Niedergang der AfD setzt sich auch 2022 fort

Rechtsaußenpartei startet mit zahlreichen alten und neuen Problemen ins Wahljahr

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein verzweifelter Ruf nach Aufmerksamkeit: Am Mittwoch wurde bekannt, dass der AfD-Bundesvorstand am nächsten Montag darüber berät, ob die Partei bei der Bundespräsidentenwahl am 13. Februar mit einer eigenen Kandidatur antritt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch, auch wenn die Chancen in der Bundesversammlung gegen den sich um eine zweite Amtszeit bewerbenden Frank-Walter Steinmeier nahe Null liegen. Doch um reale Erfolgsaussichten geht es der AfD nicht. Sie sucht nur einen Weg, wieder in den Schlagzeilen vorzukommen.

Dort findet die Rechtsaußenpartei inzwischen deutlich weniger als noch vor einem oder zwei Jahren statt. Das hat auch damit zu tun, dass viele Journalist*innen nicht mehr jede kalkulierte Empörung zum Anlass für eine ausführliche Berichterstattung nehmen. Es liegt auch am realen Bedeutungsverlust, den die AfD 2021 erfuhr. Bei allen vier Landtagswahlen des vergangenen Jahres büßte sie an Zuspruch ein, auch im Bundestag ist sie nicht mehr größte Oppositionspartei. Praktisch bedeutet dies: weniger Sendezeit, weniger Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Vieles deutet darauf hin, dass sich dieser Trend 2022 fortsetzt.

Schon der Jahreswechsel brachte der AfD eine weitere Niederlage. Mit Uwe Witt und Johannes Huber erklärten gleich zwei Bundestagsabgeordnete ihren Austritt aus Partei und Fraktion. Damit schrumpft diese nur wenige Monate nach Beginn der neuen Legislatur von 82 auf 80 Abgeordnete. Gestartet war die Partei sogar mit einem Vertreter mehr, doch der Abgeordnete Matthias Helferich verließ bereits Ende September nach einem heftigen Streit in der ersten Sitzung der neuen Fraktion deren Reihen.

Dass die Partei es nicht schafft, nach außen Geschlossenheit zu zeigen, ruft zunehmend Kritiker*innen auf den Plan. Prominenteste Stimme dabei ist Rüdiger Lucassen, Vorsitzender des größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Er beklagte am Dienstag in einem Interview, es gebe »grundsätzliche Probleme« in Fraktion und Partei, weshalb mit weiteren Austritten zu rechnen sei. Seine Äußerung dürfte auch ein Versuch sein, sich als Nachfolger des scheidenden Co-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen in Stellung zu bringen und dessen Anhängerschaft zu mobilisieren. Nachdem die AfD ihren für Dezember geplanten Bundesparteitag samt Vorstandswahlen aufgrund der geltenden Corona-Maßnahmen absagen musste, soll das wichtige Treffen im Frühjahr nachgeholt werden.

Während die Wiederwahl von Co-Parteichef Tino Chrupalla Formsache sein dürfte, steht um den zweiten Vorsitz ein Machtkampf bevor. Noch im Wahlkampf hatte es so ausgesehen, als würde Lucassen eine Annäherung an den formal aufgelösten völkisch-nationalistischen »Flügel« forcieren, um seine Chancen auf den Parteivorsitz zu stärken. Mit seiner nun geäußerten Kritik trifft er jedoch die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Tino Chrupalla und Alice Weidel. Offenbar setzt er darauf, dass das Lager der Unzufriedenen und bisherigen Meuthen-Getreuen für eine eigene Mehrheit auf dem Bundesparteitag reicht.

Durch diesen Schritt von Lucassen steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass ein weiterer, bereits hinter vorgehaltener Hand als neuer Co-Vorsitzender Gehandelter seine Kandidatur erklärt: Peter Boehringer, Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Haushaltsausschusses in der vergangenen Legislatur und ehemaliger Spitzenkandidat des bayerischen Landesverbands. Zwar behauptet der 52-Jährige, lagerunabhängig zu sein. Seine scharfe Rhetorik und wiederholt geäußerte Nähe zu Verschwörungserzählungen bringen ihm jedoch Sympathien bei den Völkischen ein. Tritt er an, stünden seine Chancen gut. Die Völkischen hätten dann mit ihm und Chrupalla zwei ihnen wohlgesonnene Vorsitzende.

Käme es dazu, dürften sich auch die letzten Unterstützer*innen des verbal gemäßigten früheren Meuthen-Lagers aus der AfD zurückziehen. Offizielle Mitgliederzahlen für 2021 gibt es noch nicht, Meldungen im Wochentakt über Mandatsträger*innen, die hinschmeißen, besonders auf regionaler Ebene, lassen aber vermuten, dass der schon Ende 2020 verzeichnete Rückgang sich im vergangenen Jahr fortgesetzt hat.

Einen weiteren Schub dürfte diese Entwicklung bekommen, wenn das Verwaltungsgericht Köln im März darüber entscheidet, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Gesamtpartei als rechtsextremen »Verdachtsfall« oder »gesichert extremistische Bestrebung« einstufen darf. Das von der AfD beantragte Eilverfahren gegen den Inlandsgeheimdienst läuft, seit vor ungefähr einem Jahr bekannt wurde, dass das BfV einen entsprechenden Schritt plant.

Entscheiden die Kölner Richter*innen gegen die AfD, ginge diese mit einer deutlichen Belastung ins Wahljahr 2022. Die Ausgangsbedingungen für die anstehenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sind ohnehin schlecht. In keinem der vier Bundesländer kann die Partei laut Umfragen bisher mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen. Die besten Aussichten hat sie mit Umfragewerten von derzeit neun Prozent noch im Saarland. Überraschungserfolge sind unwahrscheinlich, dann alle vier Landesverbände haben in den letzten Jahren selbst auf den unteren Parteiebenen heftige Machtkämpfe ausgefochten.

Es kommt hinzu, dass die Rechtspartei schon länger nicht mehr mit einem Thema medial punkten kann. Zwar inszeniert sie sich seit eineinhalb Jahren als Gegnerin fast aller Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie, doch außerhalb ihrer Kernzielgruppe findet sie damit kaum Gehör. Das liegt auch daran, dass die meisten Proteste von unterschiedlichen lokalen Kleinstgruppierungen ausgehen. Wie mit diesen und damit häufig mit politischer Konkurrenz umzugehen ist, darüber herrscht in der AfD Uneinigkeit. So scheiterte im Bundesvorstand jüngst der Versuch, die extrem rechte Gruppierung »Freie Sachsen«, dominierend bei den Protesten im Freistaat, auf die Unvereinbarkeitsliste zu setzen.

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