- Kultur
- »The Future« von Choreografin Constanza Macras
Hier wird kein Club mehr stehen
Kapitalismuskritische Gegenwartsdiagnose statt aufregender Zukunftsszenarien: An der Berliner Volksbühne feierte »The Future« von Choreografin Constanza Macras Premiere
Sollte die interessierte Zuschauerin sich eingehender mit den - grundlegende Annahmen unseres Wissens über Sein und Zeit infrage stellenden - Theorien der US-amerikanischen feministischen Quantenphysikerin und Philosophin Karen Barad beschäftigt haben, um gut genug auf die neueste Arbeit von Constanza Macras, der Chefin der Tanzkompanie DorkyPark, und ihres Teams vorbereitet zu sein? Der Ankündigungstext beschreibt das Vorhaben der Körper und Bewegungen, Text, Sound und Bilder ineinander webenden Inszenierung: »In der Zukunft untersuchen wir die Zukunft in der Vergangenheit und verschiedene Theorien der Zeit, Orakel und Rätsel sowie, den Gedanken von Karen Barad folgend, die Möglichkeit, dass die Vergangenheit noch nicht angekommen ist.«
So verwirrend das klingen mag, so entspannt unvorbereitet kann dieser performativen Verwirrung unserer klassischen Zeitkonzeptionen entgegengetreten werden. Was nicht heißt, dass der zweistündige Abend eine entspannende Wirkung hätte. »The Future« spiegelt einen - durch die scheinbar nie endende Pandemiesituation sicher noch verstärkten - Handlungspessimismus, der hier in seinen besten Momenten spielerisch verkleidet als Lust an Endzeitszenarien und slapstickhaft choreografierten Zeitschleifen auftritt und der auch wütend machen kann. Aber selbst wenn die lineare Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahrscheinlich nur eine Idee menschlich beschränkter Vorstellungskraft ist: der Reihe nach.
Es soll in »The Future« um die für ein eher hedonismus- als theorieaffines Publikum übersetzte Zukunftsgrundsatzfrage gehen, ob wir uns für immer in einem Club in den 80er Jahren befinden, in dem die Weltuntergangsuhr auf fünf Minuten vor zwölf steht. Angesichts aktuell mal wieder verbotener öffentlicher Tanzlustbarkeiten in geschlossenen Räumen wäre das ja eigentlich eine ganz schöne Vorstellung. Ohne Zukunft würde der Club auch nicht weggentrifiziert durch das globale Investitionskapital, das jetzt schon die Städte und Landschaften formt, während wir uns die fast aufgebrauchten Erdressourcen oder die bald alles umhüllende stickige Hitze weiterhin nur als ewig drohendes Horrorszenario vorzustellen brauchten. »No future« ist bei Macras das Disco-Passwort - und ein Versprechen, dass erst mal alles so bleibt, wie besch…eiden es auch ist?
Nostalgisch oder befreiend wird es jedenfalls nicht, allzu hart prallen die zehn mit verschiedensten glamourösen bis grotesken Outfits oder lediglich Slips oder nichts kostümierten Tanzenden wieder und wieder auf dem Boden auf, allzu nah das Bewusstsein, dass auch der Club niemanden rettet, allzu kalt schillern die plastiktütenblauen Fake-Eisberge im Hintergrund. Aber Spaß ist, wenn man trotzdem lacht. Und einigen im Publikum gelingt das sogar: etwa, als jemand kopfüber über eine Sofalehne kippt.
Natürlich passiert sehr viel mehr in »The Future«, als hier berichtet (und nicht erklärt) wird: Aus dem »Futuristischen Manifest« wird zitiert und Krieg gefordert; viele blutige Plastikkörperteile, Gummiknüppel und andere Waffen fliegen; religiöse Symbole werden auf nackten Körpern drapiert und immer wieder bewusstseinserweiternde quantenphysikalische Theorieversatzstücke beiläufig erläutert, die es aufmerksamkeitstechnisch mit diversen parallelen Miniszenen zwischen Keyboard und Türrahmen aufnehmen dürfen. Alles wiederholt sich in Variationen, keine Handlung führt notwendig zu irgendetwas.
Vor allem den hoch engagierten, auf je eigene Art beeindruckenden Tänzer*innen und Performer*innen, die ihre Körper, Energie und Bewegungsfantasie zum vollen Einsatz bringen, aber auch ihre Stimmen, die sogar immer wieder für kurze, trashige und doch wärmende Musicalmomente mobilisiert werden (möglicherweise auch für ihre eigenen Gedanken, aber das wird nicht offensichtlich), ist es zu verdanken, dass Macras’ Vision einer vor allem kulturellen Zukunftslosigkeit attraktiv anschaulich wird. Eine tragende Rolle spielen ebenso die vielen, permanent und häufig in Höchstgeschwindigkeit zu wechselnden Kostüme von Eleonore Carrière. Diese behaupten oft stärker noch als der englisch- und deutschsprachige Text, der sich nicht grundsätzlich als Sinnvermittlungsinstrument in den Aufmerksamkeitsfokus zu schieben versucht, und vor allem stärker als der über weite Strecken unspezifisch bleibende Tanz eine narrative Qualität des Abends. Sie illustrieren dabei, dass die untote Vergangenheit vielleicht die nicht mehr aufzufindende Zukunft kannibalisiert hat oder jedenfalls die Mode immer ein Wiedergänger ist, so gruselig wie das Styling der 80er Jahre. Wobei eines der fantastischsten Kostüme des Abends sicher das des aus der Zukunft zurückgereisten Clubgängers ist – genau, es gibt in »The Future« keine einheitliche These zur Existenz oder Nichtexistenz bestimmter Zeitphänomene –, der eine fast barocke Vokuhila-Fönfrisur zu plusterigen, teils gemusterten Fönklamotten trägt, die als hässlich zu beschreiben nur hilflos wäre.
Weniger üppig oder erheiternd sind die eindringlichen, rhythmisch-atmosphärischen, trotz der häufigen szenischen Disco-Bezüge nur ab und zu ins Popmelodische kippenden Soundlandschaften des seit Längerem mit Macras arbeitenden Komponisten und Künstlers Robert Lippok, live gespielt von drei Musikerinnen, die leider erst zum Applaus für alle sichtbar werden.
Dazu hat Alissa Kolbusch, die schon an den letzten Macras-Arbeiten an der Volksbühne - mit mehr Lametta: »Der Palast« (2019) und »The West« (2020) - mitwirkte, eine meist ebenfalls zurückhaltende, kühl- und nachtblaue Bühnenlandschaft mit besagten Plastikfoliengletschern und Vulkansee als Hintergrundprospekt eingerichtet, die von Zeit zu Zeit etwa von mobilen Gittern (Grenzzäune, Clubeingänge), Käfigen (Clubausstattung) oder einem wiederkehrenden Glaskasten mit Bäumchen und Mensch im grün beleuchteten Smog (Sinnbild »Klimatod im Treibhaus Erde«) besucht wird.
Constanza Macras selbst zeichnet für Konzept, Text und Regie verantwortlich, ihre langjährige Arbeitspartnerin Carmen Mehnert wie immer für die Dramaturgie. Aber was ist eigentlich mit der Choreografie? Die gibt es - bis auf wenige Ausnahmemomente - nicht im Sinne einer genau festgelegten und geprobten Bewegungsabfolge, von spezifischen Formationen der Gruppe in Raum und Zeit oder einer für alle verbindlichen Bewegungssprache. Es gibt vor allem Soli, in denen die Tänzer*innen und Performer*innen ihr je eigenes Bewegungsvokabular und Können präsentieren, und - Prinzip Disco - Soli nebeneinander. Auf je eigene Weise bewegen sich die Tanzenden auf scheinbar zufälligen Bahnen durch den Bühnenraum, mal wie hochenergetische Weltraumteilchen in hohem Tempo, mal in Slow Motion, oft akrobatisches Talent beweisend und mit Beinwürfen wie im Friedrichstadtpalast, immer wieder aber auch nah am Boden, der ein Freund sein sollte - der nächste Aufprall kommt bestimmt.
Die bunte Gruppe tanzt nur einmal lässig synchron im Videoclip-Dancestyle, professionell oder tatsächlich happy zum neuen Post-Social-Distancing-Dancefloor-Hit »Keep Moving« von Jungle. Ausgerechnet jetzt singen sie gemeinsam: »I can’t live with this, I can’t live with this - oh …« - weder verzweifelt noch zum Protest entschlossen. Was, wie der ganze No-Future-Abend, doch ungemütlich ist.
Nächste Vorstellung: 21.12.
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