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Stress in der Tiefe
Narwale belastet der Lärm von Schiffen und Erkundungsgeräten im Meer
Narwale haben die Fantasie der Menschen schon immer angeregt. Ihr schraubenförmig gedrehter Stoßzahn wurde einst als angeblicher Einhorn-Stoßzahn gehandelt. Wozu die Meeressäuger diesen bis zu 2,50 Meter langen Zahn überhaupt haben, blieb lange rätselhaft. Das Leben dieser Walart zu erforschen ist auch heute noch eine Herausforderung, denn sie leben in ziemlich schwer zugänglichen Gegenden der Arktis am Rande des Polareises. Einen großen Teil ihres Lebens verbringen sie in den Tiefen des Meeres, wo sie bis zu 1800 Meter tief tauchen.
Das durch die Klimaänderungen weichende Meereseis verändert jedoch nicht nur ihr Jagdrevier, es erleichtert auch den Zugang zu den arktischen Gewässern - und die Suche nach Rohstoffen am Meeresboden. Bei der Suche nach Rohstoffen werden Luftkanonen im Wasser abgefeuert, um mit den reflektierten Schallwellen Informationen über die Tiefen des Ozeanbodens zu gewinnen. Auch Kreuzfahrtschiffe finden zunehmend den Weg in die Arktis, um Touristen »die ungestörte Natur« der Arktis zu zeigen. Und die Schiffsmotoren produzieren Lärm, den es vorher nicht gab im Arktischen Ozean.
Zwei Biologen der Universitäten von Nuuk (Grönland) und Kopenhagen, Mads Peter Heide-Jørgensen und Outi Tervo, stellten sich die Frage, wie die Narwale auf diese Veränderungen reagieren würden, und fingen 2017 und 2018 eine größere Anzahl Wale in der Nähe von Ittoqqortoormiit (Scoresbysund), der am nördlichsten gelegenen Siedlung in Ostgrönland. Sie setzten ihnen Satellitensender auf den Rücken, um ihr Tauch- und Fressverhalten zu verfolgen. Die Sender blieben zwischen einer Woche und mehreren Monaten an den Tieren und wurden dann von Fischern wieder eingesammelt, die diese anhand der ausgesendeten GPS-Positionsangabe wieder aufspüren konnten.
Die Sender lieferten eine Vielzahl von Daten über die einzelnen Tiere. Das reicht von Informationen über den Herzschlag über die Tauchtiefe und -dauer bis zur Zahl der Bewegungen der Schwanzflosse und ob sie auf dem Bauch oder dem Rücken schwammen. Die im Sekundentakt erfassten Daten wurden von der Mathematikerin Susanne Ditlevsen von der Uni Kopenhagen ausgewertet. Für die Fahrt nach Ittoqqortoormiit konnten die Biologen ein Schiff der dänischen Marine nutzen, die »Lauge Koch«. Das Schiff nahm auch am Messprogramm teil. An Bord befand sich eine Luftkanone, die der der industriellen Erkundungsschiffe ähnelte, aber schwächer war. Ihre Schüsse sowie die Geräusche der Schiffsschraube wurden von den Sendern auf dem Rücken der Tiere registriert. Deren Messgeräte konnten diese Geräusche über eine Distanz von höchstens zehn Kilometern empfangen. Doch zur Überraschung der Forscher reagierten die Narwale bereits auf 40 Kilometer entfernte Lärmquellen.
Die Reaktion der Tiere war immer gleich: Sie hörten auf, nach Futter zu tauchen und ihre Klicklaute auszustoßen, mit deren Hilfe sie Beute aufspüren. Die Wale reagierten deutlich gestresst und strebten der Küste zu, um in flacheren Gewässern auszuharren, bis die vermutete Gefahr vorbeigezogen war. In dieser Zeit fraßen sie nicht. Die mangelnde Nahrungsaufnahme beeinflusste ihre Gesundheit sowie Reproduktionsfähigkeit.
Wichtig bei der Auswertung der Daten war die Unterscheidung natürlicher und menschengemachter Geräusche. Eisbewegung und das Kalben von Gletschern verursachen ebenfalls Lärm, auf den die Wale jedoch nicht reagieren. Anliegen der Forscher ist es, die grönländische und kanadische Regierung zu Abstands- und Schutzzonen zu beraten.
Ähnliche Probleme traten auch bei anderen Walarten auf. Vielerorts, wo Wale in Küstennähe beobachtet werden können, sind Walbeobachtungsschiffe ein wichtiger Teil der Tourismusindustrie. So auch auf Teneriffa, wo der Kurzflossen-Grindwal häufig vorkommt. Ein Team der Universität von La Laguna unter Leitung von Patricia Arranz untersuchte, ob Schiffe mit Verbrennungsmotoren einen anderen Einfluss auf das Verhalten der Grindwale haben als solche mit Elektromotor. Die Behörden von Teneriffa haben zwar eine Richtlinie erlassen, wie dicht ein Schiff sich Walen nähern darf, aber nicht, welcher Antrieb benutzt werden darf.
Die Forscher fanden heraus, dass die Ruhepausen der Wale, denen sich Boote mit Verbrennungsmotor näherten, nahezu ein Drittel kürzer waren als ohne Störung. Noch größer war der Unterschied im Verhalten bei Ruhe bzw. Motorenlärm in Situationen, wo Muttertiere ihre Kälber säugten. Der Lärm verkürzte die Fütterungszeit um 80 Prozent. Hingegen konnten die Forscher keinen Unterschied registrieren, wenn die Boote mit Elektromotoren ausgestattet waren. Ihre Empfehlung an die spanischen Behörden ist es daher, schnellstens die Richtlinien zu ändern, um den Walen ein ungestörteres Leben zu ermöglichen. Lärmgeplagte Großstadtbewohner sollten sich bei der Wahl eines Bootes zur Walbeobachtung auf ihre eigenen stressigen Erfahrungen besinnen.
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