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Boom Boom Biden
Die US-Regierung hat wirtschaftspolitisch erfolgreich umgesteuert. Nur kann sie davon noch nicht profitieren
Der deutschen Wirtschaft droht ein harter Winter, auch die Produktion in der gesamten Euro-Zone wird in den nächsten Monaten stagnieren. Gründe sind die neue Coronawelle, Materialmangel und Lieferstaus auf den Weltmärkten. Ganz anders sieht es dagegen in den USA aus: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat längst den Vor-Corona-Stand übertroffen, auch nächstes Jahr geht es aufwärts, angetrieben durch weitere kreditfinanzierte Hilfsmaßnahmen der Regierung. Doch US-Präsident Joe Biden nützt das derzeit nichts, seine Popularität schrumpft. Ein Grund dafür ist die Inflationsrate, die so hoch ist wie zuletzt 1982.
Im November erreichte die Rate 6,8 Prozent und mit ihr haben die US-Republikaner endlich ein potentes Thema gegen die Regierung. Die steigenden Preise und die Angst vor ihnen werden vom rechten Propaganda-Apparat in Dauerschleife thematisiert, aber beides ist auch real. Die USA sind ein Flächenland, rund 80 Prozent der Amerikaner nutzen ihr Auto häufig, und an den Tankstellen werden sie täglich an das Problem erinnert: Um rund 60 Prozent sind die Benzinpreise seit letztem Herbst gestiegen. Laut Umfragen sehen die Amerikaner Inflation inzwischen als größtes politisches Problem, 70 Prozent bewerten die wirtschaftliche Entwicklung im Land negativ und 62 Prozent denken, das Land entwickele sich in die falsche Richtung.
Ökonomen des Weißen Hauses und Wirtschaftsjournalisten erklären zwar, die aktuelle Inflation sei wahrscheinlich vorübergehend und werde im kommenden Jahr nachlassen. Dennoch funktioniert die Panik-Propaganda der US-Rechten auf Fox News und über Online-Anzeigen der US-Republikaner. Denn sie greift ein aktuelles Problem auf, während die möglicherweise in einigen Monaten nachlassende Inflation und die Gründe dafür abstrakt bleiben.
Dabei ist die Wirtschaftspolitik von Biden und den US-Demokraten eigentlich erfolgreich. Die Erholung von der Finanzkrise und der anschließenden Rezession ab 2009 dauerte mehrere Jahre. Dagegen wird die Corona-Krise 2020 schneller überwunden sein. Das BIP wächst dieses Jahr laut Schätzungen der Bank Morgan Stanley um sieben Prozent. Die Arbeitslosenquote ist auf 4,2 Prozent gesunken und damit schon fast wieder auf Vor-Corona-Niveau angekommen. Für das kommende Jahr prognostizierte die US-Notenbank zuletzt einen Wert von 3,5 Prozent, »also quasi Vollbeschäftigung«, so die Commerzbank.
Treiber des rasanten Aufschwungs sind nicht zuletzt die massiven Unterstützungsmaßnahmen der Regierung, für die sie riesige Schulden aufgenommen hat. Mit drei Konjunkturpaketen stützte sie in den letzten anderthalb Jahren die US-Wirtschaft: Im März 2020 waren es 2200 Milliarden Dollar, im Dezember 2020 weitere 900 Milliarden und im März 2021 nochmals 1900 Milliarden. Die Bevölkerung wurde mit Extra-Arbeitslosengeld, Stimulusschecks, erhöhtem Kindergeld und Steuernachlässen so stark bedacht, dass das Einkommen mancher Arbeitslosen in der Corona-Krise höher war als davor. Die Kinderarmut sank um fast ein Viertel.
Ein Teil des Geldsegens landete auf den Konten, wodurch die private Sparquote im Spätsommer höher war als vor der Pandemie. Ein anderer Teil wurde für Einkäufe ausgegeben. Die drastisch wachsende Nachfrage in Kombination mit Angebots- und Lieferengpässen gab und gibt allerdings vielen Unternehmen die Möglichkeit, ihre Güter zu verteuern. Die hohe Inflation ist damit der Preis, den die USA für die rasche Erholung zahlen. Die US-Notenbank hat daher nun angedeutet, nächstes Jahr die Leitzinsen mehrfach zu erhöhen und ihre Anleihekäufe schneller als geplant zu reduzieren. Beides soll dazu beitragen, die Inflationsrate zu drücken.
Der Aufschwung ist Teil eines wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels von der neoliberalen Angebots-Ökonomie zur keynesianischen Nachfrage-Ökonomie. Seit dem Wahlsieg von Ronald Reagan 1980 und dem Beginn der Reagonomics hatte eine Maxime die US-Wirtschaftspolitik geprägt: Niedrige Sozialausgaben und niedrige Steuern sind nötig, um Wirtschaftswachstum und damit Jobs und Wohlstand für alle zu schaffen. Wenn nur endlich die Steuern niedrig genug seien, würden Firmen investieren, so damals der parteiübergreifende Glaube. Die dadurch ausgelöste Ungleichheit sei eben der Preis für ein reichhaltiges Warenangebot. Der vor allem oben generierte Reichtum würde beizeiten per »trickle down« auch nach unten durchrieseln. Getreu diesem Motto beschloss noch die Regierung unter Donald Trump eine riesige Steuersenkung für Wohlhabende.
»Trickle down hat nie funktioniert«, erklärte Biden dagegen im April vor dem US-Kongress. Man wolle »ein neues Paradigma«, eines, das »Arbeit und arbeitende Familien in diesem Land und nicht die an der Spitze belohnt«. Die Grundprinzipien der Biden-Ökonomie sind simpel: Nicht niedrige Steuern, sondern hohe Nachfrage treiben das Wirtschaftswachstum an. Das von Biden geplante soziale Infrastrukturpaket mit Investitionen von rund 1700 Milliarden Dollar über zehn Jahre könnte – trotz aktuell unsicherer parlamentarischer Zukunft – dazu beitragen, wenn es in irgendeiner Form nächstes Jahr kommt.
Anhaltend hohe Nachfrage – mit erhöhter Inflation als Begleiterscheinung – treibt wiederum Unternehmen dazu, ihre Produktionskapazitäten zu erhöhen. Anzeichen dafür gibt es: Die Investitionen der US-Unternehmen sind in den letzten Monaten kontinuierlich angestiegen und bereits über dem Vor-Corona-Niveau. Die US-Konzerne glauben offenbar selber an einen Wirtschaftsaufschwung und befeuern ihn damit auch, wie das »Wall Street Journal« feststellte. Nach 2008/2009 erreichten die Privatinvestitionen erst dreieinhalb Jahre später wieder Vorkrisen-Niveau.
Die zweite Säule der Biden-Ökonomie ist Vollbeschäftigung und ein »enger« Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit lag einen Monat vor Beginn der Pandemie im Januar 2020 bei nur 3,5 Prozent – das war so niedrig wie seit 1969 nicht mehr. Schon im Sommer 2020 änderte die US-Zentralbank ihre Politik, erklärte das Erreichen von Vollbeschäftigung offiziell zu einem Teilziel ihrer Geldpolitik und dazu auch vorübergehend eine höhere Inflation zulassen zu wollen.
Bei einer Veranstaltung im Frühjahr sagte Biden ausdrücklich, er wolle, dass Arbeitgeber um Beschäftigte konkurrieren und deswegen zu Lohnsteigerungen gezwungen werden. Das funktioniert, Firmen suchen händeringend nach Arbeitskräften und müssen höhere Löhne bieten. Die Supermarktketten Walmart und Costco beispielsweise erhöhten ihre Einstiegsgehälter auf 16,40 und 17 Dollar und Amazon auf 18 Dollar.
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Gestärkt werden die Lohnabhängigen auch dadurch, dass die reguläre Arbeitsmigration bereits in den vier Trump-Jahren deutlich zurückgegangen war und seit Beginn der Pandemie weiter gesunken ist. Dazu kommt, dass Hunderttausende Amerikaner in der Pandemie den Arbeitsmarkt verlassen haben und wohl auch nicht mehr zurückkommen – sie haben sich in den frühzeitigem Ruhestand verabschiedet.
Statt wie vor der Krise demütig in den alten Niedriglohnjobs weiterzuarbeiten, entschieden sich im Herbst deutlich mehr Beschäftigte als in den letzten drei Jahrzehnten, sich an Streiks und Arbeitsniederlegungen für Lohnerhöhungen zu beteiligen. Doch die Unternehmen im Land können sich dies leisten: Eine Analyse der Finanzagentur »Bloomberg« zeigt, dass die Profite der US-Privatwirtschaft so hoch sind wie seit den 50er Jahren nicht mehr. Auch deswegen sind die US-Börsenindizes seit Beginn von Bidens Amtszeit auf immer neue Rekordhochs gestiegen.
Zuletzt legten die Löhne laut US-Arbeitsministerium um rund 4,8 Prozent zu. Angesichts von 6,8 Prozent Inflation hält die Lohnsteigerung also gerade nicht ganz Schritt mit den Preissteigerungen. Doch hinter diesen Durchschnittswerten verbergen sich Unterschiede: Gerade bei Geringverdienern aus der Arbeiterklasse und dem Service-Proletariat der Dienstleistungsbranche, dem unteren Drittel, waren die Lohnsteigerungen diesen Sommer und Herbst besonders groß.
Im sehr niedrig entlohnten Gastgewerbe etwa gab es elf Prozent mehr. Dass gerade Niedrigverdiener höheres Einkommen direkt für den Konsum ausgeben, trägt zum Aufschwung bei. Der private Verbrauch macht in den USA rund zwei Drittel der Wirtschaftsleistung aus. »Der Konsum hat unsere Erwartungen übertroffen«, so Bill Diviney, Ökonom bei der niederländischen Großbank ABN Amro.
Politisch kann der Präsident bislang nicht vom Aufschwung profitieren. Dennoch könnten die Bidenomics noch zum Erfolg werden. Viele Ökonomen gehen davon aus, dass durch die Pandemie ausgelöste Lieferkettenprobleme bis zum Frühjahr behoben sind und die Inflationsrate sich im Sommer wieder nach unten einpendelt. Dann könnten Bidens Demokraten vor dem Hintergrund von Lohnsteigerungen und einer brummenden Wirtschaft, einem andauernden Biden-Boom, in den Wahlkampf zu den Zwischenwahlen 2022 gehen.
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