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Gegen Kriegsgefahr und Atomraketen
Hinter dem historischen Krefelder Appell versammelten sich in den 1980er Jahren in der alten Bundesrepublik Millionen Bürger
Als eine der grünsten Großstädte Deutschlands biete Krefeld eine »großartige Kulisse«, Freizeit zu genießen. Tourismusmanager der Stadt werben mit der Schönheit von Landsitzen einstiger Seidenbarone und preisen ihre Pinguine - die im Zoo und jene, die in deutschen Eishockeystadien Erfolge einsammeln. Keine Werbung erfährt dagegen das 1976 eingeweihte Kongresszentrum gegenüber dem Stadttheater. Das ist insofern verständlich, als das »Seidenweberhaus« in den Augen vieler eine der damals typischen architektonischen Entgleisungen ist.
Doch das Gebäude ist auch im Zusammenhang mit wichtigen Ereignissen der Zeitgeschichte verbunden. Am 15. und 16. November 1980 fanden sich dort rund 1000 Friedensaktivisten zu einer Tagung ein. Sie verabschiedeten unter dem Motto »Der Atomtod bedroht uns alle« einen Aufruf an die damalige Bundesregierung. Darin wird gefordert, dass in der Bundesrepublik keine neuen US-Atomraketen stationiert werden und das Land allgemeine Abrüstung zur Maxime seiner Sicherheitspolitik erhebt.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Zu den ersten Unterzeichnern dieser »Krefelder Erklärung«, die zum wohl wirkungsvollsten Manifest der westdeutschen Friedensbewegung wurde, zählten Petra Kelly, Bundesvorsitzende der Grünen; Generalmajor Gert Bastian, Ex-Kommandeur der 12. Panzerdivision; der Theologe Martin Niemöller, der die in Gegnerschaft zum NS-Regime stehende »Bekennende Kirche« mitgegründet hatte und dafür ins und daher sieben Jahre in Konzentrationslagern interniert war; der Physiker Prof. Karl Bechert, als SPD-Abgeordneter Vorsitzender des Bundestag-Atomausschusses; der Staatsrechtler Prof. Helmut Ridder, Vorstandsmitglied des »Bundes demokratischer Wissenschaftler«; der Chef der »Deutschen Jungdemokraten« Christoph Strässer (FDP); der Publizist Gösta Baron von Uexkuell; und Josef Weber als Vertreter der »Deutschen Friedensunion« (DFU).
Man sammelte überall im westlichen Deutschland Unterschriften. Der Zuspruch war gewaltig. Bis 1982 hatten rund drei Millionen Menschen den Appell unterschrieben, in den kommenden Jahren kamen weitere zwei Millionen hinzu. Einige Historiker halten diese Zahl für übertrieben, schließlich habe es auch Mehrfachunterzeichner gegeben. Alles Propaganda, meinen Kritiker der Friedensbewegung und behaupten, die ganze Aktion sei »kommunistisch unterwandert« und vom Osten gesteuert gewesen.
Tatsächlich spielte die Deutsche Kommunistische Partei eine wichtige Rolle im Kampf gegen neue US-Atomraketen auf deutschem Boden. Und vermutlich stimmt es auch, dass die DKP-nahe DFU einige Millionen D-Mark aus der DDR erhielt. Doch die Friedensaktivisten ließen sich auch nicht durch Aktionen des Verfassungsschutzes irritieren, der Unterzeichner des Appells unter Generalverdacht stellte: Überall im Bundesgebiet tauchten damals Autoaufkleber mit der Aufschrift »Ich bin von Moskau gesteuert!« auf.
Obwohl die nukleare Konfrontation zwischen den Großmächten und ihren Blöcken schon seit Jahrzehnten bestand, schienen viele Westdeutsche erst Anfang der 80er Jahre zu begreifen, wie unmittelbar die Kriegsgefahr für sie war. Protest wurde zur Bürgerpflicht.
»Ist die Menschheit dabei, verrückt zu werden?«, hatte Egon Bahr, damals Bundesgeschäftsführer der SPD, bereits im Juli 1977 in der Parteizeitung »Vorwärts« gefragt. Ein Jahr zuvor hatte die Sowjetunion begonnen, an ihrer Westgrenze mobile Mittelstreckenraketen (Nato-Code SS-20) mit einer Reichweite von 5000 Kilometern zu stationieren. NATO-Militärs konnten sich nicht vorstellen, dass die auf Westeuropa gerichteten sowjetischen Militärwerkzeuge allein der Verteidigung dienen sollten. Im Gegenteil: Bis zu 1800 nukleare Sprengköpfe, so rechnete die Nato vor, seien bereit für Entwaffnungs- und Enthauptungsschläge gegen Westen. Man befürchtete, von Moskau nuklear erpresst zu werden. Der Osten wolle einen Keil in die westliche Allianz treiben, hieß es. Vor allem Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) wurde nicht müde, seine Nato-Kollegen auf die drohende Gefahr hinzuweisen.
Die Nachrüstungsdebatte trieb damals einen tiefen Keil in die regierende SPD. Bundesgeschäftsführer Bahr, Präsidiumsmitglied Erhard Eppler und Fraktionschef Herbert Wehner standen der Aufrüstung ebenso kritisch gegenüber wie Willy Brandt, die Ikone der Partei. Anders Helmut Schmidt. Der damalige SPD-Bundeskanzler räumte später seinen Anteil am neuen Wettrüsten ein: »Wir haben den Amerikanern den berühmten Doppelbeschluss aufgezwungen«, sagt er. In der Tat: Ganz in seinem Sinne verabschiedeten die Außen- und Verteidigungsminister der Nato am 12. Dezember 1979 in Brüssel den sogenannten »Doppelbeschluss«. Inhalt: Die Allianz wird 108 Pershing-II-Raketen sowie 464 landgestützte Marschflugkörper in der Bundesrepublik, in Großbritannien, Italien, Belgien und den Niederlanden stationieren. Zugleich bot die Nato Rüstungskontrollverhandlungen über die Begrenzung euro-strategischer Waffen an.
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Danach verstärkte die Friedensbewegung auf der Grundlage des Krefelder Appells ihre Mobilisierung über Partei- und Konfessionsgrenzen hinweg. Im Juni 1981 gingen beim Hamburger Evangelischen Kirchentag 100 000 auf die Straße, im Bonner Hofgarten trafen sich im Oktober desselben Jahres - aufgerufen von der »Aktion Sühnezeichen« und der »Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden« - über 300 000 Demonstranten.
Doch die Zuspitzung des Kalten Krieges ließ sich nicht stoppen. Erst im November 1981 wurden die Genfer Rüstungskontrollverhandlungen über Mittelstreckenwaffen (INF) wieder aufgenommen. Zum Ende des Jahrzehnts verschrotteten beide Seiten das (Zitat: Erich Honecker) »Teufelszeug«. Wenig später fiel der Warschauer Pakt in sich zusammen, und in Krefeld vergaß man allzu rasch diesen Teil der Stadtgeschichte.
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