Wahlen als reine Symbolpolitik

Für Parlamentsmitarbeiter Wael Alushaibi braucht Libyen vor allem eine föderale Verfassung und internationale Unterstützung

  • Mirco Keilberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Ursprünglich sollte zusammen mit den Präsidentschaftswahlen auch das Repräsentantenhaus neu gewählt werden. Fallen eventuell nun auch diese Wahlen aus?

Unsere Politiker scheinen den Appetit auf Wahlen verloren zu haben. Einige der mächtigen und ursprünglich als Favoriten gehandelte Kandidaten schneiden in den ersten Umfragen schlechter ab als erwartet. Vielleicht hoffen sie, mit einer ausgehandelten Teilung der Macht weiter in ihren Positionen bleiben zu können. Das Parlament hat im Wahlgesetz festgelegt, dass der Termin der Parlamentswahlen nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen festgelegt werden soll. Falls Kandidaten gewählt werden, die in den ehemals verfeindeten Landesteilen nicht akzeptiert werden, kann nur das Parlament eine militärische Eskalation verhindern. Das gilt auch im Fall eines Power Sharing Deal, also einer Machtaufteilung.

Interview
Wael Alushaibi, 42, ist leitender Mitarbeiter des außenpolitischen Komitees des libyschen Parlaments. Das HOR, House of Representatives, hat 200 Abgeordnete und wurde 2014 in landesweiten Parlamentswahlen gewählt. Das Mandat galt ursprünglich für zwei Jahre und wurde immer wieder eigenmächtig verlängert. Mit Alushaibi sprach für »nd« Mirco Keilberth.

Kritische Stimmen in der Hauptstadt sagen, dass die Parlamentarier ihr längst ausgelaufenes Mandat verlängern und vielleicht wie zuvor die Gründung einer ostlibyschen Parallelregierung wollen, wenn zum Beispiel der derzeitige Übergangspremier Abdelhamid Dbaiba gewinnen sollte. Wie schätzen Sie das ein?

Sie sollten die Frage an die internationale Staatengemeinschaft richten, die offenbar die Wahl eines einzelnen Präsidenten für ein tief gespaltenes Land für einen Lösungsansatz hält. Es gibt unter den bekannten Kandidaten mehrere, die jeweils eine der drei Provinzen Libyens nicht einmal betreten können, also dort auch keinen Wahlkampf führen können.

Wir sehen eine Stärkung des Parlamentarismus, also auch Neuwahlen als den richtigen Weg. Libyen kann man nur von unten nach oben neu aufbauen. Ja, es ist richtig, dass das Mandat des Parlaments abgelaufen ist, aber wir müssen in der Übergangsphase Kompromisse finden, die einen neuen Krieg verhindern. Es sind noch 20 000 Söldner in Libyen stationiert.

Sie sehen die Rolle der internationalen Gemeinschaft kritisch?

Ich treffe regelmäßig Diplomaten aus allen europäischen Ländern und sehe durchaus, dass sie Libyen stabilisieren wollen. Der Berliner Prozess mit zwei Konferenzen war ein uneigennütziger Versuch, die internationalen Partner der Milizen davon zu überzeugen, ihre Waffen- und Geldlieferungen an die Kriegsparteien zu beenden. Nun müssen kreative Wege gefunden werden, um die Stämme und Regionen zu versöhnen, deren Konflikte teilweise noch aus der Kolonial- oder Gaddafi-Zeit stammen. Nur Wahlen abzuhalten, ist gefährliche Symbolpolitik, gebaut auf Sand.

Was wäre eine Alternative?

Mit der GIZ, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, leistet Deutschland zum Beispiel schon wichtige Unterstützung der Gemeinden, zu denen die Bürger eine echte Beziehung haben. Libyen ist dreimal so groß wie Deutschland und hat nur fünf Millionen Einwohner. Eine Regierung in Tripolis ist für viele abstrakt und liefert keine sichtbare Verbesserung der lokalen Infrastruktur oder der Schulen, nur schlecht bezahlte Jobs.

Wichtiger als ein Präsident sind eine neue Verfassung mit föderalen Strukturen und eine echte Wirtschaftsreform. Zurzeit sind 70 Prozent der Libyer bei einem Staat angestellt, zu dem sie keinen Bezug haben.

Welche Hilfe wünschen Sie sich persönlich für Libyen?

Wir schaffen das nicht alleine - zu groß sind die Wunden der Kriege der letzten zehn Jahre und aus 42 Jahren Alleinherrschaft von Muammar Al-Gaddafi. Auch ein zukünftiges Parlament benötigt Hilfe bei der täglichen Arbeit wie dem Erarbeiten von Gesetzen. Libysche Parlamentarier wurden nach 2011 zweimal zu einem Partnerschaftsprogramm nach Paris geladen, leider nicht nach Berlin. Libyen benötigt ähnlich langfristige Hilfe wie die osteuropäischen Staaten nach dem Fall der Mauer.

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