- Politik
- Schwedens erste Regierungschefin
Kurze Amtszeit für Magdalena Andersson
Schwedischer Reichstag wählt Sozialdemokratin zur ersten Regierungschefin. Nur Stunden später tritt sie zurück
Im hundertsten Jahr seit Einführung des Frauenwahlrechts in Schweden hat der Reichstag in Stockholm am Mittwochmorgen mit der Wahl von Magdalena Anderson zur ersten Ministerpräsidentin des Landes Geschichte geschrieben. Das Ergebnis der Abstimmung spiegelt die knappe parlamentarische Mehrheit für das Lager der Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen und der beiden sie tolerierenden Parteien wieder: 117 der 349 Abgeordneten stimmten für die Sozialdemokratin Magdalena Andersson, 57 enthielten sich.
Für die Wahl zum Ministerpräsidenten genügt in Schweden eine Tolerierung durch den Reichstag. Die Mehrheit seiner Mitglieder darf nicht gegen den Vorschlag stimmen, den der Parlamentspräsident nach Sondierungen mit potenziellen Kandidaten unterbreitet. Nach der Bekanntgabe ihrer Wahl als Regierungschefin feierte ein Teil der Abgeordneten die schon zuvor deutlich gelöster als in den vergangenen Tagen wirkende Andersson mit stehenden Ovationen. Am Mittwochabend sah die Lage schon wieder ganz anders aus.
Die Freude konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Andersson auf einem schwachen und wackligen Fundament steht. Mit 174 Nein-Stimmen fehlte genau eine für die Ablehnung der bisherigen Finanzministerin, die die Nachfolge von Stefan Löfven antritt. Dieser hatte per Rücktritt zuvor den Weg für einen Wechsel an der Regierungsspitze frei gemacht. Seine Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAP) rechnet sich mit dem personellen Wechsel bessere Chancen bei der nächsten Wahl zum Reichstag aus, die am 22. September des kommenden Jahres ansteht. Anfang des Monats war Andersson auf einem Parteitag in Göteborg bereits zur neuen SAP-Vorsitzenden bestimmt worden.
Ihrer Wahl zur neuen Ministerpräsidentin waren intensive Verhandlungen zwischen den Parteien vorhergegangen. Die erste Baustelle konnte zügig abgeschlossen werden. Bei den Zugeständnissen an die liberale, historisch agrarisch geprägte Zentrumspartei von Annie Lööf mussten vor allem die Grünen Kröten schlucken. Die ökonomischen Interessen der Waldbesitzer erhalten mehr Gewicht gegenüber dem Schutz der Wälder. Im Gegenzug für die Stimmenenthaltung der Abgeordneten des Zentrums soll es außerdem Lockerungen beim Strandschutz geben. Um Bauvorhaben in Ufernähe gibt es seit Jahren Debatten, kleinere Kommunen sehen sich benachteiligt. Die Zahl der wunderbar unverbauten schwedischen Seen könnte in Zukunft abnehmen.
Zu einem echten Krimi wurde das Feilschen mit der Partei links der beiden Koalitionäre. Zwölf Tage lang währten die Verhandlungen mit der Spitze der linken Vänsterpartiet. Die hatte sich darauf versteift, »wesentliche Verbesserungen für die am schlechtesten gestellten Pensionäre« herauszuholen. Am Montag hatte Magdalena Andersson trotz fehlender Garantien für ihre Wahl darauf verzichtet, Parlamentspräsident Andreas Norlén von der konservativen Moderaten Sammlungspartei wegen der Verhandlungen um eine Verschiebung der Abstimmung zu ersuchen. Von Beobachtern wurde das als Schachzug gewertet, die Linkspartei unter Druck zu setzen. Sonderlich davon beeindruckt zeigte sich deren Vorsitzende Nooshi Dadgostar allerdings nicht. »Gibt es kein Abkommen, dann stimmen wir mit Rot«, ließ sie die Öffentlichkeit am Montag wissen.
Grünes Licht kam erst nach einer Einigung am späten Abend vor der Abstimmung. Die Linkspartei kündigte an, dass ihre Abgeordneten bei der Wahl von Andersson den gelben Knopf drücken und sich der Stimme enthalten werden. Zudem wollte Vänsterpartiet nicht nur für den eigenen Budgetvorschlag, was von symbolischer Bedeutung ist, sondern auch für den Haushaltsentwurf der Regierung stimmen. In ihrem Redebeitrag vor Anderssons Wahl konnte Linke-Chefin im Reichstag auftrumpfen: Einzig dem Einsatz ihrer Partei sei es zu verdanken, dass die Altersbezüge für 700 000 Menschen steigen werden. »So einfach ist das.« Gemäß dem Deal sollen die niedrigsten Renten ab August 2022 um einen steuerfreien Zuschlag von monatlich bis zu 1000 Kronen, umgerechnet knapp 100 Euro, steigen. Die Menschen wollen Taten statt Worte sehen, hob Dadgostar hervor. Zu vielen erscheine die Politik als ein großes Schauspiel voller leerer Versprechungen, so die linke Politikerin. Dies sei gefährlich für Schwedens Demokratie.
Gemäß der Vereinbarung zwischen Sozialdemokraten, grüner Umweltpartei und der Linken soll noch im Laufe dieser Mandatsperiode eine Strukturreform vorgelegt werden, die die Einkommen der benachteiligten Rentenbezieher langfristig verbessert.
Das Abkommen nimmt zum Ausgangspunkt, was die Linkspartei in den vergangenen Monaten vehement zum Thema gemacht hat: Die Bezüge vieler Pensionäre in Schweden sind für ein würdiges Leben viel zu niedrig. Etwa 300 000 Menschen im Land aus dieser Gruppe werden als arm eingestuft, 40 Prozent der Frauen beziehen nur eine Niedrigrente - und das oft nach einem langen Arbeitsleben. Als »nicht akzeptabel« bezeichnet Vänsterpartiet diese Situation. Strategisches Ziel der Partei ist »ein neues Rentensystem, das für wirkliche ökonomische Sicherheit am Ende des Arbeitslebens sorgt«, mit einer realen Erhöhung der Mindestrenten und regelmäßiger Anpassung der Pensionen an die allgemeine Einkommensentwicklung.
Der Etappensieg für Vänsterpartiet hat auch die Gegenkräfte mobilisiert. Die Ausgrenzung der Partei aus den großen politischen Verabredungen war seit dem 2019er Januarabkommen mit Zentrum und Liberalen Geschäftsgrundlage der Regierung Löfven gewesen. Nach dem Wechsel der Liberalen in das Lager der rechten Opposition bestand die Zentrumspartei vergeblich auf der Beibehaltung dieses Tabus. Parteichefin Annie Lööf will nun einen »sehr beunruhigenden Linksruck« bei den Sozialdemokraten ausgemacht haben. Oppositionsführer Ulf Kristersson (Moderate) wird nicht müde zu betonen, er wäre »jederzeit bereit, eine Regierung zu bilden« - auch im Bunde mit den rechtsextremen Schwedendemokraten.
Obwohl die Abgeordneten des Zentrums der Wahl von Andersson keine Steine in den Weg legten, stimmten sie noch am selben Tag gegen den Budgetvorschlag der Koalition und für die Alternative des politisch gegnerischen Lagers. Die Regierung muss damit auf Basis des Haushalts aus der Feder von Moderaten, Christdemokraten und Schwedendemokraten wirken. Daraufhin erklärten die Grünen ihren Austritt aus der Regierung – und Andersson nur Stunden nach der Wahl ihren Rücktritt als Ministerpräsidentin. Die Politikerin will jetzt eine rein sozialdemokratische Minderheitsregierung auf die Beine stellen und sich einer neuen Abstimmung im Parlament stellen. Dessen Ausgang ist erneut ungewiss.
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