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Warum Fasching unerträglich ist

Fasching, Fastnacht, Karneval: Für die einen ist es die schönste Zeit im Jahr – Sexismus und Rassismus, Pandemie und rechtem Terror zum Trotz

  • Ayesha Khan
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt eine Sache, die mich in über dreißig Jahren Deutschland nie wirklich interessiert hat und diese Sache heißt Fasching. Oder Karneval. Es ist mir auch egal, wie es heißt. Dafür gibt es mehrere Gründe:

1. Ich finde es unangenehm, wenn erwachsene Menschen, besonders weiße cis-Hetero-Männer, betrunken feiern. Noch schlimmer finde ich es, wenn sie dabei verkleidet sind. Und wenn ich sage »unangenehm«, dann meine ich so unangenehm, dass ich von dem Gedanken und erst recht von dem Anblick körperliche Beschwerden habe. Mir wird flau im Magen, und ich spüre, wie sich Angstzustände anbahnen. Meine Freund*innen und ich haben in solchen Räumen, von solchen Menschen so viel Gewalt und Übergriffigkeit erlebt, dass uns das für alle Zeiten geprägt hat. Und damit sind wir nicht allein: Die Zahl der Übergriffe und Fälle sexualisierter Gewalt während Karnevals- und Faschingsfeiern steigen seit Jahren. Je älter ich werde, desto öfter höre ich aus dem Umfeld, dass Personen davon berichten, wie viele Übergriffe sie zum Beispiel auf dem Straßenkarneval oder auf dem Faschingsfest des Betriebes erlebt haben.

Der Khan-Report
Ayesha Khan erzählt Geschichten über das Aufwachsen in einem (post)migrantischen Deutschland. Wie das Land sind diese mal lustig, aber öfter auch traurig.

Seit Jahren reden wir, auch Dank metoo, offener darüber, wo, wann und vor allem wie häufig Frauen und generell FLINT-Personen (Frauen, Lesben, inter, non-binary und trans Personen) Übergriffe und Belästigung erfahren. Doch auch nach all den Jahren, scheint es jedes Mal so, als wäre es ein Unding, dies in Bezug auf Karneval zu thematisieren. Wieso eigentlich? Wieso nicht an diesen alten deutschen Bräuchen und Kulturgütern rütteln, bis auch der letzten Person klar wird, dass diese Traditionen, ihre Räume und Feiern nicht frei von sexualisierter Gewalt und Übergriffen sind.

2. Ich habe mich schon als Kind ungern verkleidet. Mein Bruder hingegen mochte Fasching sehr. Oft zogen wir einfach das Gleiche an, da mir die Fantasie, aber auch der Elan fehlte, mir ein witziges oder originelles Kostüm auszudenken. Nur ein einziges Mal habe ich mich gerne verkleidet. Es gab einen Contest, und ich dachte, wenn ich jetzt meinen schönen Sari trage, dann muss ich doch gewinnen. Ich fühlte mich unbesiegbar, hatte ich doch ein authentisches Kleidungsstück an. Handbestickt, aus der Heimat. Edel und klassisch.

Doch ich hatte die Rechnung ohne Johanna G. gemacht. Johanna G.s Mutter hatte ihr einen Baumwollsari besorgt. Und da stand sie nun. Johanna G. in einem pinken T-Shirt und 5 Metern Stoff, ohne Sinn und Zweck um den Körper drapiert, auf der Stirn ein riesengroßer Punkt in Rot. Die Jury war begeistert. Applaus für die super Verkleidung als exotische Inderin. Erster Platz für Johanna G. und kein Platz für mich auf dem Siegertreppchen, da es ja keine Verkleidung ist, wenn ich es trage. Mein 14-jähriges Ich hat damals beschlossen, nie wieder dieses »Fest« zu feiern.

3. Im Jahr 2020 dann aber wich die Gleichgültigkeit diesem Fest gegenüber einem neuen Gefühl: Abneigung. Ich erinnere mich daran, wie ich in diesem Jahr einen Beitrag über Faschings- und Karnevalsfeiern 2020 (für Deutsche war das vor Corona, obwohl es schon Fälle gab) sah. Bei den »Tagesthemen« erzählen Mitglieder von Karnevalsvereinen, wie toll Karneval auch in diesem Jahr noch war, und ich dachte nur daran, wie Weiberfastnacht am 20. Februar 2020 gefeiert wurde. Einen Tag nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau. Einen Tag. Einen Tag nach einem Anschlag feierten Menschen, auch in Hanau, Fasching. Sie nahmen an Umzügen teil. Ihr Leben ging weiter, wie bisher. Nichts hatte sich für sie geändert.

Richard Biegel, Teil des Vorstands vom Heimatbund Seligenstadt, sagte in der »Hessenschau« am 21. Februar 2020: »Die Fastnacht läuft. Das sind viele Tausend Menschen, und viele interessiert das gar nicht, was da passiert ist.« Seligenstadt ist circa 15 Kilometer von Hanau entfernt. Und während Ende Februar in Berlin bei einer Mahnwache der Opfer des Anschlags in Hanau gedacht wurde, feierten ganz in der Nähe Mitglieder des Bundestags so eine fette Karnevalsparty, dass die Polizei kommen musste.

Also nein. Mich interessiert Fasching nicht. Oder Karneval. Oder Fastnacht. So langsam aber sicher glaube ich sogar, dass ich es hasse.

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