Moskauer Rektor bleibt in Haft

Russische Behörden gehen gegen den Leiter der renommierten Privatuniversität »Schaninka« vor

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Sergej Sujews Chancen auf ein freies Leben außerhalb von Gefängnismauern sind auf ein Minimum gesunken. Das Moskauer Stadtgericht wies am Dienstag den Einspruch seiner Verteidigung zurück: Der 67-jährige Wissenschaftler muss bis Anfang März des kommenden Jahres in Untersuchungshaft bleiben.

Sujew ist Rektor der »Schaninka«, der Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, welche zu den angesehensten Privatuniversitäten Russlands zählt. Im Oktober wurde er verhaftet. Der Vorwurf: Betrug in besonders schwerem Ausmaß. Sujew und weitere fünf Verdächtige sollen Forschungsgelder, umgerechnet 250 000 Euro, veruntreut haben.

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Moskaus intellektuelle Kreise empören sich vor allem über die demonstrative Härte im Umgang mit Sujew. Denn der Hochschullehrer ist schwer herzkrank. Kurz nach seiner Verhaftung musste er sich einer Bypassoperation unterziehen, in Haft hat er keinen Zugang zu angemessener medizinischer Behandlung. Mehr als dreitausend Menschen unterschrieben daraufhin im November Petitionen zur Freilassung Sujews – darunter auch ein offener Brief dutzender Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften an den Präsidenten. Die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa setzte sich für Sujew ein. Anfang Dezember erklärte sogar Putin bei einem Treffen des präsidentiellen Menschenrechtsrates, er sehe keine Notwendigkeit, den Rektor hinter Gittern festzuhalten.

Die Ermittlungen gegen Sujew stehen in enger Verbindung mit der ehemaligen Vizebildungsministerin und früheren Vizechefin der Sberbank, Marina Rakowa. Sie war zuvor wegen des Verdachts auf Betrug in besonders großem Umfang festgenommen worden. Zuvor hatte die ambitionierte 37-Jährige eine steile Karriere hingelegt – welchen Personen sie diese zu verdanken hat, bleibt nebulös. Als sicher gilt lediglich, dass zu ihren Förderern der stellvertretende Regierungschef Andrej Belousow und der Vorstandsvorsitzende der Sberbank, German Gref, zählen. Die Verbindung zum Fall Sujew: Teile der von Rakowa angeblich veruntreuten Summe sollen Projekte betreffen, für welche Sujews »Schaninka« Gelder erhielt.

Rakowa war zuvor durch einen Konflikt mit ihrer Chefin, der früheren Bildungsministerin Olga Wasiljewa, in Schwierigkeiten geraten. Das Verhältnis der beiden Frauen gilt als extrem konfliktbeladen. Wasiljewa hatten den russischen Schulbuchverlag Prosweschtschenije (Aufklärung) während ihrer Amtszeit zum Monopolisten gemacht. Prosweschtschenije beliefert sämtliche Schulen Russlands mit Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien. Indes ist nicht vollständig geklärt, wem der Prosweschtschenije-Verlag gehört. Die Kontrolle über das verschachtelte Unternehmen liegt, soweit sich das überhaupt nachverfolgen lässt, vermutlich bei den Brüdern Arkadij und Boris Rotenberg – beide enge Weggefährten des Präsidenten. Rakowa störte sich an der dominanten Stellung von Prosweschtschenije, setzte stärker auf digitale Schulbücher – und wechselte nach einem Machtwechsel, der auch Wasiljewa den Posten kostete, zur Sperbank.

Deren Chef German Gref – ein Förderer Rakowas – erwarb im vergangenen Jahr ein Viertel der Anteile von Prosweschtschenije. Ursprünglich wollte er offenbar den ganzen Verlag übernehmen – und Rakowa als dessen Leiterin einsetzen. Der Deal kam nicht zustande. Rakowa wurde von der Sberbank noch in den neu geschaffenen Verwaltungsrat berufen – dann aber im Oktober verhaftet. Insider vermuten, mit der Verhaftung solle die Sberbank in die Schranken gewiesen werden, damit diese nicht in das profitreiche Bildungsgeschäft einsteigt

Sergej Sujew, der unter die Räder der Auseinandersetzung um Rakowa und den Schulbuchverlag geriet, hatte zunächst unter Hausarrest gestanden. Doch im November hob das Moskauer Stadtgericht die Entscheidung der ersten Instanz auf. »Die Strafermittlungsorgane wollen, dass er in Haft sitzt, um ihn dazu zu bringen, belastende Aussagen gegen sich und andere zu machen«, erklärt Grigorij Judin, Politikprofessor an Sujews Hochschule im Gespräch mit dem »nd«. »Ein schlechter Gesundheitszustand gilt ihnen als geeignetes Pfand dafür.« Die Ermittlungsakten enthielten keinerlei belastendes Beweismaterial. Die Ermittler warteten nun einfach ab, bis Sujew die gewünschten Aussagen liefere, so Judin.

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