Die Mietenbewegung ist skeptisch

Vor Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel liegen sehr große Aufgaben

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wer als ausgewiesener Fachmann für Durchführung von Wahlen gilt, wer die Bürgerämter im Griff hat, der muss auch in der Lage sein, das Bauen voranzubringen«, reagiert Reiner Wild vom Berliner Mieterverin sarkastisch auf die Frage von »nd«, was er von der Ernennung von Andreas Geisel (SPD) zum neuen Stadtentwicklungssenator hält. Bekanntlich war Geisel in seinem bisherigen Amt als Innensenator die Rechtsaufsicht über die korrekte Durchführung von Wahlen, die am 26. September so gut lief, dass er selbst Einspruch gegen Wahlergebnisse in mehreren Wahlbezirken einlegte. Und das jahrelange Drama um Wartezeiten für Termine bei Bürgerämtern, für die er als oberster Personalverantwortlicher des Landes verantwortlich ist, ist hinlänglich bekannt.

Zurück zur Sachlichkeit. Mietervereins-Geschäftsführer Wild attestiert Geisel durch seine frühere Tätigkeit als Stadtentwicklungssenator »durchaus Erfahrung im Wohnungswesen«. Um dann wieder einzuschränken: »Er war ja nur kurze Zeit Senator.« Geisel hatte das Amt von 2014 bis 2016 inne. »Wir sind gespannt, wie er die großen Aufgaben lösen will. Angesichts der vorgegebenen großen Zahl an zu errichtenden Neubauwohnen scheint das aber eher aussichtslos«, so Wild weiter. 200 000 neue Wohnungen bis 2030, »möglichst die Hälfte davon in dieser Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment«, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linke. Also rund 100 000 Neubauwohnungen in der aktuellen Legislatur.

»Aus unserer Sicht werden sogar 70 Prozent im bezahlbaren, gemeinwohlorientierten Sektor nötig, angesichts der schieren Masse sind aber auch die 50 Prozent im Koalitionsvertrag eine Herausforderung«, sagt Reiner Wild. Am ehesten ließe sich der Anteil noch in den neuen Stadtquartieren realisieren, in denen der Boden meist dem Land Berlin gehört. »Aber bestenfalls werden bis Ende der Legislatur rund 25 000 Wohnungen fertig«, so Wild weiter. »Und mit einem kooperativen Baulandmodell wird man die Quote bei einem Anteil von nur 30 Prozent preisgebundenem Wohnraum nicht erreichen.«

»Bislang gilt: Die ›privaten Bauherren‹ bauen keine Sozialwohnungen. Der alte und neue Bausenator und seine Partei und müssen sich daran messen lassen, ob sie diesen Zustand abschaffen können«, sagt Horst Arenz vom Mietenvolksentscheid zu »nd«. Laut Mitteilung der Stadtentwicklungsverwaltung sind 2020 rund 92 Prozent der bewilligten Wohnbaufördermittel von den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen beantragt worden. »An der Scheu der Privaten vor Sozialwohnungen wird auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Verfünffachung der Wohnraumförderung auf 500 Millionen Euro nichts ändern, weil die 100 Millionen Euro in der letzten Legislatur nur zögerlich abgerufen wurden«, so Arenz weiter.

Der Mieterverein fordert, dass »unverzüglich mit einem Dialog über die zentralen Wohnungsmarktprobleme begonnen« wird. Neben der Fokussierung auf einen klimaverträglichen Neubau im unteren und mittleren Preissegment brauche es »dringend Lösungen gegen die alltägliche Vernichtung preiswerten Wohnens bei Wiedervermietung, durch Abriss, Aufteilung und Kurzzeitvermietungen«, sagt Reiner Wild. Außerdem sei rasch ein Bündel von Maßnahmen nötig, um die energetische Ertüchtigung und die Vermeidung von CO2-Emissionen im Wohngebäudebestand voranzutreiben.

Maren Kern, Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, zeigt sich erfreut: »Mit Andreas Geisel übernimmt ein erfahrener, erprobter und kommunikationsstarker Senator das Schlüsselressort Stadtentwicklung.« Auch »die weitere Aufwertung dieses Ressorts mit jetzt drei statt vorher zwei Staatssekretärsposten, um die großen Herausforderungen kraftvoll und zügig angehen zu können«, begrüße sie. »Andreas Geisel hat die großen Themen Berlins zutreffend benannt: bezahlbaren Neubau, bezahlbares Wohnen und bezahlbaren Klimaschutz«, so Kern weiter. Eine Lösung scheint angesichts des wenig mieterfreundlichen Koalitionsvertrags im Bund jedoch nicht einfacher als bisher.

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