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Wenig Glauben an Kräne überall
Immobilienlobby und Mietenbewegung halten 200.000 neue Wohnungen bis 2030 für unrealistisch
»Wir haben uns gemeinsam in den Koalitionsverhandlungen verständigt auf die Planung, in den nächsten zehn Jahren 200.000 Wohnungen zu bauen - und auch sozial bezahlbaren Wohnraum zu bauen«, sagt die SPD-Landeschefin und designierte Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey bei der Vorstellung des Entwurfs des Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und Linke am Montag. Um das Ziel zu erreichen, sollen unter anderem, »aufbauend auf den bisherigen Erfahrungen« laut Koalitionsvertrag, »Maßnahmen zur Beschleunigung der Planungs-, Genehmigungs- und Bauabläufe« umgesetzt werden. Gebaut werden soll auch dichter und höher sowie auf bisher noch nicht erschlossenen Flächen.
Mantraartig ist dieses Neubauziel von Giffey im Wahlkampf wiederholt worden, doch die Zweifel an Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit sind nicht geringer geworden.
Dieses Ziel bestehe »nicht den Realitätscheck«, sagt beispielsweise Kerstin Huth, Landesvorsitzende Berlin-Brandenburg des Immobilienverbands Deutschland (IVD). Dafür lege sich die Koalition »viel zu viele Steine selbst in den Weg«, erklärt die Landeschefin des Unternehmensverbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. »Sie will zwar bauen, grundsätzlich aber nicht auf freien Flächen. Sie will Transformation, Verdichtung und Aufstockung, aber nicht zu dicht oder zu hoch«, kritisiert die Lobbyistin. Letztlich könne das nur in einem »Weiter so« münden.
Doch auch von der anderen Seite gibt es wenig Zustimmung für dieses Koalitionsziel. »Ohne erkennbaren Anlass wurde die im Stadtentwicklungsplan Wohnen von der scheidenden Landesregierung anvisierte Neubaunotwendigkeit von noch 130 000 Wohnungen bis 2030 drastisch erhöht«, heißt es in einer Mitteilung des Berliner Mietervereins. Angesichts der Corona-Pandemie sei es allerdings völlig unklar, wie sich die Bevölkerungszahlen entwickeln. Auch reiche der Anteil von 25.000 neuen Sozialwohnungen bei 100.000 Neubauwohnungen in den nächsten fünf Jahren nicht aus. »Wir empfehlen daher, die Neubauziele mit einem realistischen und klimapolitisch zu rechtfertigenden Maß zu versehen und dabei eine ›Gemeinwohlquote‹ inklusive Sozialwohnungen von 70 Prozent anzustreben«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Mietervereins.
Franziska Giffey kündigte am Montag eine Erhöhung der Wohnungsbauförderung um 500 Millionen Euro jährlich gegenüber dem Stand 2021 an. »Das ist löblich, allerdings muss man dafür auch Bauherren finden, die das Geld annehmen und Sozialwohnungen bauen«, merkt Reiner Wild gegenüber »nd« an. Denn in den letzten Jahren konnten die Fördermittel mangels Interesse bei Privaten gar nicht ausgereicht werden; die Sozialwohnungsbauziele wurden verfehlt.
Das von Giffey propagierte und im Koalitionsvertrag verankerte Zaubermittel gegen solche Probleme soll ein »Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen« sein, das die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, Vertretungen der Genossenschaften und der privaten Wohnungsunternehmen einbezieht, ebenso wie die zuständigen Senats- und Bezirksverwaltungen und Mieterverbände. Bis zur Jahresmitte 2022 soll es stehen.
Die Fachgemeinschaft Bau hält, wie auch die Wirtschaftsverbände und die Industrie- und Handelskammer die Fokussierung auf den Wohnungsbau für »wichtig«. »Allerdings müssen, wie bei den Bündnissen in Brandenburg und Hamburg auch, diejenigen mit am Tisch sitzen, die die Wohnungen am Ende bauen sollen - die Baubranche«, fordert Fachgemeinschafts-Chefin Manja Schreiner, die auch Mitglied des Berliner CDU-Landesvorstands ist. Auch die Lobby der größeren Unternehmen, der Bauindustrieverband Ost, fordert eine Beteiligung. »Hinzu kommt, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit nahezu unmöglich ist, wenn einigen Bündnispartnern die Enteignung droht«, so Schreiner weiter. Bekanntlich soll eine Expertenkommission die Umsetzbarkeit des siegreichen Volksentscheides der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen bis spätestens Frühjahr 2023 geprüft haben und dem Senat eine entsprechende Empfehlung geben.
Auch der Naturschutzbund Berlin ist wenig angetan. »Auf 29 von 152 Seiten wird ›Bauen, bauen, bauen‹ zur Chefsache erklärt, ohne dass die schon jetzt erkennbaren Widersprüche zum Natur-, Arten- und auch Klimaschutz befriedigend aufgelöst werden«, sagt dessen Landesgeschäftsführerin Melanie von Orlow.
Bereits im Vorfeld hatte der Umweltverband BUND das ausgegebene Neubauziel massiv kritisiert und eine Rückkehr zu einer faktenbasierten Bedarfsberechnung gefordert. »Die 200.000 Wohnungen bis 2030 erinnern an ein sozialistisches Planziel«, sagte dessen Berliner Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser kürzlich zu »nd«.
Die Initiative Mietenvolksentscheid hat auch Zweifel an den Neubauvorgaben für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. »Ohne eine Strukturreform, die zu einer gemeinsamen Steuerung der Neubauaktivitäten der sechs Unternehmen führt, ist das angestrebte Ziel von 35.000 neuen Wohnungen in dieser Legislaturperiode utopisch bis bewusst irreführend«, sagt deren Sprecher Horst Arenz zu »nd«. In den letzten fünf Jahren haben sie rund 23.000 Neubauwohnungen geschafft - deutlich weniger als die Vorgabe von 30.000 Wohnungen.
Eher vorsichtig heißt es dazu im Koalitionsvertrag: »In Absprache mit den Landeswohnungsunternehmen wird geklärt, wie in einer gemeinsamen stärkeren Planungs- und Neubaueinheit Synergieeffekte zum Beispiel aus Standardisierung gehoben und bessere Strategien zum Umgang mit knappen Baukapazitäten auf dem Markt umgesetzt werden können.«
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