Mehr Gewalt, weniger Schutz

Die Kapazitäten in Frauenhäusern sind viel zu gering, die Finanzierung ist unsicher und nicht einheitlich geregelt

Eingesperrt mit dem gewalttätigen Mann, rund um die Uhr bewacht und kontrolliert und kaum eine Möglichkeit, unbemerkt Außenstehende um Hilfe zu bitten. Eine solche Situation war für viele Frauen während der Coronakrise Teil ihres Alltags. Aber schon ohne Kontaktbeschränkungen und Lockdown-Regelungen ist es für Betroffene von partnerschaftlicher Gewalt schwierig, sich Hilfe zu suchen.

Das liegt daran, dass die Gewalt im eigenen Zuhause oft eng mit sozialer Isolation und finanzieller Abhängigkeit verwoben ist. Zwangskontrolle nennen Fachleute dieses Geflecht, das unter anderem auch aus Überwachung, Kontrolle der Finanzen und Demütigungen besteht. Die Täter wollen die Frauen damit von Unterstützung isolieren und einschüchtern. Selbst wenn eine Betroffene von Gewalt im häuslichen Umfeld es schafft, sich aus dem Kontrollgeflecht zu befreien und aller Beschämung zum Trotz Hilfe sucht, bekommt sie diese oft nicht.

Besonders sichtbar wird das Problem der fehlenden Hilfsangebote, wenn man sich die Statistik der Frauenhäuser ansieht. Erst vergangene Woche veröffentlichte der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) eine Statistik zur Situation im Jahr 2020. Demnach fehlen bundesweit circa 14.000 Plätze in Frauenhäusern. Das sind mehr als doppelt so viele, wie aktuell bereitstehen. Und das, obwohl Deutschland sich mit der Annahme der Istanbul-Konvention im Jahr 2017 dazu verpflichtet hat, gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen niedrigschwellige, spezialisierte, barriere- und diskriminierungsfreie Unterstützung bereitzustellen.

Aber der Schutz von Frauen vor Gewalt spielt offenbar nur eine sehr untergeordnete Rolle in Deutschland. Die Istanbul-Konvention, das internationale Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, gibt es seit 2011. Deutschland hat sich viel Zeit genommen, erst seit Februar 2018 ist die Konvention hier geltendes Recht. Doch noch immer gibt es keinen Rechtsanspruch auf einen Platz in einem Frauenhaus. Auch eine bundesweit einheitliche Finanzierung existiert nicht. So kommt es nicht nur dazu, dass zu wenig Plätze vorhanden sind, sondern auch dazu, dass 2020 mehr als jede zehnte Bewohnerin im Frauenhaus die Kosten für den Aufenthalt vollständig selbst übernehmen musste. Weitere 13 Prozent mussten anteilig etwas zahlen.

In vielen Kommunen wird der Aufenthalt im Frauenhaus über die Leistungsansprüche der Frauen nach den Sozialgesetzbüchern geregelt. Das bedeutet, dass Frauen ohne solche Ansprüche nur dann Schutz vor der häuslichen Gewalt erhalten, wenn sie sich die Hilfe selber finanzieren können. Eine enorme zusätzliche Hürde, da die partnerschaftliche Gewalt häufig mit finanzieller Abhängigkeit und Kontrolle verknüpft ist. Besonders betroffen von dieser Regelung sind unter anderem Geringverdienende, Studentinnen und in Deutschland lebende EU-Bürgerinnen. Die FHK-Statistik über das vergangene Jahr zeigt auch, dass mehr als ein Fünftel der Bewohnerinnen vor ihrem Aufenthalt im Frauenhaus erwerbstätig war. Während des Aufenthalts ging dieser Anteil auf 13 Prozent zurück. Die Einkommenssituation der Frauen in Frauenhäusern lässt sich laut FHK somit mehrheitlich als prekär bezeichnen. Von Armut Betroffene sind also besonders auf den Schutz angewiesen.

An der Erhebung beteiligten sich 182 Einrichtungen, das ist etwa die Hälfte aller Frauenhäuser in Deutschland. In diesen fanden 6614 Frauen sowie 7676 Kinder Schutz. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Rückgang um 431 Frauen. »Das ist besorgniserregend, weil wir wissen, dass in den Lockdowns das Risiko häuslicher Gewalt erhöht war und gleichzeitig wichtige Außenkontakte und Frühwarnsysteme weggefallen sind«, kommentierte FHK-Geschäftsführerin Heike Herold.

Im ersten Coronajahr wurden 4,9 Prozent mehr Anzeigen wegen Partnerschaftsgewalt gestellt, das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen meldete einen Beratungsanstieg von 15 Prozent. Wohingegen die Zahl der Frauen, die 2020 Schutz in einem Frauenhaus fanden, um rund sechs Prozent gesunken ist. Gründe für den Rückgang sind laut FHK neben dem erschwerten Zugang zu Unterstützung auch Platzreduzierungen zur Einhaltung von Hygieneregeln sowie Aufnahmestopps bei Corona-Verdachtsfällen.

»Das Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen ist seit Jahrzehnten auf Kante genäht«, erklärte Herold die Situation. »Gewalt gegen Frauen ist nicht durch das Corona-Virus entstanden und wird nicht mit ihm verschwinden.« Die FHK fordert schon lange eine bundesweit einheitliche, dauerhafte Finanzierung der Frauenhäuser. Gewalt gegen Frauen sei »eine eigene, menschengemachte Pandemie, die bleibt, solange wir nicht konsequent dagegen vorgehen«, so Herold.

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