Prozent das zweite geplante Paket mit Maßnahmen zur Stärkung des Sozialstaats und gegen die Klimakrise. Biden muss die Demokratenbasis begeistern, reale Verbesserungen erreichen, damit seine Partei bei den Zwischenwahlen 2022 zumindest eine Chance hat, ihre knappe parlamentarische Mehrheit im US-Kongress zu verteidigen. Doch gerade riskiert Biden, eine besonders wichtige Gruppe der demokratischen Wählerkoalition zu enttäuschen: die Frauen. Sie könnten in einem bereits beginnenden »Post-Corona-Boom« abgehängt werden.
Im Bemühen, den Eindruck der US-Amerikaner zu verändern, er habe bisher nicht besonders viel erreicht, konnte Biden vergangene Woche einen Sieg erringen. Das Repräsentantenhaus beschloss das überparteiliche Infrastrukturpaket mit 550 Milliarden Dollar neuen Investitionen. Am Montag setzte Biden es mit seiner Unterschrift in Kraft. Über ein zweites Gesetzespaket zur »sozialen Infrastruktur«, das vielen Frauen im Land besonders helfen würde, könnte das US-Repräsentantenhaus auf Drängen der Parteilinken bei den Demokraten noch diese Woche abstimmen.
Doch das 1750-Milliarden-Dollar-Paket, das in den vergangenen Wochen von einigen konservativen Demokraten immer weiter zusammengekürzt wurde, ist noch nicht vom US-Senat verabschiedet worden. So bremst West Virginias Demokraten-Senator Joe Manchin es jetzt wieder aus – die durch die Pandemie verursachte hohe Inflation muss als Argument dafür herhalten. Und wenn die Verabschiedung des Pakets bis in das neue Jahr verzögert wird, könnten einige weitere Parlamentarier wegen des beginnenden Wahlkampfs kalte Füße bekommen.
Bei den traditionellen »Stimmungstest«-Wahlen in Virginia Anfang November verloren die Demokraten laut Nachwahlbefragungen vor allem Stimmen in einer Gruppe: und zwar bei weißen Frauen. 2020 errang Joe Biden 57 Prozent der Frauenstimmen, aber nur 45 Prozent der Männerstimmen – ganz ähnlich wie viele Präsidentschaftskandidaten der Demokraten vor ihm auch. Es sind Frauen, die den US-Demokraten regelmäßig Mehrheiten und Macht sichern.
Das überparteiliche Infrastrukturpaket enthält über fünf Jahre gestreckt viel Geld für den Bausektor und männerdominierte Berufe: unter anderem 110 Milliarden für die Instandsetzung von Straßen und Brücken, 66 Milliarden für den Bahnverkehr, 65 Milliarden für den Ausbau des Breitbandinternets auf dem Land und 65 Milliarden für die Modernisierung des Stromnetzes.
Das Paket zur sozialen Infrastruktur hingegen würde über acht Jahre verteilt unter anderem 550 Milliarden Dollar für Maßnahmen gegen die Klimakrise investieren, 400 Milliarden für die Einführung eines landesweiten staatlichen Kitaprogramms und zur Subventionierung von Kinderbetreuungskosten, 200 Milliarden für ein erhöhtes Kindergeld, 150 Milliarden für die Altenpflege zu Hause und 150 Milliarden für das Gesundheitssystem.
Die Jobs in der Kinderbetreuung und Altenpflege werden in den USA zu 90 Prozent von Frauen übernommen – zu Niedriglöhnen. Laut Angaben des liberalen Think Tanks Center For American Progress stellen Frauen rund 90 Prozent des Personals in Kitas, Vorschulen, Grundschulen und in der Altenpflege, aber nur fünf Prozent der Bauarbeiter. 3,5 Millionen Frauen verließen 2020 den Arbeitsmarkt, um angesichts geschlossener Schulen die Kinderbetreuung zu übernehmen. Industriearbeiter waren hingegen kaum von Jobverlusten betroffen. Die gab es vor allem im Dienstleistungs- und Tourismussektor, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind.
Sollte das Sozialpaket nicht oder nur stark ausgedünnt kommen, drohen sich die Geschlechterungleichheiten aus der Pandemie beim »Wiederaufbau« fortzusetzen. Der frauendominierte Care-Bereich würde nicht oder kaum mit Geld und steigender Vergütung gefördert, die überwiegend die Sorgearbeit übernehmenden Frauen nicht entlastet – das wird nicht gut ankommen.
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