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Weg vom Gas
Mit Mogelpackungen bei Gas und Wasserstoff und grünen Industriemärchen werden Klimaneutralitätsziele verfehlt, meint Olaf Bandt.
Die Klimabewegung hatte sich mehr von den dieser Tage beschlossenen EU-Richtlinien zum Gasmarkt erhofft: Es sollte der Einstieg in den Ausstieg aus dem nicht zukunftsfähigen Erdgas und der Einstieg in eine klimaneutrale Wasserstoffwelt werden. Geliefert wurde von der EU-Kommission jedoch ein Zukunft-Erdgas-Paket. Bereits zuvor hatte die zuständige Generaldirektion Energie die Erwartungen gedämpft. Es sei nicht die Aufgabe der neuen Richtlinie, über das Überleben von Geschäftsmodellen zu befinden. Stattdessen beschränke man sich darauf, die Regeln des Gasmarktes zu definieren und Wasserstoff zu integrieren.
Diese Haltung der Kommission ist ganz im Sinne der Industrie und ihrer Verbände, die sich besonders rege am Konsultationsprozess beteiligt hatten. Über 80 Prozent der Stellungnahmen wurden von der Wirtschaft eingereicht, wie eine Untersuchung von Lobbycontrol zeigt.
Die selbst gesteckten Klimaneutralitätsziele werden so nicht erreicht. Dafür muss es ein fixes Enddatum der fossilen Gasnutzung geben. Dies sollte deutlich vor 2050, bestenfalls sogar deutlich vor 2040 liegen. Unabhängig von der Jahreszahl wäre es wichtig gewesen, dass die EU-Kommission einen Rahmen gesetzt hätte, der den vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien und Gase sicherstellt. Das Verbot von langfristigen Erdgas-Lieferverträgen über 2049 hinaus ist ein Anfang, aber keinesfalls ausreichend.
Stattdessen droht Erdgas zu einer Art »Zombieenergie« zu werden. Durch Ausnahmen und Umetikettierungen wird sie weiter am Leben erhalten. In der EU-Gasmarktrichtlinie wird fossiler Wasserstoff, bei dessen Herstellung Kohlendioxid im Boden gespeichert wird, als »kohlenstoffarmes« Gas geführt. Dies soll in Zukunft mit erneuerbaren Gasen gleichgestellt werden und ebenfalls von Förderungen wie etwa reduzierten Netzentgelten profitieren.
Eine Analyse des Forschungsprojekts Ariadne zeigt aber, dass durch die Kohlenstoffspeicherung maximal 70 Prozent der Treibhausgaswirkung von Erdgas aufgefangen werden kann. Dagegen ist die Klimabilanz erneuerbaren Wasserstoffs schon heute besser, und sie wird sich mit dem Ausbau erneuerbarer Energien weiter verbessern. Auf diesen Fortschritt sollte sich öffentliche Förderung konzentrieren. Sogenannte kohlenstoffarme Gase passen dagegen nicht in eine klimaneutrale Zukunft. Ihre Nutzung muss ebenfalls mit einem Enddatum versehen werden. Die offene EU-Regulatorik vermittelt nicht den Eindruck, dass es sich hierbei um eine Brückentechnologie handelt, in die heute investiert wird, um sie morgen wieder abzubauen. Dieses grüne Industriemärchen hat man in Brüssel und Berlin lange genug erzählt. Allerdings wird auch Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen auf absehbare Zeit knapp bleiben. Eine allgemeine Beimischung von bis zu fünf Prozent Wasserstoff in den Gasnetzen, wie es die EU-Kommission vorsieht, ist Energieverschwendung, teuer und klimapolitisch perspektivlos.
Generell spricht sehr viel dafür, die neue Wasserstoffwelt von der alten Erdgaswelt zu trennen. Leider ermöglicht die neue Gasmarktrichtlinie, die Investitionskosten für neue Wasserstoffinfrastrukturen auf die Erdgaskunden umzulegen. Alle Haushalte würden dann für neue Wasserstoff-Pipelines zahlen, auch wenn ihre Gebäude daran gar nicht angeschlossen werden. Sinnvoller wäre es, die Notwendigkeit einzelner Vorhaben zu prüfen und individuell zu fördern. Dies müsste durch unabhängige Gutachten geklärt werden. Generell gilt es, den Klimaschutz als ein zentrales Ziel der Netzentwicklung gesetzlich zu verankern.
Die Ampel-Koalition scheint hier schon einen Schritt weiter zu sein als die EU-Kommission. Im Koalitionsvertrag werden Bundesnetzagentur und Netzbetreiber*innen beauftragt, ein »Klimaneutralitätsnetz« zu planen. Darin sollte nicht nur das Zusammenspiel von Strom und Gas bedacht werden, sondern auch die perspektivische Reduktion des Gasverbrauchs durch Gebäudesanierung und die Installation von Wärmepumpen. Es wird entscheidend von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck abhängen, ob dieses Vorhaben mit Leben gefüllt wird. Wenn das gelingt, könnte Deutschland einen wichtigen Impuls setzen, um in ganz Europa zu einer unabhängigen Netzplanung im Zeichen der Klimaneutralität zu gelangen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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