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Flüchtlinge in Haft
In Griechenland werde die Inhaftierung Geflüchteter zum neuen Regelfall, kritisieren der Griechische Flüchtlingsrat und Oxfam
»Wir waren 22 Stunden am Tag in unseren Zellen eingesperrt - kein Mobiltelefon, keine Besuche, ekelhaftes Essen. Oft mussten wir die Wachen anflehen, uns aufzuschließen, um auf die Toilette zu gehen. Und manchmal war nicht einmal das möglich«, erzählt Omar (Name geändert), ein syrischer Asylsuchender, der sieben Monate in einer Athener Polizeistation in Verwaltungshaft gehalten wurde. Weitere zweieinhalb Monate verbrachte er in dem Gefangenenlager Amygdaleza, nördlich der Hauptstadt. Omar ist einer von mehreren Fallbeispielen aus dem Bericht »Inhaftierung als Regelfall«, der am Dienstag vom Griechischen Flüchtlingsrat (GCR) und der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam veröffentlicht wurde.
Die Organisationen dokumentieren darin einen starken Anstieg inhaftierter Migrant*innen seit 2016. Dies dürfte auch an einer Gesetzesänderung liegen, nach der Asylbewerber*innen in Griechenland zum Zwecke einer Identitätsüberprüfung inhaftiert werden dürfen. Gleichzeitig wurde die Pflicht für Behörden abgeschafft, Alternativen zur Haft zu prüfen, und die maximale Dauer der Inhaftierung auf bis zu drei Jahre verlängert.
Laut Bericht belief sich die Gesamtzahl der inhaftierten Personen 2016 auf 14 864, davon 4072 Asylsuchende. Bis 2019 habe sich die Gesamtzahl auf 30 007 verdoppelt, davon 23 348 Asylsuchende. Im Jahr 2020 habe es einen Rückgang auf 14 993 Personen gegeben, davon 10 130 Asylsuchende. Diesen Rückgang führt der Griechische Flüchtlingsrat (Greek Council for Refugees) unter anderem darauf zurück, dass während der Pandemie weniger Menschen in Griechenland ankamen. Für das laufende Jahr gibt es noch keine abschließenden Zahlen über Festnahmebeschlüsse. Doch seien allein im Juni fast 3000 Migrant*innen zeitgleich inhaftiert gewesen. »Und das ist eine sehr hohe Zahl«, sagt Vasilis Papastergiou, Rechtsexperte des Griechischen Flüchtlingsrats, gegenüber »nd«.
Er kritisiert, dass zudem fast die Hälfte der inhaftierten Migrant*innen länger als sechs Monate inhaftiert gewesen seien. Unter den Gefangenen waren unter anderem Menschen, die vor oder während der Haft Asyl gesucht haben, Menschen ohne Papiere und fast alle Migrant*innen, die die Insel Kos erreichten. »Die griechischen Behörden weigern sich, Alternativen zur Inhaftierung zu prüfen, selbst in Fällen, in denen eine Abschiebungsentscheidung getroffen wurde, aber nicht umgesetzt werden kann«, heißt es im Bericht.
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Dabei sollte die Verwaltungshaft laut EU-Richtlinien nur dann eingesetzt werden, wenn sich alle anderen Mittel erschöpft haben. »Die Verwaltungshaft soll Menschen davon abhalten, in Europa Schutz zu suchen. Deshalb wird sie zur Regel gemacht, statt eine Ausnahme zu bleiben. Das verstößt gegen internationales, europäisches und griechisches Recht, ist moralisch untragbar und zudem teuer«, sagt Papastergiou. Es komme erschwerend hinzu, dass die Betroffenen keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbeistand erhalten. »Wir sehen, wie Menschen in der Haft an vermeidbaren Krankheiten sterben oder sich aus purer Verzweiflung das Leben nehmen.
Die griechischen Behörden dürfen die Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie sich ein Leben in Europa aufbauen wollen. Sie müssen Alternativen zur Haft prüfen und nutzen«, fordert Erin McKay, Migrationsexpertin von Oxfam. Alternativen könnten etwa die Angabe einer festen Adresse oder regelmäßige Vorstellungen auf einer Polizeistation sein.
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Ähnlich abschreckend sollen wohl die fünf EU-finanzierten Flüchtlingslager mit »geschlossenem und kontrolliertem Zugang« wirken. Das erste wurde Ende September auf der Insel Samos eröffnet. Auch in diesen eingezäunten Lagern werde die Bewegungsfreiheit der Geflüchteten stark eingeschränkt, so Papastergiou.
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