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Selber denken macht schlau
Ein engagierter linker Intellektueller: Zum Tod des Politikwissenschaftlers Bodo Zeuner
Am 30. November ist Bodo Zeuner im Alter von 79 Jahren verstorben. Er war ein leidenschaftlicher Gegner der Mächtigen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, die über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden und über deren Leben bestimmen. Er verstand Demokratie als Selbstbestimmung und wandte sich vehement dagegen, wenn sie verletzt, missachtet oder unterdrückt wurde.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Schon als Schüler zeigte er auf dem Johanneum in Hamburg, wohin seine Familie im Krieg aus Königsberg geflohen war, journalistisches wie politisches Talent, als er eine kritisch-satirische Schülerzeitschrift mitgründete. Er merkte, dass Schreiben aus Opposition und Empörung Spaß macht und etwas bewirken, aber auch gefährlich werden kann. Beinahe wäre er vom Gymnasium geflogen.
Sein Wunsch, ein politischer Journalist mit einer herrschaftskritischen Grundeinstellung zu werden, stand fest. Zu diesem Zweck begann er 1961 das Studium der Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut (OSI) an der FU in Berlin, wo unter anderem Ernst Fraenkel und Ossip K. Flechtheim lehrten. Ihn reizte, dass hier verschiedene wissenschaftliche Disziplinen auf einen Gegenstand, die Politik, fokussiert wurden, und er lernte, dass Wissenschaft nicht dazu da ist, Gewissheiten zu vermitteln, sondern sie zu prüfen. Die Möglichkeit, Rundfunkredakteur beim NDR zu werden, schlug er bewusst aus.
Um die Linke in der SPD zu stärken, trat er dem Sozialdemokratischen Hochschulbund bei. Dort gelang es ihm, sich gegen die Parteikarrieristen durchzusetzen, die die Organisation nur als Sprungbrett benutzten. Innerparteiliche Demokratie war auch das Thema, das Bodo wissenschaftlich beschäftigte: In seiner Diplomarbeit, die er später zur Dissertation ausbaute, untersuchte er, wie die Parteien ihre Kandidaten für die Bundestagswahl 1965 aufstellten, und kam zu dem Ergebnis, dass die einfachen Parteimitglieder über Personen und Inhalte kaum mitbestimmen können, da lokale Oligarchien das Sagen haben. Mit dem Buch »Innerparteiliche Demokratie«, das 1969 in der Schriftenreihe der Berliner Landeszentrale für Politische Bildung erschien, konnte er eine größere Leserschaft erreichen und zugleich Wege einer Veränderung aufzeigen. Nach seinem Diplom wurde er 1966 am OSI als Assistent von Kurt Sontheimer eingestellt.
Die Studentenbewegung war dann für ihn »der größte politische Lerneinschnitt in meinem Leben«, wie er später sagte. Nach der Erschießung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967, die von den Verantwortlichen in Polizei und Regierung gedeckt wurde, empfand er »einen unüberbrückbaren Riss zwischen mir und den Herrschenden in dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft«. Dieser Riss blieb für ihn bis zuletzt bestehen.
Am OSI wurde 1968 die Drittelparität eingeführt, sodass die drei Gruppen Professoren, »Mittelbau« und Studenten von nun an gleichberechtigt im Institutsrat vertreten waren. Die Herrschaft der Ordinarien war damit abgeschafft. Für Bodo, der stellvertretender Institutsratssprecher wurde, bedeutete das allerdings viel Stress und Hochschularbeit, die er neben seinen akademischen Aufgaben zu leisten hatte. Er befürchtete, hauptamtlicher Hochschulpolitiker zu werden. Da kam ihm 1969 das Angebot gelegen, als Redakteur beim »Spiegel« anzufangen.
Auch in seinem neuen Arbeitsfeld trat er für mehr Mitbestimmung ein. Der Versuch, ein Redaktionsstatut im Sinne innerer Pressefreiheit durchzusetzen, misslang. Bodo und seine Mitstreiter, darunter Hermann L. Gremliza und Otto Köhler, wurden 1972 von »Spiegel«-Herausgeber Rudolf Augstein gekündigt. Dieses Lehrstück über ein Medienunternehmen dokumentierte Bodo in seinem Buch »Veto gegen Augstein«. Zudem hatte er erfahren, wie wichtig Solidarität ist und wie unverzichtbar Gewerkschaften sind, um nicht wehrlos zu sein.
Bodo kehrte zum OSI zurück, wo er - unterstützt von der »Sozialistischen Assistentenzelle« (SAZ), die sich 1969 gegründet hatte - eine Stelle als Assistenzprofessor bekam. Er genoss es, nicht mehr als Journalist schnell Texte schreiben zu müssen, sondern Zeit für Recherchen und Analysen zu haben. In einer »Kapital«-Lektüregruppe eignete er sich die Marx’sche Kritik der Politischen Ökonomie an und arbeitete im Redaktionskollektiv Gewerkschaften der Zeitschrift »Probleme des Klassenkampfs« (Prokla) mit, zu dem Elmar Altvater, Christel Neusüss, Jürgen Hoffmann, Siegfried Heimann und Hajo Funke gehörten. Leitgedanke seiner Lehrtätigkeit, mit dem er seine Studentinnen und Studenten immer wieder beeindruckte, war: Selber denken macht schlau.
1975 wurde Bodo habilitiert. Er konnte sich nun auf eine Professorenstelle bewerben. Allerdings wollte er das OSI nicht verlassen. Es war das größte politikwissenschaftliche Institut der Bundesrepublik mit Kollegen wie Wolf Dieter Narr und Johannes Agnoli - und es bot ihm auch die besten Forschungsperspektiven. Zudem schätzte er den Zusammenhalt in der SAZ. 1977 wurde er dann am OSI zum Professor für den Bereich »Politische Soziologie der abhängig Beschäftigten« berufen. Und blieb es bis zu seiner Pensionierung 2006. Zu seinen Arbeitsgebieten gehörten Parteien und Gewerkschaften, industrielle Beziehungen und politische Erwachsenenbildung.
Politisch war Bodo ab 1981 in der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL) organisiert, die sich 1978 in Westberlin gegründet hatte. Er wollte eine frische politische Kraft links von der SPD unterstützen und war fasziniert von der Partei, die aus den neuen sozialen Bewegungen heraus entstanden war und sich auf sie stützte. Ob es der AL bzw. der Bundespartei Die Grünen gelingen könnte, eine neue Politikform als »Bewegungspartei« zu finden, oder ob sie letztlich doch zu einer Parlamentspartei wie jede andere werden würde, untersuchte er in mehreren Forschungsprojekten. Wegen der neoliberalen Politik, die die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder praktizierte, trat er schließlich 1999 aus der Partei aus.
Am OSI baute Bodo mit Siegfried Mielke und Michael Fichter die Arbeitsstelle »Nationale und internationale Gewerkschaftspolitik« auf, die die politische Praxis von Betriebsräten in Westberliner Metallbetrieben untersuchte. Daraus entstanden viele Kontakte zu linken Betriebs- und Betriebsratsgruppen, die zur Gründung des »Arbeitskreises Arbeitszeitverkürzung« führten, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Studenten und linken Gewerkschaftern. Als 1984 drei unbequemen Betriebsräten bei BMW mit Billigung der IG Metall gekündigt wurde, bildete sich aus diesem Kreis ein Solidaritätskomitee. Nach drei Jahren intensiver Aktivität wurde der Kampf schließlich gewonnen: Die Kündigungen waren unwirksam.
Immer wieder griff Bodo in Debatten ein, etwa über »Die Zukunft der Gewerkschaften«, wie ein Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung hieß, das er mit anderen publizierte. Nach seiner Pensionierung setzte er sich verstärkt für den gewerkschaftlichen Internationalismus ein, angeregt durch seine Lebenspartnerin Ingeborg Wick. Speziell die Arbeitsverhältnisse und -beziehungen in China erregten sein Interesse. Auf seinen Reisen traf er sowohl mit Labour-NGOs, offiziellen Gewerkschaften und Wissenschaftlern zusammen. Noch im Oktober erschien ein Artikel von ihm über die Selbstauflösung des Gewerkschaftsbundes Hongkong.
So bewegt das Leben von Bodo war, so hatte er einen Kompass: eine humanistische Grundhaltung, die darauf beruht, wie er 2015 schrieb, »dass alle Menschen auf der Welt, was auch immer sie sonst für Eigenschaften haben, in ihren Menschenrechten und ihrer Menschenwürde zu respektieren und in ihren Anlagen durch Bildung zu fördern sind«. Und bei allem, was politisch erreicht und erst recht nicht erreicht wurde, ging Bodo davon aus, dass noch viel zu tun ist.
Wer mehr über Bodo Zeuner erfahren will, lese sein Buch: Kritik und Hoffnung. Politische und politikwissenschaftliche Texte aus 50 Jahren, erschienen 2019 bei Die Buchmacherei.
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