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»Die letzte große Volksbewegung«
Geräusch und Amüsement: In Düsseldorf widmet sich die Ausstellung »Electro« der Musealisierung von Techno
Aus Clubs wurden Impfzentren, Raves und Partys fanden vor gefühlt ewigen Zeiten statt - vor der Corona-Pandemie. Doch im Track »Techno Pop« der Kling-Klang-Mensch-Maschine Kraftwerk von 1986 heißt es: »Es wird immer weitergehen / Musik als Träger von Ideen«.
Dies könnte das Motto der Ausstellung »Electro. Von Kraftwerk bis Techno« sein, die - in enger Zusammenarbeit mit Kraftwerk-Mitgründer Ralf Hütter entstanden - derzeit im Düsseldorfer Kunstpalast zu sehen ist. Anders gewichtet war diese Ausstellung bereits in Paris und London zu sehen: In der französischen Kapitale ging es um Daft Punk und French House, an der Themse um den »Second Summer of Love« Ende der 80er Jahre in England. In Düsseldorf werden Kraftwerk und der aus der Becher-Schule der hiesigen Kunstakademie hervorgegangene Fotograf Andreas Gursky in einem Heimspiel besonders gewürdigt.
Am Eingang grüßt ein großes Smiley, Zeichen der »Kommerzialisierung und des Ausverkaufs« (Westbam), des Amüsements und der Nostalgie, vor allem in Bezug auf die Acid-House-Welle Ende der 80er in England, als das gelbe Grinsgesicht zum semioffiziellen Maskottchen der jungen Tanzwütigen wurde; 2001 blitzte beim zweiten Detroit Electronic Music Festival auf einem Riesenscreen ein Smiley zusammen mit den Worten »Remember 1989?« auf.
Nach der Aufforderung »Smile, please!« folgt als Einstieg die Präsentation einer Zeitleiste der über 100-jährigen Historie elektronischer Klangerzeugung. 1913 veröffentlichte Luigi Russolo sein futuristisches Manifest »L’arte dei rumori« und forderte dazu auf, alle Geräusche als Musik zu betrachten, etwa das Brummen von Motoren oder das Kreischen von Motorsägen.
Das Theremin, eine Konstruktion des russischen Physikers Leon Theremin, war 1920 dank seiner Tragbarkeit und seines musikalischen Wohlklangs das erste elektronische Instrument, das von Musiker*innen gespielt werden konnte. Der deutsche Komponist Oskar Sala entwickelte in den 30er Jahren zusammen mit dem Ingenieur Friedrich Trautwein das Trautonium, einen Vorläufer des heutigen Synthesizers. Ab 1935 findet die Hammondorgel Verbreitung, und 1939 komponiert John Cage »Imaginary Landscape no. 1«, ein Stück für Klavier, Becken, Plattenspieler und elektronische Klänge.
Die Zeitleiste endet 2021 bei der Plattenveröffentlichung »AAI« (Anarchic Artificial Intelligence) der Soundtüftler von Mouse on Mars, ebenfalls aus dem Rheinland kommend. »AAI« basiert auf dem Denken dreier Black-Critique-Ikonen aus der Karibik: Kamau Brathwaite, Edouard Glissant und Sylvia Wynter.
Zur Illustrierung der Entwicklung elektronischer Musik werden allerlei Gerätschaften gezeigt, so etwa aus dem Keller des Westdeutschen Rundfunks Teile des einstigen Equipments des Komponisten Karl-Heinz Stockhausen aus dem legendären Studio für elektronische Musik. Stockhausen sagte einst zum Neubeginn der Musikproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg: »Die Städte sind radiert - und man kann von Grund auf neu anfangen, ohne Rücksicht auf Ruinen und geschmacklose Überreste.«
Unter der Überschrift »DE | HUMAN« wird im Katalog zur Ausstellung auf den Weg zum musikalischen Posthumanismus verwiesen, auf post- und transhumanistische Visionen, die laut Jürgen Habermas zur »Weltanschauung einer Sekte« gehören. Deren Apologeten erklären den Menschen selbst zum Störfaktor, der als »biologische Entität« überwunden werden müsse.
Mit Fotos, Filmen, Flyern und Plattencovern werden die Szenen der Hotspots der »elektronischen Volksmusik« (Kraftwerk) vorgestellt, die von den Kraftwerk-Musikern - so DJ Westbam in seinem Merve-Buch »Mix, Cuts & Scratches« (1997) - noch nicht durchgesetzt werden konnte. Dies sei erst mit der House- und Techno-Bewegung gelungen, »wo jeder seinen kleinen Sampler zu Hause hat und einen Dance-Track machen kann. Die letzte große Volksbewegung.«
Hierzu werden wir in der Ausstellung nach New York, Chicago, Detroit, nach England und Berlin geführt. Berlin sei dank der Love Parade sowie der Clubs Tresor, Watergate und Berghain die »Hauptstadt des Techno«. Das Berghain wird in Gestalt eines Architekturmodells des Künstlers Philip Topolovac als antiker Tempel und Sehnsuchtsort präsentiert. Die Themen »Mix & Remix« werden ebenso gewürdigt wie die »Schallplatte als heiliges Objekt« und Techno als Teil der queeren Kultur und Geschlechteridentität. Letzteres sieht der Ausstellungskurator Alain Biber als Beleg für das politische Moment der Clubkultur. Die Auseinandersetzung mit dem Problem, dass Amüsement mehr die Befreiung von Denken als von Negation ist, wird ausgeblendet.
Als heilige Objekte werden auch die Masken der beiden Musiker von Daft Punk gezeigt, jenes Duos, das sich im vergangenen Jahr auflöste. Laut ihrer eigenen Schilderung wurden Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter am 9. September 1999 zu »Robotern«. Seitdem trugen sie stets Roboter-Helme und eng anliegende Lederkleidung.
Was in der Ausstellung gänzlich fehlt, ist elektronische Musik aus Japan, die als Noise bezeichnet und von deutschen Pop-Philosophen fälschlicherweise als Ausdruck der Aggression erachtet wird. Die lebensgroßen Nachbildungen der Kraftwerk-Musiker über sich, gelangt man dann aus der eher kleinteiligen Ausstellungsarchitektur in einen großen Raum, den Ralf Hütter als 3D-Kraftwerk-Erlebnisraum gestaltet hat.
Ein größerer Raum wurde auch dem Fotografen Andreas Gursky für seine Fotos von Raves gewährt, die, weil sie groß sind, eben auch Platz benötigen. Bei Gurskys Aufnahmen, so schrieb bereits vor zehn Jahren die Kunsthistorikerin Maren Polte, gehe es lediglich um ornamentale, durch digitale Bearbeitung erzeugte Ordnungsstrukturen, ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung.
Die Besucher*innen werden außer im Kraftwerk-Raum mit Musik beschallt, die der französische DJ Laurent Garnier in elf Sets zusammengestellt hat. Einen Bonus-Track bietet die Ausstellung auch: Fotos von André Giesemann und Daniel Schulz, aufgenommen in der Tristesse leerer Clubräume nach einer durchtanzten Nacht. When the music’s over / Turn out the lights.
»Electro. Von Kraftwerk bis Techno«. Museum Kunstpalast, Düsseldorf, bis 15. Mai. Der Katalog kostet 24,80 €.
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