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  • Politik
  • Geflüchtete an der polnischen Grenze

»Die Menschen müssen aus dem Wald raus«

Nothilfekoordinatorin Frauke Ossig über den Rückzug von Ärzte ohne Grenzen aus dem polnischen Grenzgebiet

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Presse und Hilfsorganisationen dürfen das Gebiet an der polnischen Grenze zu Belarus seit Monaten nicht betreten. Ärzte ohne Grenzen hat sich in der vergangenen Woche aus dem Gebiet zurückgezogen. Ist Ihr Rückzug ein Zeichen von Resignation?
Es ist ein Zeichen dafür, dass wir die Menschen nicht erreichen, die unsere Unterstützung am notwendigsten brauchen. Die Zahl der Menschen, die die Grenze überqueren, ist durch die Militarisierung der Grenze und den Bau von Zäunen deutlich gesunken. Aber es gibt nach wie vor Menschen – darunter auch Kinder –, die die Grenze überqueren und sich im Waldgebiet aufhalten. Gefangen zwischen Grenzschützern auf der einen und der anderen Seite. Sie verstecken sich dort, aus Angst zurückgewiesen werden, ohne die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Diese Menschen brauchen unsere Hilfe, aber wir können sie nicht erreichen. Polen ist die Blockade gelungen. Es bleibt den Anwohnern vor Ort überlassen, Hilfe zu leisten.

Wie lief der Kontakt mit den polnischen Behörden?
Wir konnten mit den Behörden sprechen und erklären, warum wir den Zugang von unabhängigen Organisationen im Grenzgebiet für notwendig halten. Die Behörden sehen das anders.

Interview
Frauke Ossig

Frauke Ossig leitet seit sechs Jahren Notfallprojekte von Ärzte ohne Grenzen. Derzeit ist sie als Notfallkoordinatorin für Polen und Litauen zuständig, zuvor für das Seenotrettungsprojekt der Organisation im Mittelmeer und ein Nothilfeprojekt im Sudan. Ulrike Wagener sprach mit ihr über den Rückzug der Organisation aus der polnischen Grenzregion.

Warum ist das aus Ihrer Sicht notwendig?
Weil die Menschen sich nicht an die Behörden wenden, um Hilfe zu bekommen. Jemand, der krank oder verletzt im Wald ist und Hilfe braucht, läuft das Risiko, zurückgeschickt zu werden, wenn er sich an die Behörden wendet. Wir stellen nicht infrage, dass die Behörden medizinische Hilfe leisten würden, wenn sich jemand meldet. Aber es wird ignoriert, dass die Menschen sich bei den Behörden nicht melden.

Warum denn nicht?
Die Menschen haben Angst, zurück nach Belarus gedrängt zu werden – viele haben dort Gewalt erfahren – ohne Asyl oder internationalen Schutz in der EU beantragen zu können.

Sind diese Befürchtungen begründet?
Uns wurde von diversen Pingpong-Pushbacks berichtet, von Polen nach Belarus, von Belarus nach Polen. In Belarus wurden zurückgedrängte Menschen daran gehindert, nach Minsk weiterzureisen. Sie wurden quasi im Grenzgebiet blockiert. Wir haben von einigen Menschen Ausweisungsbescheide gesehen, die die polnischen Grenzschützer ausstellen. Unter anderem von einem Syrer, der ein Recht auf den Antrag auf internationalen Schutz haben sollte -– wie eigentlich jeder, der die Grenze überquert. Die Grundrechte der Menschen werden missachtet.

Wie geht es den Menschen vor Ort?
Viele zeigen erste Erfrierungserscheinungen, in ganz vielen Fällen Unterkühlungen, große Erschöpfungszustände. Die Menschen haben nicht genug Essen bei sich. Viele auch nicht genügend warme Kleidung oder Decken – bei Temperaturen die bis zu minus 10 Grad runtergehen. Dann gibt es einige Menschen mit Verletzungen. Die haben sie entweder in ihrem Heimatland erfahren, von Grenzschützern auf dem Weg oder bei der Überquerung des Stacheldrahtzaunes an der Grenze zu Polen. Wir haben im Wald einen Mann angetroffen, der seit Tagen eine ausgekugelte Schulter ertragen musste und nicht bereit war, ins Krankenhaus eingewiesen zu werden, aus Angst, dass er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus direkt nach Belarus zurückgedrängt wird.

Das polnische Gesetz erlaubt es, Asylsuchende über Jahre zu internieren. Nach Recherchen der ARD sind im Moment rund 2000 Menschen, die die Grenze über Belarus nach Polen überschritten haben, in Polen inhaftiert. Sie bleiben in Polen aktiv. Werden Sie die Menschen in den Gefängnissen behandeln können?
Wir haben im Moment keinen Plan, in den polnischen Gefangenenlagern zu arbeiten. Aber wir haben viele Gespräche mit anderen Organisationen geführt, weil wir glauben, dass es dort den Raum gibt, tätig zu werden.

Wie geht es nun weiter, müsste die EU oder Deutschland stärker eingreifen?
Wir sind keine Politiker, wir können keine politischen Lösungen schaffen. Wir können nur wiederholen: Nach wie vor befinden sich Menschen bei Minusgraden im Wald. Und diese Menschen müssen aus dem Wald raus. Das wird freiwillig aber nur passieren, wenn sie Zugang zu humanitärer Unterstützung haben – und zu fundamentalen Grundrechten.

Das Asylrecht wird an die Wand gestellt. Für Schutzsuchende ist es kaum noch möglich, legal in die EU zu gelangen

Wen sprechen Sie damit an?
Zunächst einmal die polnische Regierung. Aber auch die Europäische Union sollte dafür Sorge tragen, dass europäische Gesetze und europäische Asylmaßgaben beachtet und umgesetzt werden.

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