- Kultur
- Ausstellung »Frauen«
Durch die heutige Brille betrachtet
Im Berliner Bode-Museum wird erneut ein »zweiter Blick« auf Kunstwerke geworfen
Einer der jetzigen Kooperationspartner des Bode-Museums zu Berlin darf als einigermaßen ungewöhnlich bezeichnet werden. Und fortschrittlich. Konkret ist es der Frauentreff Olga - eine »Anlauf- und Beratungsstelle für drogenkonsumierende Frauen, Trans*Frauen und Sexarbeiter*innen«, die mit dem Bode-Museum zusammengearbeitet hat bei der Fortsetzung der Intervention »Der zweite Blick«. Dabei geht es darum, in der etwas drögen Dauerausstellung »gesellschaftsrelevante Themen« mit verschiedenen Rundgängen zu betonen. Teil 1 widmete sich »Spielarten der Liebe« und hatte einen LGBT-Fokus (lesbisch, gay/schwul, bi, trans). Der unlängst eröffnete zweite Teil widmet sich nun »Frauen« und wirft auf 62 Sammlungsobjekte einen (selbst)kritischen »zweiten« Blick.
Es gibt insgesamt sechs Routen, über die man sich am Thema abarbeiten kann. Zur Auswahl stehen: »Frauen, die Geschichte machten«, »Frauen aus biblischen und christlichen Erzählungen«, »Frauen in der griechisch-römischen Mythologie«, »Die (fehlenden) Künstlerinnen« und »Frauen des 21. Jahrhunderts«. Bei letzteren handelt es sich um diverse Frauen der Gegenwart, die auch in kurzen Videos Stellung zu bestimmten Objekten nehmen, darunter Choreografin Sasha Waltz und Fotomodell Sara Nuru (»Germany’s Next Topmodel«). Aber auch die Juniorprofessorin für islamische Theologie, Mira Sievers, die sich auf Donatellos »Madonna und Kind« von 1420 einlässt. Laut Erzählungen aus dem 5. Jahrhundert lehrte Maria, disputierte, führte Exorzismen durch, heilte, predigte das Evangelium, leitete die Apostel im Gebet an und schickte andere Frauen mit Schriften in die Städte rund ums Mittelmeer. Die Reduktion auf die passive »Mater Dolorosa« kam erst später. All das spricht Sievers an und geht zudem auf den Schleier ein, den die Madonna bei Donatello trägt. Sievers setzt ihn in Bezug zur Tradition der schleiertragenden Frauen in der muslimischen Welt, was ausgesprochen spannend ist.
Auch die LGBT-Aktivistin Anastasia Biefang hat Spannendes zu »anderen« Frauenbildern und -idealen zu sagen, wenn sie sich mit der Statue der Jagdgöttin Diana von Bernardino Cametti (1720/50) auseinandersetzt. Die Sexarbeiter*innen sind bei diesen Videos nicht dabei, was bedauerlich ist. Denn natürlich wäre es aufschlussreich, von ihnen zu hören, was sie zum vermeintlichen Ideal der Jungfräulichkeit und zu Mutter-Kind-Beziehungen zu sagen hätten (oder zur Verschleierung von Frauen). Stattdessen haben die Frauen vom Frauentreff Olga einen eigenen Raum bekommen, in dem sie unter dem Titel »Photovoice« ihre Geschichten separat und ziemlich versteckt vor den Blicken der Besucher erzählen können. Das wirkt etwas lieblos. Da hätte das Kuratorenteam des Bode-Museums rund um María López-Fanjul y Díez del Corral mehr draus machen können.
Zwischen all den Frauengeschichten (zum Beispiel Juliette Récamier, Dr. Dorothea von Rodde-Schlözer, Daphne, Leda, Lucretia, Markgräfin Mathilde von Canossa) findet sich auch eine gesonderte Route »Männer und die Gleichberechtigung der Geschlechter«. Es ist vermutlich die mit dem größten Überraschungspotenzial. Zum einen geht es um Unterstützer von Gleichberechtigung, wie Josef als Mann von Maria. Er werde oft als »passiv« dargestellt und »leicht übersehen«. Denn: »Ganz sicher entspricht Josef in keiner Weise dem Bild eines Mannes der damaligen Zeit, wenn er Maria nicht verstößt, obwohl sie mit einem Kind schwanger ist, das nicht von ihm gezeugt wurde. Ehebruch, darunter fällt auch der Geschlechtsverkehr einer verlobten Person, konnte im Judentum mit dem Tode bestraft werden. In der Realität wurde hingegen meist die Scheidung oder die Auflösung der Verlobung praktiziert; es war aber in jedem Fall ein Skandal.«
Josef setzt ein Zeichen gegen die Skandalisierung von Normabweichung. Genau wie es Jesus später tat bei seiner Begegnung mit der Samariterin am Brunnen: »Sie war eine Witwe, die offen in einer Beziehung mit einem Mann lebte, ohne mit diesem verheiratet gewesen zu sein. Ihr offenbarte er als Erste, dass er der Messias sei. Er nahm sie als Diskussionspartnerin ernst und sprach mit ihr auch über die Glaubenskonflikte zwischen den Samaritern und Juden.«
Diesen positiven Beispielen steht der griechische Muskelprotz Herkules gegenüber, der in den 1990er Jahren neue Popularität durch den gleichnamigen Disney-Film erlangte. »Was nur selten, oftmals unkommentiert, erzählt und bei Kinderbüchern und -filmen meist gänzlich ausgespart wird, ist, dass Herkules Frauen belästigte, vergewaltigte und einige seiner eigenen Kinder ermordete«, liest man im Katalog, der auch die Geschichte von Lot und seinen Töchtern am Beispiel eines Marmorkunstwerks aus den Niederlanden um 1600 vorstellt. Diese Töchter machten bekanntlich ihren Vater trunken, um ihn zu vergewaltigen und schwanger zu werden. Wer missbraucht hier wen? Wie soll man das Verhalten der Frauen beurteilen, die so gar nicht dem gängigen Opferklischee entsprechen?
Und was ist mit gewaltsamen Frauen, die Männern Leid zufügen - oder anderen Frauen? Diesen Aspekt hatte das Militärhistorische Museum Dresden 2018 in der Ausstellung »Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg - weiblicher Frieden?« provozierend bearbeitet. Solche Provokationen kosteten den Leiter des Museums den Job. Was die Genialität der Ausstellung nicht schmälert.
Von solch explosiver Betrachtung ist man im Bode-Museum noch etwas entfernt, aber immerhin auf dem Weg. Und definitiv Vorreiter im Vergleich zu allen anderen staatlichen Museum. Nicht nur in Berlin. Fragen rund um lesbische Sichtbarkeit und Homosexualität stehen bei dieser »Der zweite Blick«-Ausgabe nicht im Vordergrund, sind aber unterschwellig immer präsent. Es lohnt, beide »Zweite Blick«-Rundgänge zu kombinieren. Man darf gespannt sein, wie sich das beim Bode-Museum weiterentwickeln wird.
»Frauen«: Zweiter Teil der Ausstellungsreihe im Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel, bis auf Weiteres.
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