- Wissen
- Astronomie
Blick auf den Ursprung der Galaxien
Das Weihnachten gestartete James-Webb-Weltraumteleskop hat noch einige Hürden zu überwinden, bis es die ersten Bilder liefert
W eihnachten brachte diesmal für die Astronomen eine große Bescherung: Nach jahrelangen Verzögerungen startete am 25. Dezember endlich das sechseinhalb Tonnen schwere James Webb Space Telescope (JWST) vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. Wie die meisten Weihnachtsgeschenke ist das Teleskop gut verpackt, denn es passte selbst in die mit 5,4 Metern Durchmesser recht voluminöse Nutzlastverkleidung der europäischen »Ariane-5 ECA« nur zusammengefaltet. Und so begann nach dem erfolgreichen Start das Auspacken. Dabei kann es durchaus noch zu unerfreulichen Überraschungen kommen. Denn die federführende US-Raumfahrtagentur Nasa weiß von insgesamt 344 kritischen Punkten, die den Erfolg der Mission bedrohen können.
Zwei Erfolge sind immerhin schon zu verzeichnen: Zum einen hat das Triebwerk des Weltraumteleskops in der ersten Flugphase weniger Treibstoff verbraucht als erwartet. Das vergrößert die Reserven für den späteren Betrieb. Zum anderen entfaltete sich in den ersten Tagen des neuen Jahres das tennisplatzgroße Sonnenschutzschild nach kurzen Startschwierigkeiten planmäßig. »Alle fünf Schichten des Sonnenschilds sind vollständig gespannt«, sagte eine Nasa-Mitarbeiterin am Dienstag im Kontrollzentrum in der US-Stadt Baltimore.
Anders als das bisher größte und teuerste Weltraumteleskop Hubble soll Webb 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, weit hinter dem Mond, um die Sonne kreisen. Das Ziel ist einer der fünf sogenannten Lagrange-Punkte im System Erde-Sonne. An diesen Punkten kann ein leichter Körper - in diesem Falle das Webb-Teleskop - antriebslos die Sonne umkreisen, und das mit der gleichen Umlaufzeit wie die Erde, sodass sich seine Position relativ zu den beiden größeren Himmelskörpern nicht ändert. Da das Webb-Teleskop hauptsächlich Licht im Infrarotbereich des Spektrums aufnehmen soll, wählte man den Lagrange-Punkt L2, wo das Teleskop ständig im Schatten der Erde um die Sonne kreisen wird.
Auf dem weiten Weg dorthin werden in den nächsten Wochen die übrigen Komponenten des Teleskops entfaltet. Zuerst wird der Mast mit dem Sekundärspiegel (an der Spitze des Dreibeins in den Grafiken) aufgeklappt. Danach die jeweils drei Segmente des Hauptspiegels auf beiden Seiten. Wenn das Teleskop nach einem Monat am Ziel angelangt ist, muss erst einmal alles gekühlt werden. Für zwei der Teleskopsysteme genügt die erwartete Temperatur auf der kalten Seite des Sonnenschutzschilds: minus 233 Grad Celsius. Das Instrument für Messungen im mittleren Infrarot (MIRI) jedoch muss noch zusätzlich bis auf minus 266 Grad gekühlt werden.
Wie Oliver Krause vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) erläutert, wird das anders als bei früheren Infrarot-Teleskopen mit einer Kältemaschine erfolgen, die ähnlich wie ein Kompressorkühlschrank arbeitet, nur dass Helium als Kältemittel zirkuliert. Krause leitet am MPIA ein Team, das maßgeblich am Weltraumteleskop mitgearbeitet hat. Haben die Instrumente endlich ihre korrekte Temperatur, werden sie getestet. Frühestens sechs Monate nach dem Start wird das reguläre Arbeitsprogramm starten.
Auch wenn das James-Webb-Weltraumteleskop seit Beginn der Entwicklung Mitte der 90er Jahre als Nachfolger des Hubble-Teleskops bezeichnet wird, ist es das eigentlich nicht. Denn Hubble - das nach mehreren Wartungsmissionen noch bis 2026 betrieben werden soll - beobachtet das All hauptsächlich im sichtbaren Bereich des Lichtspektrums und im unmittelbar anschließenden nahen Infrarot. Für diesen Beobachtungsbereich kommt frühestens 2026 ein echter Nachfolger, das Nancy Grace Roman Space Telescope. Und anders, als Hubble und Roman - deren relativ einfacher Aufbau die Verwandtschaft mit den leistungsfähigen Spionagesatelliten erkennen lässt, ist Webb ein komplett neu für astronomische Zwecke entwickeltes System.
Das fängt schon mit dem gigantischen Hauptspiegel an, der sechseinhalb Meter Durchmesser hat im Unterschied zu den knapp zweieinhalb Metern bei Hubble und Roman. Dazu kommt, dass das JWST für den Hauptspiegel eine bisher nur auf der Erde praktizierte Technologie nutzt. Der besteht nämlich aus 18 sechseckigen Segmenten, unter denen jeweils mechanische Systeme, sogenannte Aktoren, die exakte Wölbung einstellbar machen. Damit der große Spiegel dennoch möglichst leicht wird, bestehen die einzelnen Segmente nicht aus Glaskeramik wie bei Hubble oder auf der Erde, sondern aus dem extrem leichten seltenen Metall Beryllium, dessen Oberfläche vergoldet wurde. Ein einzelnes Spiegelsegment wiegt bei einem Durchmesser von 1,32 Metern ganze 20 Kilogramm. Mit Rahmen und Aktuatoren sind es 40 Kilo. Bei Hubble wiegt der 2,4-Meter-Spiegel immerhin fast 900 Kilogramm.
Die Kameras und Spektrografen von Webb sind wegen der astronomischen Zielstellungen auf das nahe und mittlere Infrarot spezialisiert. Das Beobachtungsspektrum reicht vom für das Auge noch wahrnehmbaren Rot bis zu einer Wellenlänge von 28 Mikrometern (Millionstel Meter). Der Grund für diese Wahl: Vor allem im mittleren Infrarot ist die irdische Atmosphäre weitgehend undurchsichtig. Selbst in den Bereichen des nahen Infrarots, wo man mit bodengebundenen Teleskopen beobachten könnte, gibt es in der Atmosphäre so viel störenden Hintergrund, dass die Messempfindlichkeit im All viel größer ist.
Krause: »Das James-Webb-Teleskop ist von Beginn an konzipiert worden, um die extrem schwache Strahlungsemission der ersten Generation von Galaxien einzufangen, die sich 100 bis 200 Millionen Jahre nach der Geburt des Weltalls gebildet haben müssen. Aufgrund der kosmischen Rotverschiebung in den Infrarotbereich besitzt nur das JWST eine ausreichende Empfindlichkeit, diese Objekte aus der Kinderstube unseres Universums nachzuweisen und im Detail zu untersuchen.« Bodengestützte Teleskope und selbst Hubble können nicht so weit zurückblicken. Die älteste bisher entdeckte Galaxie - GN-z11 - befindet sich 13,4 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt und wurde 2016 mithilfe des Hubble-Teleskops gefunden. Webb soll diesen Rekord brechen.
So wird die Studie mit dem Löwenanteil der Beobachtungszeit im ersten Jahr über 200 Stunden einen Bereich von der dreifachen Größe des Vollmonds beobachten. Die Untersuchung des Teams um Jeyhan Kartaltepe vom Rochester Institute of Technology und Caitlin Casey von der University of Texas in Austin baut auf einem laufenden Projekt auf, bei dem fast alle großen boden- und weltraumgestützten Teleskope denselben Himmelsausschnitt beobachten. Dabei wollen die Astronomen jene Galaxien finden, die innerhalb der ersten Milliarde Jahre nach dem Urknall entstanden sind.
Hinzu kommt ein Untersuchungsfeld, an das zu Beginn der Entwicklung noch kaum zu denken war: die Beobachtung von Exoplaneten. Die ersten Planeten um ferne Sterne wurden in den 90er Jahren nachgewiesen, inzwischen sind mehrere Tausend solcher Exoplaneten bekannt. Für Max-Planck-Forscher Krause ist klar: »Wir stehen jetzt an der Schwelle, nach einer Epoche der Entdeckungen nun auch die Atmosphären und den Ursprung dieser Objekte im Detail zu studieren.« Das JWST werde die Möglichkeit bieten, die chemische Zusammensetzung sowie physikalischen Bedingungen in den Gashüllen solcher fernen Welten zu untersuchen.
Und nicht nur das. Wie Krause erläutert, hoffen die Astronomen mit Webb auch weitere Exoplaneten zu entdecken, die ihre Zentralgestirne auf Bahnen umkreisen, die quer zur Beobachtungsrichtung liegen. Damit solche Planeten nicht vom Licht ihrer jeweiligen Sonne überstrahlt werden, nutzt das Teleskop sogenannte Koronagrafen. Das sei etwa so wie eine Blende, die das Licht des Sterns abdunkelt, damit man Direktaufnahmen der umreisenden Planeten machen kann.
Bei diesen Forschungen dürften die von dem Heidelberger Institut beigesteuerten Komponenten eine wichtige Rolle spielen. Denn das Spiegelsystem leitet nicht einfach Infrarotlicht auf die einzelnen Kameras und Messgeräte. Für die jeweiligen Untersuchungen muss das Licht von Beugungsgittern in einzelne Spektralbereiche aufgespalten oder bestimmte Spektralbereiche herausgefiltert werden. Die dazu nötigen Filter und Beugungsgitter befinden sich in mehreren drehbaren Rädern, die in den Strahlengängen der Nahinfrarotkamera NIRCam, des Multi-Objekt-Spektrographen NIRSpec und des Mittelinfrarot-Instruments (MIRI) montiert sind. Je nach Messung kommt durch Drehung dieser Räder der richtige Filter oder das gewünschte Beugungsgitter in den Strahlengang der Instrumente.
Diese Räder sind als mechanische bewegliche Bauteile eigentlich der Albtraum jedes Raumfahrttechnikers. Denn alles, was sich bewegen lässt, kann auch hängen bleiben. Deshalb sind derartige bewegliche Komponenten besonders kritisch. Das MPIA hat auf diesem Gebiet einen guten Ruf, sodass seine Fachleute mit der Entwicklung der Filter- und Gitterräder für NIRSpec und MIRI betraut wurden. Gebaut wurden sie gemeinsam mit der Firma Hensoldt - vormals Carl Zeiss Optronics - in Oberkochen. Eine besondere Schwierigkeit dabei war die Schmierung der Lager, denn herkömmliche Schmiermittel sind bei den extrem tiefen Temperaturen unbrauchbar. Das MPIA verwendet deshalb eine Art Antihaftbeschichtung. Die Weltraumtauglichkeit der Mechanismen und ihrer Komponenten wurde sowohl am Max-Planck-Institut in Heidelberg als auch in den Reinraum- und Umweltlabors der Firmen Hensoldt und Carl Zeiss in Oberkochen geprüft.
Wie die übrigen Komponenten des Weltraumteleskops sind die mechanischen Teile so ausgelegt, dass sie mindestens fünf, normalerweise aber zehn Jahre ihren Dienst tun. So lange würde der für Bahnkorrekturen nötige Treibstoff an Bord reichen.
Dem Start des James-Webb-Weltraumteleskops ging eine recht turbulente Geschichte voraus. Nachdem Ende der 80er Jahre erstmals die Idee eines solchen Teleskops aufgekommen war, begannen Mitte der 90er Entwicklung und Bau des anfangs noch Next Generation Space Telescope (Weltraumteleskop der nächsten Generation) genannten Observatoriums. Immer wieder verzögerte sich die Entwicklung - die ursprünglich auf rund 500 Millionen Dollar geschätzten Kosten explodierten. Am Ende sind es rund 10 Milliarden geworden.
Schon 2007 hatte das Teleskop starten sollen, aber wegen der aufwendigen Tests verschob sich der Start wiederholt. 2011, drei Jahre vor dem nächsten geplanten Termin, stand das Projekt wegen seiner Kosten sogar komplett auf der Kippe. Der Wissenschaftsausschuss des US-Parlaments empfahl, das Projekt zu stoppen. Auch diese Klippe umschiffte das Gemeinschaftsunternehmen von Nasa und den Raumfahrtagenturen Kanadas CSA und Westeuropas ESA.
Danach gab es eine Kontroverse um den Namen. Webb, der zweite Direktor in der Geschichte der Nasa, sei kein geeigneter Namenspate, kritisierten viele Wissenschaftler. Schließlich habe die Nasa damals noch Mitarbeiter entlassen, wenn sie verdächtigt wurden, schwul zu sein. Der aktuelle Nasa-Chef Bill Nelson lehnte ab.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.