Mit dem Weltrechtsprinzip gegen Mörder und Folterknechte

Im sogenannten Al-Khatib-Prozess müssen sich erstmals Mitarbeiter des syrischen Staats für schwere Menschenrechtsverbrechen verantworten

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit April 2020 ermittelt das Koblenzer Oberlandesgericht (OLG) gegen zwei mutmaßliche Folterknechte im Dienste des syrischen Staats. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen schwere Menschenrechtsverbrechen vor. An diesem Donnerstag soll das Urteil gesprochen werden. Hauptangeklagter ist der Geheimdienstmitarbeiter Anwar R., der in Damaskus das Gefängnis Al-Khatib geleitet haben soll (daher »Al-Khatib-Prozess«). Die Verbrechen soll er zwischen April 2011 und September 2012 begangen haben: 4000 Folterfälle, 58-fachen Mord und einzelne Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Zeugen haben bestätigt, wie er selbst bei Folterungen anwesend gewesen sei. Er selbst hat die Vorwürfe zurückgewiesen, will das Urteil aber hinnehmen. Sollte er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe und er könnte frühestens nach 15 Jahren eine Haftentlassung auf Bewährung beantragen. Beim Berliner European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das den Prozess begleitet, geht man davon aus, dass der Angeklagte lebenslänglich bekommt.

Der Prozess ist ein Präzedenzfall, denn niemals zuvor mussten sich syrische Staatsfolterer vor einem Gericht ihren Taten stellen. Möglich wurde das durch die konsequente Anwendung des Prinzips der universellen Gerichtsbarkeit im Völkerstrafrecht, auch Weltrechtsprinzip genannt, das in das deutsche Recht übernommen wurde. Deutsche Gerichte können somit schwere Menschenrechtsverbrechen verfolgen, auch wenn diese von Ausländern in einem anderen Staat begangen werden.

Nach eigenen Aussagen unterstützt das ECCHR 17 Folterüberlebende, die teilweise schon vor Prozessbeginn beim Bundeskriminalamt ausgesagt haben. Sieben von ihnen seien Nebenkläger*innen im Al-Khatib-Verfahren und erhielten Rechtsbeistand durch das ECCHR. Wegen der äußerst mangelhaften Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts gab es vor und während des Prozesses immer wieder Kritik, obwohl die 800 000 Personen starke syrische Gemeinde in Deutschland ein großes Interesse an dem Verfahren hat. Das ECCHR warf dem OLG immer wieder Ignoranz gegenüber der arabischsprachigen Welt vor. Erst rund vier Monate nach Verhandlungsbeginn wurde arabischsprachigen Prozessbeobachtern eine Simultanübersetzung über Kopfhörer angeboten - nach einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht.

Menschenrechtsaktivisten und syrische Geflüchtete wie Wafa Mustafa sehen den Prozess als »ersten wichtigen Schritt« im Streben der Syrer nach Gerechtigkeit, wie die 31-Jährige der Nachrichtenagentur AFP sagte. Sie kämpft dafür, das Schicksal von in Gefängnissen Verschwundener aufzuklären. Mustafa ist selbst betroffen - ihr Vater verschwand 2013 nach seiner Festnahme.

Der international beachtete Koblenzer Prozess hatte mit zwei Angeklagten begonnen. Im Februar 2021 ist der Jüngere, der Syrer Eyad A., bereits zu viereinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. Der 45-Jährige hatte nach Überzeugung der Richter in Syrien 2011 dazu beigetragen, 30 Demonstranten des sogenannten Arabischen Frühlings ins Foltergefängnis des Hauptangeklagten zu bringen. Über die Revision von Eyad A. gegen sein Urteil ist noch nicht entschieden.

Am 19. Januar beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein weiterer Prozess zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien. Angeklagt ist ein syrischer Arzt, der Gefangene gefoltert und einen von ihnen vorsätzlich getötet haben soll. Auch in Österreich, Schweden, Norwegen und Spanien wurden mutmaßliche Verbrechen in Syrien angezeigt. Die spanische Justiz wies im Juli 2017 die Klage einer Syrerin gegen neun hohe Regierungsverantwortliche aus Damaskus zurück.

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