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»Südafrika ist das Bauernopfer«
Der Virologe Wolfgang Preiser hält Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Omikron-Variante für populistisch und gefährlich, weil sie transparentes Arbeiten bestrafen
Die Entdeckung der Omikron-Variante haben Forscher ihres Netzwerks für Genomikbeobachtung am Donnerstag auf einer Pressekonferenz verkündet. Im Nachhinein betrachtet: War das ein kluger Schachzug?
Wolfgang Preiser ist Leiter der Virologie an der Universität Stellenbosch in Südafrika. Sein Labor gehört zum nationalen Gesundheitslabordienst NHLS und ist als Teil eines Netzwerks, das Genomsequenzierungen zur Entdeckung neuer Varianten des Coronavirus vornimmt. Über die Omikron-Variante und die Auswirkungen dieser Entdeckung sprach er mit Christian Selz.
Gute Frage, ich bin selber hin- und hergerissen. Natürlich gibt es heftige Kritik, nachdem jetzt wieder diese Reisebeschränkungen ausgesprochen wurden. Das ist ja ein Déjà-vu wie vor einem Jahr bei der Beta-Variante. Jetzt ist es Omikron, und wieder wird Südafrika bestraft. Dem voraus ging ja: Seit ein, zwei Wochen haben wir diese Variante sehr eingehend untersucht. Das war keine überstürzte Handlung, sondern wir waren zu dem Schluss gekommen, dass die Variante eine sehr beunruhigende Vielzahl an Mutationen aufweist - in potenziell unguter Kombination - und dann gab es diese Infektionsausbrüche in der Provinz Gauteng, die offenbar den Beginn der vierten Welle anzeigen.
Nach den Gesundheitsvorschriften der WHO sind alle Länder verpflichtet, solche Entwicklungen zeitnah mitzuteilen. Wir wissen aber natürlich: Viele Länder warten. Und viele Länder leisten auch keine gute epidemiologische Überwachung. Deshalb fühlt man sich in Südafrika momentan tatsächlich als Opfer. Wir machen diese Arbeit sehr gut, haben früh in der Pandemie schon mit dieser Überwachung begonnen. Das ist ein massiver Aufwand, der eigentlich im Dienst an der Menschheit steht - das machen wir ja nicht nur für uns, sondern es ist eben das, was jedes Land zur internationalen Seuchenbekämpfung beitragen sollte.
Macht Südafrika bei der Suche nach neuen Varianten, also bei Genomsequenzierungen, denn tatsächlich mehr als europäische Staaten?
Mehr als europäische Staaten würde ich nicht sagen. Aber es geht nicht nur nach der Zahl der Sequenzierungen, sondern auch nach dem Anteil an Proben. Ich glaube, dass in Deutschland und in Großbritannien prozentual gesehen mehr Proben sequenziert werden als hier - bislang zumindest. Ob das jetzt in der vierten Welle noch der Fall ist, weiß ich nicht. Aber wir machen das sehr gründlich - und vor allem: Wir machen es koordiniert. Inzwischen, glaube ich, haben andere Länder nachgezogen, auch Deutschland. Aber wir haben halt schon im April 2020 damit angefangen. Von den großen Ländern weltweit weiß ich nur von Großbritannien und Südafrika, dass sie das wirklich systematisch und landesweit koordiniert machen.
Nun hat Michael Ryan, der Krisenmanager der WHO, im Zusammenhang mit der Entdeckung neuer Varianten vor reflexartigen Reaktionen wie Reiseeinschränkungen gewarnt. Zwischen den Zeilen ist die Befürchtung zu erkennen, dass Länder künftig Verdachtsfälle nicht mehr melden könnten. Ist diese Sorge berechtigt?
Ich fürchte ja. Ich kenne auch ein Beispiel, und zwar Tansania. Das hat ja irgendwann im Mai oder Juni 2020 in einer zweitägigen nationalen Aktion Covid weggebetet und dann nichts mehr gemeldet. Tansania war nie auf einer deutschen Liste. Dabei habe ich persönlich aus einer Probe von jemandem, der aus Tansania infiziert hierher zurückkam, bereits im Januar 2021 (also kurz nach dem erstmaligen Auftreten der Beta-Variante) die »südafrikanische« Beta-Variante isoliert. Mit anderen Worten: Die hatten auch diese Beta-Variante, deretwegen Südafrika bis in den Juli mit einem Reisebann belegt war, was uns absolut ruiniert hat. Andere Länder hatten diesen Bann nicht, weil sie nicht gemeldet oder nicht geguckt haben.
Clayson Monyela, Sprecher des südafrikanischen Außenministeriums, twitterte am Samstag, ein Journalist habe ihm gesagt, etliche Länder hätten die neue Variante bei sich entdeckt, bevor sie im südlichen Afrika auftrat, hätten die Information aber zurückgehalten. Halten Sie das für möglich?
Ganz ausschließen kann man es nicht. Ich finde, im Moment ist das ganze Bild sehr verwirrend. Natürlich, wenn in Belgien ein Fall aufgetaucht ist, wo die Person in Ägypten war und über Istanbul geflogen ist, fragt man sich, wo diese Person sich angesteckt haben kann. Es ist auch nicht bewiesen, dass diese Variante überhaupt hier in Gauteng entstanden ist. Es kann gut sein, dass Reisende damit angekommen sind.Aber das wäre dann wirklich Alarmstufe Rot, wenn ein so wichtiger Befund erst ein Land mit einem guten Überwachungssystem erreichen muss - in dem Fall uns -, um entdeckt zu werden. Ich habe keinerlei Beleg dafür, aber wenn das so ist, dann wäre das ein starkes Stück.
Gibt es Hinweise darauf, dass die Omikron-Variante für die derzeit rasch steigenden Infektionszahlen in Südafrikas Hauptstadtprovinz Gauteng verantwortlich ist?
Das ist schwer zu sagen. Wir beobachten die Infektionszahlen und sehen, dass bei vielen dieser Ausbrüche Omikron beteiligt war, aber natürlich müssen wir jetzt sämtliche positiven Proben auch rückblickend noch charakterisieren. Die Modellierer, die die Ausbreitungstendenz und -fähigkeit dieses Virus feststellen, brauchen diese frühen Fälle. Dann kann man sehen, wie stark es ansteigt und den R-0-Wert daraus berechnen. Das sind ganz wichtige Untersuchungen, die im Moment laufen, und ich rechne damit, dass wir jetzt rasch neue Erkenntnisse gewinnen.
Lässt sich denn in diesem frühen Stadium überhaupt schon etwas dazu sagen, wie ansteckend die Variante ist?
Das kann man noch nicht sagen, denn bis zuletzt haben wir geringe Infektionszahlen gehabt. Also können wir nicht sagen - wie bei Delta etwa, das Beta verdrängt hat -, dass Omikron jetzt kommt und das frühere Virus verdrängt.
Südafrikas Präsident Ramaphosa hat das Auftreten neuer Varianten auch auf die ungerechte globale Verteilung von Impfstoff zurückgeführt. Wie vertretbar sind Reiserestriktionen, verhängt von reichen Ländern gegen arme Staaten, vor diesem Hintergrund überhaupt?
Die Frage der Impfgerechtigkeit ist natürlich hochkomplex. Ich muss aber dazu sagen: Südafrika hat ja nicht das Problem der Impfstoffknappheit.
Nicht mehr.
Nicht mehr, genau. Nach langsamem Start hat Südafrika jetzt die Situation, dass Impfstoff abzulaufen droht. Wir sind bei deutlich niedrigeren Quoten schon beim selben Problem wie viele Industriestaaten. Aber Impfstoff liefern ist ja nur die halbe Miete. Man muss den ja dann auch verimpfen, und da braucht es große Programme mit Kühlketten und mobilen Teams. Da bräuchte es vielleicht noch mehr Unterstützung als nur die Impfstoffe selber.Ich muss sagen, ich finde das Gesamtbild extrem traurig. Die Impfstoffe sind eine der Glanzleistungen der Menschheit in dieser Pandemie. Dass man binnen Nullkommanichts mehrere sehr gut wirksame und sichere Impfstoffe hatte, ist fantastisch. Wie es umgesetzt wurde, finde ich aber furchtbar. Den Herstellern hat man Milliarden gegeben und gesagt: »Macht mal alles gleichzeitig, egal, wir bezahlen.« Hinterher fängt man dann an, sich gegeneinander auszustechen und um die Impfstoffe zu feilschen, das ist traurig. Und dass dabei die ärmeren Länder hinten runterfallen, ist noch trauriger.
Woran liegt das? Hat die Politik gravierende Fehler gemacht, oder hat sie es nicht gewollt?
Ich glaube, man hat einfach auf die Welle geschielt und gedacht: »Wir müssen jetzt gucken, dass unsere Leute möglichst schnell diesen Impfstoff kriegen.« Da wird auf die Innenpolitik geschielt, auf die Wähler, und dann werden vermeintlich wirksame Maßnahmen eingeleitet. Ich glaube, Südafrika ist das Bauernopfer. Jetzt in der vierten Welle kommt die Impfpflicht, kommen neue Lockdown-Levels, überall gibt es Geheul und Schimpfen und dann - (schnippst mit dem Finger) Südafrika wird jetzt ausgesperrt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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