Nicht mit ausgestreckter Hand

Die erste Runde der Genfer Gespräche zwischen den USA und Russland endet ohne konkrete Ergebnisse

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Bevor es überhaupt losging, verpasste Sergej Rjabkow den ohnehin bescheidenen Hoffnungen auf eine Verständigung mit den USA einen kräftigen Dämpfer: Die Signale aus Washington und Brüssel im Vorfeld des Genfer Gipfels zur Ukrainekrise seien äußerst enttäuschend, erklärte der Verhandlungsführer der russischen Delegation vor seinem Abflug aus Moskau den russischen Nachrichtenagenturen Tass und Interfax. Russland werde vom Westen unter Druck gesetzt und bedroht. Er reise daher nicht mit »ausgestreckter Hand« nach Genf und schließe nicht aus, dass sich die Gespräche auf ein Treffen beschränken könnten, so der russische Vizeaußenminister am Sonntag.

Es sei »naiv«, auf einen Fortschritt bei den Gesprächen zu hoffen. Denn die USA hätten nicht verstanden, was Moskau benötige. »Und wir brauchen juristisch bindende Garantien, dass die Nato nicht weiter ausgeweitet wird sowie eine Liquidierung all dessen, was die Nato - getrieben von antirussischen Phobien und allen möglichen falschen Vorstellungen über den Kern der russischen Politik - seit 1997 angerichtet hat.« Er habe nicht vor, Washington Zugeständnisse zu machen. »Das ist völlig ausgeschlossen«, so Rjabkow. Die Nato solle »ihre Siebensachen packen« und sich zurückziehen.

Auch auf amerikanischer Seite machte man sich keine großen Hoffnungen auf einen Durchbruch bei dem Gipfeltreffen. Washington werde keine »festen Verpflichtungen« eingehen und messe den Gesprächen Sondierungscharakter zu, zitierte der Nachrichtensender CNBD am Sonnabend einen hochgestellten Beamten der Biden-Regierung. Eventuelle Verhandlungsfortschritte müssten zuvor in Washington geprüft und mit den europäischen Alliierten und Partnern sorgfältig erörtert werden.

Gleichwohl sei ein Fortschritt in einzelnen Aspekten nicht ausgeschlossen, erklärte US-Außenminister Antony Blinken einen Tag später. Die US-Regierung sei zu Gesprächen über eine Reduzierung der in Polen und dem Baltikum stationierten US-Truppen sowie eine Verringerung des Umfangs von Militärübungen in Osteuropa bereit. Allerdings müsse sich dafür auch Moskau bewegen und seine Truppen von der ukrainischen Grenze zurückziehen, berichtet der Fernsehsender NBC News. Zudem solle Russland über größere Truppenbewegungen und die geplante Verlegungen der nuklear bestückten Iskander-Raketen in der russischen Exklave Kaliningrad zwischen Polen und Litauen informieren. Auch könne man sich die Rückkehr zu dem vom früheren US-Präsidenten Donald Trump 2019 gekündigten INF-Vertrag über die Vernichtung von Kurz- und Mittelstreckenraketen vorstellen. »Es gibt einen Weg des Dialogs und der Diplomatie, um einige der Differenzen beizulegen und eine Konfrontation zu vermeiden«, erklärte US-Außenminister Blinken dem Nachrichtensender CNN. Beide Seiten müssten konkrete Maßnahmen unternehmen.

Der diplomatische Schlagabtausch ging dem Spitzentreffen von russischen und US-Unterhändlern voraus, welches an diesem Montag in Genf in der Schweiz begann. Grundlage der Gespräche, die auf US-Seite von Vizeaußenministerin Wendy Sherman geleitet werden, sind von Moskau geforderte Sicherheitsgarantien der Nato. Die weitreichenden Forderungen hatte das russische Außenministerium im Dezember des vergangenen Jahres nach dem wochenlangen Aufmarsch von etwa 100 000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine veröffentlicht. Kern des russischen Vertragsentwurfs: Die USA sollen die Errichtung von US-Militärstützpunkten in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stoppen, auf eine Osterweiterung des US-dominierten Verteidigungsbündnisses verzichten und Manöver im Kaukasus, Zentralasien und Osteuropa absagen. Weitere Staaten dürften in die Nato nicht aufgenommen werden. Die Forderung zielt in erster Linie auf die Ukraine - aber auch auf Georgien.

Die Umsetzung der Moskauer Pläne würde auf einen grundlegenden Umbau der bestehenden europäischen Sicherheitsarchitektur hinauslaufen und eine juristische Anerkennung der russischen Einflusssphäre im postsowjetischen Raum und Mittelosteuropa bedeuten. Washington und die Nato befürchten eine russische Invasion in der Ukraine und weisen die Vorschläge des Kremls zurück. Die freie Wahl des Bündnisses sei ein Recht jedes souveränen Staates, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am vergangenen Freitag. Es dürfe keine Nato-Mitglieder zweiter Klasse geben, welche die Allianz nicht verteidigen dürfe.

Die siebeneinhalbstündigen Gespräche hinter verschlossenen Türen am Montag blieben zunächst ohne konkrete Ergebnisse. Beide Seiten beharrten auf ihren Standpunkten. Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sagte dem russischen Staatsfernsehen zum Auftakt: »Die amerikanische Seite muss sich auf Kompromisse einstellen.« Russland habe klare Positionen auf höchster Ebene formuliert, von denen »nicht einfach mehr abgewichen werden kann«. Die US-Unterhändlerin, Vizeaußenministerin Wendy Sherman, twitterte : »Wir werden uns die russischen Belange anhören und unsere eigenen mitteilen, aber wir haben klargemacht, dass wir über die europäische Sicherheit nicht ohne unsere Alliierten und Partner diskutieren.«

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beschwor das westliche Bündnis, keine Zugeständnisse zu machen. »Der Kalte Krieg ist vorbei, Einflusssphären auch«, schrieb er auf Twitter.

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