Nach der Hilfe droht das Gefängnis

In Griechenland begann ein Prozess gegen Seenotretter. Urteilen muss ein anderes Gericht

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Prozess gegen zivile Seenotretter*innen in Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos haben die Richter*innen den Fall am Donnerstag an ein Berufungsgericht verwiesen. »Wir werden noch Monate auf Gerechtigkeit warten müssen«, kommentierte Seán Binder, einer der Angeklagten, die Entscheidung am Donnerstag auf Twitter. Der Prozess war bereits vor Beginn symbolisch hoch aufgeladen. Angeklagt sind 24 Mitarbeiter*innen der Nichtregierungsorganisation »Emergency Response Center International« (ERCI), die zwischen 2015 und 2018 Schutzsuchenden dabei halfen, nach der Überquerung der Ägäis Lesbos zu erreichen.

Doch offenbar sei das Gericht gar nicht zuständig gewesen, da sich ein Anwalt unter den Angeklagten befunden habe, heißt es von Beobachter*innen vor Ort. Binder sieht darin einen weiteren Beweis dafür, dass die griechische Staatsanwaltschaft sich »rechtlich, faktisch und nun auch verfahrenstechnisch geirrt« habe. Neben dem deutsch-irischen Rettungsschwimmer gehören die in Berlin lebende Syrerin Sarah Mardini und der Grieche Nassos Karakitsos zu den Angeklagten. Die griechischen Behörenden werfen ihnen Spionage, Weitergabe von Staatsgeheimnissen, Menschenschmuggel, Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche vor. Würden sie in allen Anklagepunkten verurteilt, könnte ihnen bis zu 25 Jahre Haft drohen. Am Donnerstag sollten nur einzelne Anklagepunkten verhandelt werden.

»Die heutige Vertagung bedeutet, dass sich diese Tortur für Sarah und Seán weiter in die Länge ziehen wird und sie in der Schwebe hält. Wir fordern die griechischen Behörden auf, ihre Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten und die Anklagen gegen Sarah und Seán fallen zu lassen«, sagte Giorgos Kosmopoulos von Amnesty International. Neunundvierzig Organisationen, darunter der Griechische Flüchtlingsrat, Oxfam, der Niederländische Flüchtlingsrat und das Rechtszentrum Lesbos, hatten bereits im Vorfeld Griechenland in einem Brief aufgefordert, das Verfahren einzustellen.

»Die Vorwürfe gegen die drei Aktivist*innen sind völlig unbegründet. Humanitäre Solidarität hat im Mittelmeer und in Griechenland nach 2015 Leben gerettet. Eine Bestrafung der Solidarität kann die Retter*innen abschrecken und weitere Menschenleben in Gefahr bringen. Das ist inakzeptabel«, sagte Vassilis Papastergiou vom Griechischen Flüchtlingsrat gegenüber »nd«. Seit 2014 sind allein im östlichen Mittelmeer fast 1700 Menschen ertrunken oder verschwunden. Im gesamten Mittelmeerraum waren es in dem Zeitraum mehr als 22 650.

Sarah Mardini lebt heute in Berlin und konnte den Prozess nicht selbst vor Ort verfolgen, ihr wurde die Einreise von den griechischen Behörden verweigert. Dabei wäre sie gern dort gewesen, um sich selbst zu verteidigen, erzählt sie dem »Spiegel«. Die 26-Jährige war 2015 gemeinsam mit ihrer Schwester Yusra aus dem zerbombten Syrien geflohen. Als sie mit einem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland übersetzen wollten, setzte der Motor aus. Die beiden Schwestern - beide gehörten zur syrischen Nationalmannschaft im Schwimmen - sprangen ins Wasser und zogen das Boot in Lesbos an Land. Dafür wurden sie als Heldinnen gefeiert.

Später kam Sarah Mardini zurück nach Lesbos und engagierte sich dort für andere Geflüchtete. Im August 2018 wollte sie nach einem längeren Einsatz nach Deutschland reisen. Doch noch am Flughafen auf Lesbos wurde sie festgehalten. Zusammen mit weiteren Aktivist*innen verbrachte sie über drei Monate in einem griechischen Hochsicherheitsgefängnis - und wurde nur gegen Kaution und auf Druck der Öffentlichkeit freigelassen. In Interviews sprach sie darüber, wie schwer die drei Jahre seit der Anklage für sie gewesen waren. »Seit drei Jahren habe ich ein Trauma«, sagt sie dem »Tagesspiegel«. »Ich wünschte, ich hätte es aus dem Krieg. Ich wünschte, ich hätte es von der Überfahrt. Was für eine Schande.«

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Auch Binder ist wütend: »Ich fordere Griechenland und die EU nur auf, das zu tun, was sie angekündigt haben: ihre eigenen Gesetze zu respektieren«, schrieb er auf Twitter und verwies auf das Asylrecht und die Pflicht im internationalen Seerecht, Schiffbrüchigen zu helfen. Die NGO ERCI hat sich nach den Festnahmen 2018 aufgelöst.

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