Am Ende der schwarzen Tage

Kasachische Behörden vermuten ausländische Terroristen hinter Unruhen

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Der junge Mann mit dem grün und blau geprügelten Gesicht wirkt eingeschüchtert. Er komme aus Kirgistan und sei arbeitslos, erzählt er stockend. Unbekannte hätten ihm für die Teilnahme an den Demonstrationen in Kasachstan rund 200 Dollar angeboten. Da habe er zugegriffen.

Die Szene mit dem angeblichen Terroristen aus dem Ausland stammt aus einem Video, welches das kasachische Staatsfernsehen am vergangenen Sonntag ausstrahlte und das im benachbarten Kirgistan einen Aufschrei der Empörung auslöste. Denn der angebliche Terrorist ist der bekannte kirgisische Jazzpianist Wikram Rusakonow. Tausende erkannten den Musiker, der oft durch Kasachstan tourt. Das Geständnis war offensichtlich unter Folter zustande gekommen. Die kirgisische Führung protestierte.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

So peinlich die Panne für die kasachische Propaganda auch ist: Die Anfang Januar ausgebrochenen Massenunruhen bezeichnet sie weiter als eine aus dem Ausland angezettelte Verschwörung. »Gegen unseren Staat wurde ein Terror-Krieg entfesselt«, behauptete Präsident Kassym-Schomart Tokajew, der am Dienstag seinen neuen Regierungschef Alichan Smajilow vom Parlament bestätigen ließ. »Dahinter stehen internationale Terroristen.« Dies hatten die Behörden auch zuvor behauptet, ohne allerdings Hintermänner oder wenigstens konkrete Länder zu benennen. Diese Lücke in der Propaganda wird nun geschlossen: Die Kämpfer seien aus benachbarten zentralasiatischen Staaten, Afghanistan und dem Nahen Osten eingesickert, sagte Präsident Tokajew am Montag während eines Gesprächs mit Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rats. Konkrete Belege blieb er allerdings auch diesmal schuldig.

Beobachter hegen erhebliche Zweifel an der offiziellen Erzählung. Tokajew wolle von den nicht abreißenden Gerüchten über einen Machtkampf in der Elite ablenken. Der kasachische Präsident habe die Eskalation der Proteste genutzt, um gegen den Clan seines einflussreichen Vorgängers Nursultan Nasarbajew vorzugehen. Die Angehörigen des Expräsidenten hätten sich dieser Version zufolge mit Händen und Füßen gewehrt - und die Eskalation der Proteste in der Wirtschaftsmetropole Almaty maßgeblich vorangetrieben. Sie stünden beispielsweise hinter dem Auftauchen der sogenannten Mambety. Die marodierenden Schlägerbanden vom Land hatten vor allem in Almaty für die zunehmende Gewalt bei den Protesten gesorgt.

Die angesehene Nachrichtenagentur Fergana.ru - die wichtigste russische Onlinezeitung für Zentralasien - verwies in diesem Zusammenhang vor allem auf die Hintergründe der Festnahme von Nasarbajews Geheimdienstchef Karim Massimow. Von den Medien zunächst unbeachtet sei zeitgleich nämlich auch dessen Stellvertreter General Samat Abisch festgenommen worden. Dieser sei der Neffe von Altpräsident Nasarbajew und der Bruder von Kairat Satybaldy, einem der reichsten Männer Kasachstans, der seine Karriere im Geheimdienst begonnen hatte. Satybaldy gelte als inoffizieller Führer der radikalen Muslime im kasachischen Süden und befehlige dort auch paramilitärische Einheiten, schreibt Fergana.ru. Kairat Satybaldy habe sich mit der Entmachtung seines Onkels nicht abfinden wollen. In Satybaldys Auftrag habe der in der kasachischen Unterwelt als »Wilder Arman« bekannt gewordene Mafiosi Arman Dschumageldijew Provokateure für die Teilnahme an den Protesten in der südostkasachischen Wirtschaftsmetropole bezahlt. Ähnliche Aussagen von Zeugen gibt es aus dem südkasachischen Schymkent.

Dass die anfangs friedlichen Demonstrationen von Kriminellen gekapert worden sein könnten, legt auch ein Bericht der russischen Menschenrechtsorganisation Gulagu.net nahe. Diese hatte unter Bezug auf eine Quelle im russischen Inlandsgeheimdienst FSB bereits am vergangenen Donnerstag gemeldet, dass aus kasachischen Gefängnisse Häftlinge entlassen worden seien, um die Proteste zu diskreditieren. Dieser Version zufolge gaben sie Präsident Tokajew erst den Anlass, um das russische OVKS-Bündnis zu Hilfe zu rufen.

Nach Angaben des kasachischen Innenministeriums vom Dienstag wurden bei den Unruhen etwa 9900 Menschen festgenommen, 17 Beamte getötet und insgesamt 1300 Kasachen verletzt. Über den Verbleib von Expräsident Nasarbajew, der seit Beginn der Proteste abgetaucht ist, ist weiterhin nichts bekannt.

»Die schwarzen Tage sind vorbei«, erklärte Präsident Tokajew am Dienstag vor dem Parlament. Die Friedenstruppen des OVKS hätten ihre Aufgaben erfüllt und die Ordnung wiederhergestellt. »In zwei Tagen beginnt der etappenweise Abzug«, meldete die staatliche kasachische Nachrichtenagentur Tengrinews. Tokajew kündigte weitgehende soziale und wirtschaftliche Reformen an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -