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Möhren bis zum Horizont
Vor rund 30 Jahren entstand der Gärtnerinnenhof Blumberg als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Frauen. Bis heute ist er Bio-Gärtnerei und Safe Space zugleich. Ein Arbeitstag auf dem Acker
Es riecht erdig feucht in der Küche mit den weiß-grün gestrichenen Wänden. Die kühle Novemberluft strömt durch die offene Tür hinein. Maria Natt steht an einem Whiteboard, auf dem die Pflanzkulturen der Saison aufgelistet sind. Ihre Wangen sind gerötet, die Haut ihrer Hände rau. »Wäre es okay, wenn du wieder die Lauchzwiebel machst? Willst du die Kräuter? Petersilie macht richtig Spaß«, fragt sie in die Runde.
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Es ist kurz nach acht Uhr und der Arbeitstag auf dem Gärtner*innenhof Blumberg nordöstlich von Berlin hat gerade erst begonnen. Für die Gärtner*innen ist es verhältnismäßig spät. Im Sommer stünden sie schon längst gebückt auf dem Feld. Nun ist der Herbst aber da und entzerrt das Tempo auf dem Acker bei Ahrensfelde. Gerade führt Betriebsleiterin Maria Natt noch die Gruppe durch die Planung. Die Gruppe, das sind sechs Mitarbeiter*innen und Natts Geschäftspartnerin Isabel Burmeister. Seit 2019 pachten die beiden 33-Jährigen die Gärtnerei im brandenburgischen Blumberg gemeinsam. Bei der Tagesbesprechung geht Burmeister noch einmal schnell die Erntelisten durch, dann gibt sie Lille und Lea Tipps zum Marktverkauf in der Stadt: »Geld an der Frau bis ihr hier seid«, empfiehlt sie.
Auf dem Gärtner*innenhof arbeiten heute nur Frauen und nichtbinäre Menschen. Ein Safe Space ist der Betrieb dabei schon seit 1992. Damals kaufte Giseltraut Sabeh das Grundstück östlich von Berlin der örtlichen LPG ab und gründete eine Bio-Gärtnerei als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Frauen. Pionierhaft war das für eine Zeit, in der nur rund zwei Prozent der Flächen in ganz Deutschland ökologisch bewirtschaftet wurden. In der Dorfgemeinschaft stießt das Projekt damals auf wenig Akzeptanz.
»Die haben sich wahrscheinlich gedacht: Ach, die drei Mädels da - wird schon nichts werden«, sagt Burmeister. »30 Jahre später sind wir immer noch da«, fügt Natt mit Nachdruck hinzu. Abneigung gegenüber dem Projekt würden sie heute nicht spüren. »Was wir hier machen, feiern die meisten mittlerweile total«, findet Burmeister. Bis heute wird das Gemüse auf rund drei Hektar Fläche ökologisch angebaut. Gesunde Lebensmittel zu produzieren, sei jedoch nicht ihr Hauptziel, präzisieren die Leiterinnen, die gezielt auf aufbauende Methoden setzen: »Selbst mit Bio-Anbau kann man das Land degradieren. Wir wollen es fruchtbarer machen und ermöglichen, dass noch in 100 Jahren auf diesem Acker Landwirtschaft betrieben werden kann.«
Natt und Burmeister experimentieren gerne. Heute testen sie etwa eine neue Verwendung für organische Abfälle im hinteren Teil des Hofgeländes. »Wir können lasagnemäßig schichten«, schlägt Natt vor und rammt die Schaufel in einen farbenfrohen Haufen Gemüsereste. Ein paar Meter weiter lädt sie sie auf ein Bett aus Brombeerstöcken und Mulch aus. Lea und Lisa machen nach. »Es darf aber nicht zu matschig werden«, merkt Lille an, die derzeit Auszubildende ist und kürzlich ein Seminar zur Kompostierung belegt hat. »Unsere Expertin« wird sie von Burmeister genannt.
Solidarisches Arbeitsklima
Nach ihrer Übernahme war es Natt und Burmeister wichtig, dass der Hof weiterhin ein Safe Space bleibt. Denn die Landwirtschaft ist bis heute männerdominiert und von patriarchalen Strukturen geprägt. »Hier müssen Frauen nicht doppelt so viel leisten, um mitspielen zu dürfen«, erklärt Natt. Das wussten die Leiterinnen selbst schon immer zu schätzen. Burmeister kam bereits vor rund 15 Jahren für ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr auf den Hof und zog nie wieder weg. Natt entschied sich für den Betrieb, als sie nach einem Ausbildungsplatz suchte: Der Schwerpunkt auf Bio-Gemüsebau kam hier mit einem solidarischen Arbeitsklima zusammen, das sie so nirgendwo anders erfahren hatte. Aber auch für Bele stellt der Hof einen »besonderen, sicheren Raum« dar. Bele ist nichtbinär und findet: »Ich habe das Gefühl, dass mir hier mehr als anderswo zugetraut wird.«
Gegen 10.30 Uhr geht das Ernten los. Maria Natt betritt mit ihren Arbeitsstiefeln das Feld in Richtung Cerbiatta, eine Variante des Eichblattsalats. In den Armen hält sie drei leere grüne Plastikkisten. Aus der Tasche ihrer Arbeitshose ragt ein kleines Messer mit rotem Griff heraus. Mit gelassenem Schritt läuft sie am Grünkohl vorbei: Die Pflanzen mit dem harten Strunk, denen krause Blätter nur noch am Kopf geblieben sind, sehen wie Minipalmen aus. »Es gibt tatsächlich eine Sorte, die ostfriesische Palme heißt. Das kommt genau da raus«, erklärt Natt. Über ihr ist der Himmel eine Palette von Grautönen. In der Ferne rauscht die A10 vorbei.
Auf diesem Acker ist Natt wortwörtlich zu Hause. Hier lebt sie nämlich auch, in einem dunkelgrauen Bauwagen, der neben den Apfel- und Birnenbäumen steht. In unmittelbarer Nähe zu ihren Pflanzen zu wohnen, habe ihrem Leben eine Ganzheitlichkeit geschenkt, die sich befreiend anfühle. Doch die Entscheidung hatte vor allem finanzielle Gründe, bekennt Maria Natt - romantisieren sollte man sie nicht.
Am richtigen Beet angelangt, bückt sich Natt nach vorne, greift einen Salatkopf mit länglichen, gezackten Blättern und schneidet ihn kurz über dem Boden ab. Bevor sie ihn in die Kiste legt, inspiziert sie ihn noch schnell und feilt ein wenig mit dem Messer am Strunk. Dann schnappt sie den nächsten Salatkopf. Ab und an lässt sie einen wieder fallen. »Es gibt einen hohen Pilzdruck in dieser Jahreszeit«, merkt sie an.
Die körperliche Arbeit im Freien genießt Natt immer noch. Das sei aber auch hart, vor allem im Sommer: »Da sind zwölf Stunden kein langer Tag.« Als Ausgleich liest Maria Natt gerne Lyrik. Früher hat sie Gedichte selbst geschrieben, beim Kollektiv G13. Dann war sie drei Jahre gärtnern in den USA und als sie zurückkam, hatte sie »ihre Stimme auf Deutsch« verloren.
Infrastruktur zu entwickeln, ist heute Natts Leidenschaft. »Da entdecke ich den Wissenschaftsanteil in mir. Das Schöne ist, dass man hier gleich die praktische Umsetzung anschließen kann«, sagt sie. Inzwischen stehen auch Amelie und Johanna (Name geändert) auf dem Feld. Erst vor zwei Monaten haben sie auf dem Gärtnerinnenhof ihr FÖJ begonnen, direkt nach dem Abitur. Natt hat den Eindruck, dass die beiden mittlerweile Fuß fassen konnten. »Wir sind schon ein wilder Haufen, aber es gibt hier wirklich tolle Role Models«, sagt sie. Ihr sei es wichtig, dass jüngere Frauen sich auf dem Hof ausprobieren und somit ihre Stärken finden können: »Mir persönlich macht es total Spaß, ihnen Sachen zu zeigen, insbesondere Maschinen.«
Das geerntete Gemüse landet an der Waschstation. Gerade tunkt Lille den Kohl in zwei große Plastikbecken. Dann spritzt sie den Knollensellerie, der aneinandergereiht auf dem Waschtisch liegt, mit einem festen Wasserstrahl ab, bis sich die dunkelbraune Erde von den Wurzeln löst. »Für meinen Einstieg war es besonders wichtig, dass hier die Chefinnen zwei junge Frauen sind. Ich bin viel selbstsicherer geworden«, erklärt sie. Heute schätze sie die flachen Hierarchien und dass man für die eigenen Bedürfnisse nicht argumentieren müsse: »Isy und Maria ist es wichtig, dass alle sich wohlfühlen. Es geht nicht nur um Profit.«
Mittlerweile läuft das Geschäft der Gärtnerei gut, besonders seit dem Anfang der Pandemie. Die Leiterinnen bezahlen ihre Angestellten nach eigener Angabe »deutlich über dem Mindestlohn« und haben selbst ein regelmäßiges Einkommen. Doch es sei wenig Geld im Verhältnis zur fisseligen Handarbeit, erläutert Natt. »Man wird nicht reich, aber es ist genug«, schiebt Burmeister hinterher.
Große Pläne fürs nächste Jahr
Es wird Zeit, eine Neuanschaffung zu testen. »Einen Holzhäcksler«, verkündet Natt mit einem stolzen Lächeln. Unterm Regen fangen Lisa und Lille an, die etwas abgenutzte Second-Hand-Maschine mit schmalen Hagebuttenästen zu füttern. Ratternd, schlingt der Häcksler sie hinunter und spuckt sie zerstückelt wieder heraus. Das zerkleinerte Holz soll die Grundlage eines Kompost-Bio-Reaktors bilden, erklärt Maria Natt. Dann beginnt sie, von Lüftungsröhren und Pilz-Bakterien-Verhältnissen zu erzählen - bis ein Geruch nach verbranntem Gummi sie unterbricht. Dunkler Rauch steigt vom kleinen Häcksler auf und lässt ihn bald verstummen. Ein wenig Herumschrauben führt schnell zur Diagnose: Ein Riemen ist kaputtgegangen. »Na gut, dann gehe ich das Ersatzteil bestellen«, reagiert Natt gelassen.
Der Feierabend naht und das magere Licht des Tages hat sich schon weiter eingetrübt. Wenn die Mitarbeiter*innen sich um 16 Uhr verabschieden, begeben sich Natt und Burmeister ins Büro. Die Anbauplanung für die nächste Saison steht an. Was sie dann vorhaben? »Möhren bis zum Horizont.«
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