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Schattenbanken, Inflation und grünes Geld
Die globale Aktienrallye dürfte sich 2022 kaum verlangsamen
Wie unsere Zeit vergeht. Können Sie sich noch an den »Brexit« erinnern? Die City in London, der größte Bankenplatz Europas, stand vor der Schließung, das Finanzkapital zog geschlossen an Main und Seine um. So wurde vorab geunkt. Doch seit dem 1. Januar 2021 ist das Vereinigte Königreich definitiv nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes. Doch trotz politischer Nachhutscharmützel über Wursteinfuhren oder Fischereirechte laufen die Geldgeschäfte an der Themse zur Freude der Reichen weiterhin reibungslos.
Auch der Abschied von Angela Merkel verlief störungsfrei. Die erste Frau als Bundeskanzler trat kurz nach Nikolaus ab und damit die Person, welche dieses Amt am längsten innegehabt hat. Eine erfreuliche Epoche für Aktionäre: Der deutsche Börsenindex Dax schloss am 22. November 2005, als Merkel antrat, mit rund 5175 Punkten. Am Mittwochmorgen, an dem Olaf Scholz zum Nachfolger gewählt wurde, stand er mit 15 833 um mehr als 200 Prozent höher!
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Solche Gier darf man nicht persönlich nehmen. Der Börsenboom ist, da stimmen wir der »FAZ« einmal zu, »wohl kaum vornehmlich der Altbundeskanzlerin anzulasten«. Die lang dauernde Hochkonjunktur nach der Finanzkrise, billige Kredite von den Zentralbanken und das überflüssige Geldkapital, welches Reiche und Konzerne gehortet haben, trieben die Aktienkurse steil in den Himmel.
Die globale Aktienrallye dürfte sich 2022 kaum verlangsamen. Solange die Zinsen auf niedrigstem Niveau verharren, werden Anleger schwerlich eine renditeträchtige Alternative ausmachen. Immerhin trug und trägt auch die Energiewende dazu bei, dass manche Kasse laufend klingelt. So beträgt die von der Bundesnetzagentur festgelegte Eigenkapitalverzinsung, welche Investoren für den Bau nationaler Stromtrassen garantiert wird, 6,91 Prozent. Liest sich harmlos, bedeutet aber eine Verdoppelung des Kapitals innerhalb von zehn Jahren!
Unterm Strich sind Reiche also nicht allein reicher, sondern sie können Renditen erzielen, die Normalsterblichen verwehrt sind. Obendrein können Vermögensprofis nahezu beliebig auf Darlehen zurückgreifen, mit denen sie die tatsächliche Rendite auf das eigene Kapital nach oben »hebeln«.
Das genügt nicht jedem. Zurzeit entstehen in vielen Hinterhöfen neue »Fintechs«, Unternehmen, die im Internet technologiebasierte Finanzdienstleistungen anbieten - wie bis vor Kurzem der betrügerische Dax-Konzern Wirecard oder die anglo-australische Pleitebank Greensill.
Und auch alte Bekannte wie die US-amerikanische Investmentgesellschaft Blackrock oder die Vermögensverwaltung der Allianz, Global Investors, gewinnen weiter an Bedeutung. »Hier konzentriert sich das anlagesuchende MegaKapital«, hat Professor Rudolf Hickel festgestellt. Hickel gründete 1975 zusammen mit Herbert Schui und Jörg Huffschmid, der lange Zeit diesen alljährlichen Finanzmarktausblick schrieb, die »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«, die seither regelmäßig das »Memorandum« veröffentlicht.
»Die seit Jahren zu beobachtende Spaltung der Finanzmärkte wird sich fortsetzen«, zeigt sich Professor Rudolf Hickel im Gespräch mit dem »nd« überzeugt. Da seien die Banken, die nach der Finanzmarktkrise strengen Regeln auch nach der neuen Version von »Basel III« unterliegen. »Daneben schießen Fintechs als ›Startups‹ wie Pilze aus dem Boden - allerdings gibt es hier auch viele Abstürze.« Insgesamt entreißen sie dem klassischen Bankensystem durch den Online- und Smartphone-Einsatz auch intelligente Bankgeschäfte, was diese anfälliger mache.
Vor »Nichtbank-Finanzintermediären«, wie eben Fintechs oder Blackrock, warnt auch die Zentralbank der Zentralbanken, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, in einer neuen Studie lautstark: Jene könnten »die Finanzstabilität gefährden«!
Im Gefolge der Finanzkrise 2007-2009 waren zwar Banken und Versicherer von den Regierungen mehr oder weniger an die Kandare genommen worden. Wenngleich wir uns keinen Illusionen über den »kapitalmarktgetriebenen Kapitalismus« hingeben, gemessen am Regelwerk für Banken bewegen sich Schattenbanken in einem nahezu rechtsfreien Raum. Die zweifelhafte Rolle solcher Schattenbanken und ihre Nicht-Regulierung sollten daher im kommenden Jahr zum großen wirtschaftspolitischen Thema werden.
Auch andernorts wächst die Unsicherheit - nicht allein wegen der Corona-Seuche. Neben Schattenbanken und dem rasant wachsenden Reichtum einiger Weniger entwickeln sich die Immobilienpreise zu einem möglichen Brandherd. Global. Die Notlage des chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande gilt Branchenbeobachtern als Menetekel künftiger Krisen.
Der »finanzmarktgetriebene Kapitalismus«, den der 2009 verstorbene Wirtschaftswissenschaftler Jörg Huffschmid wie kaum ein Zweiter analysiert hat, scheint die Volksrepublik und andere Schwellenländer in Südostasien und Arabien mit Beschlag zu belegen. »Der geniale Jörg Huffschmid hat vor der immanenten Tendenz des sich aggressiv entwickelnden Kapitalismus zum riskanten Kasinokapitalismus früh gewarnt«, sagt Hickel. Die Eroberung des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus habe längst die attraktiven Schwellenländer erreicht. »In China ist die Expansion eines unkontrollierten Finanzkapitalismus voll im Gange.« Den Humus dazu bildet die wachsende Vermögenskonzentration in den Ober-, aber auch Mittelschichten. »China ist dabei, die Absturzrisiken dieses von der Realwirtschaft entkoppelten Finanz-Kasinos zu erlernen.« Denn auch die staatlich gelenkte Planwirtschaft unter Staatspräsident Xi Jinping habe »den Teufel der blindwütigen Vermögenskonzentration« nicht rechtzeitig erkannt. Jetzt setzten immerhin Korrekturen in Form »dramatischer Regulierungen« ein.
Am 1. Januar 2022 jährt sich die Erstausgabe des Euro-Bargelds zum 20. Mal. Die Bundesbank wird das Jubiläum mit einer klitzekleinen Wanderausstellung in einem Container (!) angemessen feiern. Aus demselben Anlass kündigte die Europäische Zentralbank an, sie wolle die Euro-Banknoten neu gestalten.
Doch die Wachstumspropheten werden 2022 keine Ruhe geben. Kreditkartenanbieter, Digitalkonzerne, Banken und Teile des Handels treiben bargeldloses Zahlen und sogenannte Kryptowährungen wie Bitcoin voran - zulasten des Bargelds. »Im Interesse der Verbraucher:innen ist das nicht«, analysiert Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Was schert es, dass die überwiegende Mehrheit auch in Zukunft lieber mit Bargeld bezahlen möchte, wie eine Umfrage des VZBV zeigt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde treibt dennoch die Entwicklung einer elektronischen Währung voran. Dies tun auch andere große Notenbanken.
Fortsetzen wird sich 2022 auch der Trend zu nachhaltigen »grünen« Finanzprodukten. So rechnet selbst die staatliche Förderbank KfW - bei einem gesamten Refinanzierungsvolumen von etwa 80 Milliarden Euro - mit »mindestens« 10 Milliarden Euro »Green Bonds - Made by KfW«.
In der Debatte um die EU-weite Einstufung von Atomstrom als »nachhaltig« hat der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz schon mal Verständnis für die französische und polnische Position geäußert. »Atomstrom erzeugt kein CO2.« Aha. Tatsächlich prüft die EU-Kommission die Einstufung der Atomkraft als klimafreundliche Energieform. Dies ist Teil der geplanten »Taxonomie«, nach der Finanzprodukte als »grün« eingestuft werden, die Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (engl.: ESG) beachten.
Bislang gibt es keine verbindlichen Regeln, welche Anforderungen ein Sparbuch, Fonds oder die Aktienrente der neuen Bundesregierung erfüllen müssen, um als nachhaltig gelten zu können. Milliardenschweres »Greenwashing« ist daher bei Banken, Versicherern und Investmentgesellschaften gang und gäbe. Eine AKW-freundliche Taxonomie würde das Label zumindest aus deutscher Sicht jedoch von vornherein entwerten.
Eine Entwertung droht 2022 auch dem Euro. Bislang sieht die Mehrheit der Fachleute die Inflation eher gelassen. Die jährliche Inflationsrate im Euroraum lag im November bei 4,9 Prozent. Dabei spielen Sonderfaktoren wie Mehrwertsteuer oder Ölpreise eine Rolle. So waren ein Jahr zuvor die Preise sogar gesunken. Ein Basiseffekt, der jetzt rechnerisch die Inflation höher erscheinen lässt.
Doch Corona, die Ölländerorganisation OPEC oder die rasant ansteigenden Großhandelspreise, zuletzt waren es sensationelle 16,6 Prozent, könnten den Volkswirten einen Strich durch die Rechnung machen. Irgendwann müsste die EZB dann reagieren. »Sollte es auch unter dem Druck des neoliberalen Monetarismus zur Zinserhöhung durch die EZB kommen, dann ist mit dem Zusammenbruch vieler Kreditfinanzierungen zu rechnen«, befürchtet Finanzökonom Hickel. Mit noch unabsehbaren Folgen für das Bankensystem.
Wie unsere Zeit vergeht. Deutlich höhere Leitzinsen der EZB würden - wie in der Vergangenheit - mittelfristig die Kosten für die Staatsschulden in furchterregende Höhen treiben. Ein Albtraum für Finanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Amtskollegen in Europa. Der Schuldendienst würde dann einen noch größeren Teil der Haushalte auffressen - oder es schlägt endlich die Stunde für eine Reichensteuer.
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