Ohne Rücksicht auf Verluste

Bernd Greiner erinnert daran, was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben - ein aktuelles Lehrstück

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Buch dieses Titels in einem großen deutschen Verlag hätte man sich vor Jahren noch nicht vorstellen können. Zu groß blieb im Westen Deutschlands die Anhänglichkeit an die einstige Schutzmacht USA, verbunden mit Dankbarkeit für »Rosinenbomber« und Marshall-Plan, an dem vor allem US-amerikanische Eliten verdienten und der vor allem eines versprach: geopolitischen Gewinn. Denn die deutsch-deutsche Grenze ist bekanntlich Demarkationslinie im Kalten Krieg gewesen.

Mit dem Wirtschaftswunderland BRD vor Augen zog es viele DDR-Bürger gen Westen, und letztlich ist der ganze sozialistische Staatenverbund unter den Bedingungen des Wettrüstens an mangelnder Arbeitsproduktivität gescheitert. Damit hätte sich zugleich eine Chance für mehr Frieden in der Welt geboten, wie es viele Menschen zusammen mit Michail Gorbatschow getreu seiner Losung »neues Denken im Atomzeitalter« gehofft hatten. Doch »obwohl die Sicherheit des Westens weniger denn je bedroht war, legten die USA ihre Instrumente zur Abwehr realer oder imaginärer Bedrohungen nicht aus der Hand«, stellt Bernd Greiner fest. Im Gegenteil: Man holte sich wieder einmal die fortgeschrittenste Waffentechnik und forcierte sogar die Ausweitung der Nato.» Wie hätte der militärisch-industrielle Komplex auch auf seine Profite verzichten sollen. Wie hätte man nicht versuchen sollen, den Sieg im Kalten Krieg bis zu Ende auszukosten, indem man dem einstigen Gegner alle früheren Verbündeten abspenstig zu machen suchte.

Die Welt wurde nicht friedlicher, im Gegenteil. Vielerorts flammten Konflikte auf, die Erde schien von Brandherden überzogen. Wie passt das mit dem Selbstbild der USA zusammen, Ordnungsmacht für die ganze Welt zu sein? Nach dem Motto «Gott hat einen Plan für die Welt und die USA setzen ihn unter seiner Aufsicht um», wurde das Land zu einem Weltgendarm «zwischen Allmachtsphantasien und Ohnmachtsphobie», angeblich berechtigt, dort einzugreifen, wo eine Ordnung, sprich: US-amerikanische Interessen« in Gefahr geraten könnten.

Auf geradezu spannende Weise erzählt Bernd Greiner, Historiker, Politikwissenschaftler und Germanist, von den Tagträumen des Pentagon, mittels Nuklearwaffen die ganze Welt zu beherrschen und auch von den fatalen Missverständnissen, die im konkreten Fall zu einem Atomkrieg hätten führen können. Und er enthüllt die Machenschaften der CIA, die allein zwischen 1948 und 1963 an die 500 Geheimoperationen durchführte, um Staaten zu destabilisieren und Umstürze zu provozieren.

Man erinnere sich an die Einmischung in Guatemala und auf Kuba, später in zahlreichen anderen lateinamerikanischen Ländern, etwa beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten der Unidad Popular, Salvador Allende in Chile. Und an die zwischen 1966 und 1968 auf Vietnam abgeworfenen 2 865 808 Tonnen Bomben; 626 000 Zivilisten starben im Vietnamkrieg, hinzu kamen 726 000 getötete Soldaten.

»Washington wusste, dass der Krieg in Vietnam nicht zu gewinnen war und führte ihn trotzdem weiter - weil man sich wider besseres Wissen einredete, Widerspenstige zähmen zu können, und vor allem, weil man mit aller Macht den Eindruck vermeiden wollte, auf der Verliererstraße zu sein.« Das ist nun aber angesichts vieler gescheiterter Versuche, auf diese oder jene Weise in anderen Ländern zu intervenieren, offensichtlich geworden. Der Plan, eine »Neue Weltordnung« unter Führung der USA zu etablieren, kann als gescheitert betrachtet werden. Was man im Großen und Ganzen weiß, wird von Bernd Greiner mit einer Menge aufschlussreicher Fakten unterfüttert.

Was man jenseits des Atlantik am meisten fürchtete, war eine deutsch-russische Verständigung im Geiste von »Rapallo«. Die Balkankriege, die Einmischung in Irak, der Einmarsch in Afghanistan - »verbrannte Erde«, so Bernd Greiner, haben die USA überall hinterlassen, wo sie zugange waren. Russland und China zu übertrumpfen wird heute nicht mehr gelingen. »Aus der Zeit gefallen ist der engstirnige Nationalismus, eine ins Metaphysische aufgeblähte Vorstellung vom eigenen Auserwähltsein«, heißt es im Buch. »Die USA dürfen sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen alle Freiheiten nehmen und sind frei von der Verantwortung für die Folgen ihres Handelns.«

Dass Europa sich auf sich selbst besinnen muss, ist für Bernhard Greiner unstrittig, zumal es seit 250 Jahren »buchstäblich kein Jahrzehnt gibt, in dem die USA nicht Krieg geführt, Truppen in fremde Länder entsandt oder ihnen missliebige Regierungen gestürzt hätten. Warum? Weil Solidarität, verstanden als Teilen von Macht und Reichtum, einem in Washington geheiligten Verständnis von Freiheit zuwiderläuft.«

Bernd Greiner: Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben. C. H. Beck, 288 S., br., 16,95 €.

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