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  • Eigentumsansprüche in Jerusalem

Palästinensischer Familie droht Räumung

Wegen unklarer Eigentumsansprüche sollen die Bewohner ihre Wohnung in Ost-Jerusalem verlassen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Scheich Jarrah ist ein beschaulicher arabischer Stadtteil im Osten von Jerusalem. Mitarbeiter*innen von Botschaften und internationalen Organisationen schätzen die Fußweite der Stadtzentren im Osten und im Westen. Doch in Ordnung ist die Welt hier nicht. Israelische Polizist*innen haben Stellung an den Zufahrtstraßen bezogen, sollen Demonstrant*innen fern halten.

Denn schon in wenigen Tagen - wann, das weiß niemand - soll eine elfköpfige arabische Familie ihr Zuhause verlieren; stattdessen wollen Israelis dort einziehen. Ein ganz normaler juristischer Streit um Eigentumsrechte sei das, sagen Sprecher*innen von Regierung und Stadtverwaltung unisono.

Anfang Dezember hatte der Stadtverordnete Yonatan Yosef den Räumungsbefehl persönlich vorbeigebracht; ein unüblicher Akt, denn Yosef ist zusammen mit dem stellvertretenden Bürgermeister Arijeh King derjenige, der die Besitzrechte am Haus beansprucht. Kurz vor Weihnachten besuchten dann der Gesandte der Europäischen Union in den Palästinensischen Gebieten, Sven Kuhn von Burgsdorff, und 22 Diplomat*innen die Familie und kritisierten die geplante Räumung, die übrigens kein Einzelfall ist: Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten im Jahr 2021 immerhin 317 Araber*innen ihre Häuser verlassen, wobei es allerdings in den meisten Fällen um nicht erteilte Baugenehmigungen ging, die in Ost-Jerusalem extrem schwer zu beschaffen sind.

Krieg zwischen Israel und der Hamas

Vor acht Monaten hatten rechte israelische Organisationen versucht, vor Israels Oberstem Gerichtshof die Räumung von 13 Häusern mit 58 Bewohner*innen in Scheich Jarrah durchzusetzen. Ausschreitungen in Ost-Jerusalem waren die Folge, und die Hamas, die den Gazastreifen regiert, nutzte das Schweigen der offiziellen palästinensischen Führung dazu, Israels Regierung ein Ultimatum zu stellen und ein tagelanges Raketenfeuer auf den israelischen Süden zu beginnen. Am Ende vertagte sich das Gericht dann um 30 Tage, es kehrte Ruhe ein - vorläufig.

Denn hinter den Kulissen ging das Ringen weiter. Eine Vielzahl von rechten israelischen Organisationen, die oft auch nur für kurze Zeit existieren, versucht schon seit den 70er Jahren, den 1967 durch Israel besetzten und dann später einseitig annektierten Osten der Stadt mit Israelis zu besiedeln. Und Scheich Jarrah, das zwischen West-Jerusalem und dem Gelände der Hebräischen Universität liegt, bis 1967 eine israelische Exklave, ist für sie besonders attraktiv. Die Grundstücke sind viel wert, die Lage strategisch günstig. Zusammen mit dem Westteil der Stadt würde sich eine Art Riegel zwischen das Zentrum von Ost-Jerusalem und die Ausfallstraßen in den Norden des Westjordanlands und damit auch die Palästinensischen Autonomiegebiete schieben.

Auf dem Papier sehen die Dinge dabei ganz simpel aus: Seit den 30er Jahren wurden, bedingt durch Kriege und Unruhen, Araber*innen und Jüd*innen gleichermaßen aus ihren Häusern vertrieben und ließen sich in Häusern nieder, deren Bewohner*innen ebenfalls vertrieben worden waren. Die juristische Haltung der israelischen, jordanischen und ägyptischen Regierung war einhellig, aber sehr kurz gesagt, dass das Haus trotzdem denjenigen gehört, die es rechtmäßig erworben haben. Und die Häuser in Scheich Jarrah waren, das ist unumstritten, ursprünglich in jüdischem Besitz.

Kompromissvorschlag des Gerichtshofs

Nur sind es nun nach über 70 Jahren sehr oft nicht mehr die ursprünglichen Besitzer*innen, die ihre Rechte geltend machen, sondern Personen wie King und Yosef, die behaupten, die Besitzrechte erworben zu haben, oder anonyme Organisationen, die sich von im Ausland lebenden Nachkommen der ursprünglichen Besitzer*innen für wenig Geld eine Klagevollmacht ausstellen lassen.

Schon seit Jahren mahnen die Richter*innen des Obersten Gerichtshofs eine Gesetzesänderung an: Es sei nicht zumutbar, Menschen nach Jahrzehnten aus Häusern zu vertreiben, an denen die ursprünglichen Besitzer*innen und deren Nachkommen offensichtlich kein Interesse mehr hätten, heißt es in einer Urteilsbegründung von 2020. Doch die Regierung hat daran kein Interesse und will die Rechten in der Koalition nicht vergrätzen. Der Oberste Gerichtshof versuchte sich deshalb im Oktober mit einem Kompromissvorschlag aus der misslichen Lage zu befreien: Die arabischen Bewohner*innen sollten die Besitzrechte anerkennen und ein 15-jähriges Nutzungsrecht eingeräumt bekommen gegen Zahlung von umgerechnet 432 Euro im Jahr. Wie viele der beklagten Haushalte akzeptiert haben, ist unbekannt.

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