Werbung

Konservative Kampagne steht kurz vor dem Erfolg

2022 könnte das Oberste Gericht die Abtreibungsrechtslage verschärfen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Vielleicht schon in den nächsten Monaten, vielleicht aber auch erst im Sommer könnte das Oberste Gerichtshof in den USA einen wichtigen Präzedenzfall im Abtreibungsrecht kippen oder zumindest stark einschränken – in zahlreichen republikanisch regierten Staaten könnten dann schon vorher für genau diesen Fall verabschiedete Gesetze in Kraft treten, die Schwangerschaftsabbrüche quasi oder ganz verbieten.

Die Roe-vs.-Wade-Gerichtsentscheidung des US Supreme Court aus dem Jahr 1973 hat geklärt, dass Frauen ein »fundamentales« Recht hätten, über eine Abtreibung zu entscheiden. Das gelte aber nicht »absolut«, auch die Rechte des Kindes müssten beachtet werden. Als Standard dabei gilt die Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs ab dem dritten Trimester. Bestätigt wurde dies auch noch einmal durch eine Supreme-Court-Entscheidung 1992.

Seit Jahrzehnten ziehen US-Konservative und evangelikale Christen zu Felde gegen Roe- vs.-Wade-Urteil, wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Seit Jahren setzt man dabei auf die Beeinflussung des Obersten Gerichtes. Unter Donald Trump war man erfolgreich. Der Ex-Präsident hatte dies den Evangelikalen im Wahlkampf versprochen und ernannte in seiner Amtszeit mehrere der lebenslang dienenden Richter – politisch genehme vom rechten Flügel natürlich. Die neue konservative Mehrheit von sechs zu drei Richtern am Supreme Court machte sich 2021 ans Werk, begann Abtreibungsfälle anzuhören.

Aktuell geht es besonders um zwei Fälle. Zuletzt entschied das oberste US-Gericht Mitte Dezember, den Fall Whole Womens Health vs. Jackson an das eher konservative Berufungsgericht des Fünften Bezirks zurückzuüberweisen. Bei dem Verfahren geht es um die Klage einer Abtreibungsklinik gegen das neue Anti-Abtreibungsgesetz S.B.8 in Texas. Das auf Betreiben rechter Aktivisten von den Republikanern im Bundesstaat verabschiedete Gesetz ist seit Anfang September in Kraft und hat die Zahl der Abtreibungen auf quasi null reduziert. Es verbietet – außer in medizinischen Notfällen – alle Schwangerschaftsabbrüche ab der sechsten Woche. Zu diesem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Die Richtermehrheit erlaubte nicht, das Gesetz auszusetzen, bis über das Verfahren entschieden wird.

Anfang Dezember hörte der Supreme Court ein weiteres Verfahren an: Dobbs vs. Jackson Womens Health Organization. Auch in diesem Fall hatte eine betroffene Klinik gegen das Anti-Abtreibungsgesetz in Mississippi geklagt, welches Abtreibungen nach der 15. Woche verbietet – ohne Ausnahmen für Vergewaltigung oder Inzest. Das Gesetz war nach seiner Verabschiedung 2018 sofort von Bundesrichtern am Bezirksgericht in Süd-Mississippi außer Kraft gesetzt worden. Das sah die neue konservative Richtermehrheit bei den letzten Anhörungen anders, sie schien die Argumenten der Staatsanwaltschaft von Mississippi aufgreifen zu wollen: Mit dem medizinischen Fortschritt seien heute Babys bereits früher außerhalb des Körpers der Mutter lebensfähig, der Standard von 24 Wochen deswegen nicht mehr zeitgemäß. Und überhaupt, vielleicht sollte man diese Frage den Bundesstaaten überlassen – ein Anschluss an eine alte reaktionäre Doktrin. Die »states rights«-Argumentation steht in der Tradition der Abspaltung der Konföderiertenstaaten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Zudem folgt man einer konservativen Argumentation, die die Verfassung wörtlich und nicht sinngemäß interpretiert und darauf verweist, dass dort nicht explizit ein Recht auf Abtreibung enthalten ist. Die von Trump ernannte Richterin Amy Coney Barret erklärte gar, durch neue Babyklappengesetze zur Abgabe von Neugeborenen gebe es doch nun Alternativen zur Abtreibung, die so in den 70er Jahren nicht existiert hätten.

Liberale Verteidiger des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch erklären wiederum, dass sich in den letzten 50 Jahren grundsätzlich nichts geändert habe. Und dass die neuen Gesetze besonders für arme Frauen, die keine Mittel und Zeit haben, in liberalere Staaten zu reisen, Abtreibungen in Zukunft unmöglich machen werden. Für den Fall, dass der Supreme Court die Gesetze aus Texas und Mississippi nicht für ungültig erklärt, dass er Roe vs. Wade abschafft oder effektiv aussetzt, haben etliche republikanisch regierte Staaten bereits vorgesorgt: mit sogenannten »trigger laws«. 21 Staaten haben laut einer Recherche der Nachrichtenagentur Reuters entweder Abtreibungsverbote aus der Zeit vor Roe vs. Wade vorbereitet, die seit der Entscheidung von 1973 nicht mehr in Kraft sind – oder neue Totalverbote, Verbote nach sechs bis acht Wochen bzw. Verbotsgesetze, die nach einer Außerkraftsetzung von Roe vs. Wade automatisch in Kraft treten würden. Dies versuchen aktuell auch einige liberale Staaten, die ein Recht auf Abtreibung explizit verankert haben. Auch in Virginia wollten dies die Demokraten dieser Tage tun, bevor sie am 12. Januar ihre knappe Mehrheit im Staatsparlament verlieren. Doch mehrere Abgeordnete sind im Urlaub. Aktivisten machen Druck, damit sie rechtzeitig zurückkommen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.