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  • Schulstreik in Frankreich

Die Lehrer werden von den Behörden alleingelassen

Gewerkschafterin Odile Cordelier über den Schulstreik in Frankreich gegen das Coronakrisenmanagement und die Solidarität der Eltern

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 6 Min.

In Frankreich fand am Donnerstag ein landesweiter Schulstreik gegen das Missmanagement der Behörden in der fünften Corona-Welle statt. Was macht den Streik so besonders?

Drei Viertel der Lehrer an Grundschulen und die Hälfte an Mittelschulen und Gymnasien nahmen teil. Etwa jede zweite Schule blieb geschlossen. Dies ist der größte Schulstreik seit 20 Jahren, und wir haben endlich wieder eine Einheitsfront aller Lehrergewerkschaften. Auch die größten Elternverbände erklärten sich solidarisch, selbst zahlreiche Schulinspektoren schlossen sich an. Es war aber nicht nur ein Streiktag, sondern es gab auch Demonstrationen in Paris und vielen Städten. Es handelt sich um soziale Proteste über den Schulbereich hinaus. Das fürchtet die Regierung ganz besonders, und das hatten wir seit langem nicht mehr. In den vergangenen Jahren ist das nur vergleichbar mit den Protesten gegen die Rentenreform.

Odile Cordelier
Daniel Maunoury
ist Vorstandsmitglied der größten französischen Lehrergewerkschaft SNES-FSU

Worauf konzentriert sich die Protestbewegung?

Es geht um die Unzufriedenheit unseres Berufsstandes im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie, aber auch um die unbefriedigende Lage des Schulsystems insgesamt. Es hat sich seit Ausbruch der Epidemie Anfang 2020 natürlich sehr viel angesammelt. Die meisten Lehrer haben ihr Bestes gegeben, um den Unterricht in welcher Form auch immer aufrechtzuerhalten, die Schüler zu fördern und vor Depressionen zu schützen. Das wurde von der Regierung und vor allem vom Bildungsminister nicht gebührend gewürdigt.

Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sagt: Man dürfe nicht gegen ein Virus streiken. Was erwidern Sie darauf?

Dies war kein Streik gegen das Virus, sondern gegen die Art und Weise, wie man im Bildungswesen darauf reagiert und die Lehrer alleinlässt. Aber es geht nicht nur um die Arbeitsbedingungen der Lehrer und der anderen Beschäftigten an den Schulen, sondern auch und vor allem um den Schutz der Schüler, damit diese keine körperlichen und psychischen Schäden davontragen und möglichst wenig Unterrichtsstoff versäumen.

Wie ist die aktuelle Lage?

Es ist empörend, dass wir erst am Vorabend vor Schulbeginn am 3. Januar nach den Weihnachtsferien per Mail über das epidemiologische Verhaltensprotokoll informiert wurden. Und die Regeln hinsichtlich Tests und Atemschutzmasken sowie zum Umgang mit Ansteckungs- und Kontaktfällen wurden in der folgenden Woche noch dreimal geändert. Gerade was bei den Tests vorgeschrieben wird, ist völlig lebensfremd und beim besten Willen nicht umsetzbar. Wir haben den Eindruck, dass da im Ministerium und in den Schulbehörden ständig nur improvisiert wird. Das ist unerträglich.

FKP-Nationalsekretär Fabien Roussel sagt, der Minister organisiere selbst das Chaos an den Schulen. Würden sie zustimmen?

Das ist natürlich sehr zugespitzt, aber durchaus zutreffend. Wie an den verschiedenen Schulen im Land mit der Epidemie und der ständig wechselnden Zahl angesteckter Schüler und Lehrer umgegangen wird, hängt stark vom Engagement der Verantwortlichen vor Ort ab. Von Ministerium und Schulbehörden der Departements und Regionen haben sie keine große Hilfe zu erwarten. Vor allem mangelt es an Vorausschau und Vorbeugung. Und die Regierung entscheidet, ohne die Lehrergewerkschaften und die Elternverbände zu konsultieren, deren Mitglieder die Lage am besten kennen und konkrete Vorstellungen haben, wie man damit am besten umgehen sollte. Das schafft viel Frustration.

Wie drückt sich das aus?

Chaos und Missmanagement hinterlassen bei Lehrern und anderen Beschäftigten an den Schulen eine tiefe Niedergeschlagenheit. Das erfasst aber auch schon die jüngsten Schüler, wenn sie erleben, wie ihre Eltern sich lange anstellen müssen, um die geforderten Tests durchzuführen zu lassen oder zu Hause selbst zu machen, soweit sie das nötige Material dafür überhaupt bekommen. Alles lastet auf den Schultern der Eltern und strapaziert ihren Geldbeutel, denn die Schulen sind schon materiell außerstande, die Schüler zu testen. Sie bekommen vom Ministerium weder Tests noch Atemschutzmasken. Bisher gab es nur ein paar Stoffmasken für die Lehrer. Ob die Schulen Masken für die Schüler bekommen, hängt von den Kommunen, Departements und Regionen ab, die für die Finanzierung zuständig sind. Da ist die Lage oft sehr unterschiedlich.

Was hat sich durch Corona an den Schulen womöglich längerfristig geändert?

Immer öfter leiden Schüler unter Panikzuständen und Depressionen, oder sie verzweifeln angesichts des versäumten und kaum noch aufzuholenden Unterrichtsstoffs und brechen die Schule ab. Darauf müssen wir uns einstellen, aber viele Lehrer sind darauf nur unzureichend vorbereitet. Diese Krise hat aber auch dazu geführt, dass viele Eltern eine ganz neue Sicht auf die Arbeit der Lehrer haben und würdigen, was diese leisten. Das berührt uns sehr, und so etwas vermissen wir seitens des Ministers.

Was würden Sie sich noch von ihm wünschen?

Die Schulbehörden in den Departements und Regionen haben von der Regierung in der Coronakrise keine zusätzlichen Mittel bekommen. Es wurde im Gegenteil weiter rationalisiert. So sind im Dezember wieder 450 Stellen für Lehrer an Mittelschulen und Gymnasien gestrichen worden, mit Hinweis auf die demografisch sinkende Schülerzahl. Seit 2018 wurden so schon 7500 Stellen liquidiert, statt die Zahl der Schüler pro Klasse zu senken und dadurch die Effizienz des Unterrichts zu verbessern. Eines der dringendsten Probleme, das sich unter den aktuellen Bedingungen besonders zugespitzt hat, ist der Mangel an Vertretungslehrern, die bei Erkrankung einspringen und dafür sorgen können, dass der Unterricht weitergeht und die Schüler keinen Stoff versäumen. Heute ist das leider nur zu oft der Fall. Wir fordern, dass man die künftigen Lehrer nach dem Studium ein Jahr praxisnah weiterbildet, mit Praktika an den Schulen und vor den Klassen. Heute werden sie ohne jegliche Praxiserfahrung in den Schulalltag geschickt und anfangs meist in die sozialen Problemviertel, wo die Arbeit besonders schwierig ist und aus denen sich die meisten Lehrer möglichst bald woandershin versetzen lassen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn viele junge Kollegen schon nach wenigen Monaten das Handtuch werfen und den Lehrerberuf aufgeben. Statt auf den Nachwuchs zu setzen und ihn zu unterstützen, greifen die Schulbehörden angesichts des Mangels an Lehrern heute lieber auf kürzlich Pensionierte zurück. Das zeugt nicht gerade von Vertrauen in die Zukunft.

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