• Kultur
  • Kommunikation in der Coronapandemie

Glanz und Lanz der Pandemiekommunikation

Warum eine Videokonferenz des sächsischen Ministerpräsidenten mehr Erkenntnis als jede Talkshow brachte

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

(Ergänzung 22.11.2021: Die im Artikel stehende Konferenz wurde auch im linearen Fernsehen übertragen und zwar im nichtgebührenfinanzierten Sender Sachsen Fernsehen. Der MDR stellte offenbar ebenfalls einen Livestream zur Verfügung)

Innerhalb von nur 17 Stunden war am Mittwoch und Donnerstag das breite Spektrum zwischen Glanz und Elend politischer Kommunikation im Angesicht der vierten Pandemiewelle zu beobachten. In einer Videokonferenz des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), in einer Talkshow und im Plenarsaal des Deutschen Bundestags.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Aus der Videokonferenz wurde am Donnerstagmorgen ausgiebig und prominent zitiert, vor allem die eindringlichen Worte des RKI-Chefs Wieler, die am Donnerstag ausgiebig zitiert worden sind. Tatsächlich waren zu Beginn des Gesprächs, das via Facebook »übertragen« wurde und nun auf Youtube abrufbar ist, nur circa 2000 Endgeräte eingeloggt. Zum Schluss der weit über zwei Stunden dauernden Runde waren es noch rund 700.

Sie hätte viel mehr Zuschauer verdient – und das lag neben den vorgetragenen Inhalten auch und vor allem am Format. Was ist damit gemeint? In der Runde fand ein wirkliches Gespräch statt – obwohl jeweils nur eine Person für längere Zeit sprach. Nehmen wir die Motivation des sächsischen Ministerpräsidenten und vor allem auch die daraus folgenden (oder meistens nicht folgenden) politischen Schritte einmal aus der Betrachtung heraus, die Runde brachte trotzdem einen Erkenntnisgewinn für jeden. Zum einen war die Runde breit aufgestellt: Mediziner und Ärzte, Handel und Handwerk, Eltern bis hin zu Sportvereinen. Jeder und jede kam hintereinander zu Wort, so kurz oder so lang er oder sie wollte oder brauchte. Ohne Unterbrechung. Die Beteiligten hörten einander zu, als wisse der oder die gerade Sprechende etwas, das man selbst als Zuhörer noch nicht weiß, aber als hörens- und wissenswert einstuft. Zuhören und ausreden lassen ist nicht allein höflich, es ist auch klug. Falls man nach einem Gespräch mehr wissen will als vorher.

Wenn allerdings andere Motive dominieren, dann läuft auch die Kommunikation anders. Zu beobachten ist das nicht zuletzt in den Talkshows, die in präpandemischen Zeiten nicht so eine katastrophale Wirkung entfaltet haben wie derzeit. Das liegt nicht einmal an den Talkshows an sich – die sind halt auf Konfrontation, knackige Pointen und Krawall gebürstete Unterhaltungssendungen. Das ist alles in Ordnung. Schwierig wird es bloß, wenn die Erwartung existiert und auch geschürt wird, sie könnten mehr sein als Fernsehunterhaltung: Komplexe Gedanken können dort kaum entwickelt und vorgetragen werden. Die Auseinandersetzungen sind allein durch die Gästeauswahl vorgezeichnet, Konfliktlinien vorgegeben. Die Moderatoren spielen eine Rolle, nur ist ihre zu prominent – aber schließlich heißt die Sendung auch nicht »Gespräch über ... « , sondern wie die Moderatoren selbst. Wie soll in diesem Format ein komplexer Gedanke entwickelt, präsentiert, seziert, angezweifelt werden? Gar nicht, geht nicht. Daran scheitern alle Gäste und jeder Gast wird spätestens nach einer Minute von einem anderen Gast oder einem Moderator unterbrochen. Es ist nicht immer gutes Theater mit einigem Improvisationsanteil. Wer es mag, soll es anschauen – aber dort etwas Substanzielles in der Pandemiebekämpfung, das über Schlagwörter und Einzeiler wie »Lassen Sie sich sich impfen!«, hinaus erwarten? Viel Erfolg.

Leider ist eine ähnliche Kritik auch an der heutigen Plenardebatte zu üben, ohne dabei in eine Generalkritik am demokratischen Vorgang selbst zu verfallen. Nur ist die Plenardebatte ja auch viel zu oft ein Theaterstück. Idealerweise werden dort Argumente offen vorgetragen und gewogen – bis auf ganz wenige Ausnahmen findet dies dort nie statt. Es ist stattdessen doppelbödige Kommunikation: Die Reden an die Parlamentarier sind in Wirklichkeit an die Wähler gerichtet, ohne sie dabei direkt zu adressieren. Das mag seine Rolle in einer ausdifferenzierten parlamentarischen Demokratie haben – ein Gespräch samt Zuhören und offener Austausch ist es eben auch nicht.

Solche Runden wie jene des sächsischen Ministerpräsidenten haben ein größeres Publikum verdient. Warum laufen sie auf Facebook und Youtube? So ein Gespräch ist vielleicht wegen des strengen Zeitkorsetts nichts fürs lineare Fernsehen – zumindest die Onlineübertragung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ein Dienst am demokratischen Diskurs. Und so ist der Rundfunkbeitrag gut angelegt.

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