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Letzte Rettung Merz
Warum die hohe Zustimmung für Friedrich Merz auf dem CDU-Parteitag kein Signal von Geschlossenheit ist
Da überwältigten selbst diesen sonst so kühlen Machtmenschen auf einmal die Gefühle: Als Friedrich Merz am Samstag auf dem Online-Parteitag der CDU mit 94,6 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde, kullerten ihm die Tränen übers Gesicht. »Ich bin tief bewegt und beeindruckt von diesem Wahlergebnis«, rang er am Rednerpult im Konrad-Adenauer-Haus um Worte, fand seine gewohnte Contenance aber schnell wieder: »Mit Kraft und Herz zugleich« wolle er die Arbeit angehen.
Nach zwei gescheiterten Versuchen, Parteivorsitzender zu werden, ist Merz nun im dritten Anlauf am Ziel – und wie. Mit einer so hohen Zustimmung hatte der Sauerländer, der sich im Dezember zunächst in einer Urwahl gegen Helge Braun und Norbert Röttgen klar durchgesetzt hatte, selbst nicht gerechnet. Die Emotionen wirkten ehrlich, sie zeugen aber auch von den enormen Widerständen, denen Merz zuvor begegnet war. Dass er nun trotzdem ganz oben angekommen ist, hat wohl weniger mit ihm selbst zu tun als vielmehr mit einer CDU, die nach ihrem desaströsen Ergebnis bei der Bundestagswahl den ehemaligen Blackrock-Lobbyisten als letzte Rettung begreift.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Ein iPad für Laschet
Nach einem turbulenten Jahr 2021, geprägt vom Hadern mit der Profillosigkeit ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet, dem ewigen Zank mit Markus Söder und der CSU, der ständigen Durchstecherei vertraulicher Informationen an die Presse wollen die Christdemokraten nun vor allem eines: Ruhe. Und so gestaltete sich der Parteitag, zumindest oberflächlich betrachtet, ziemlich harmonisch: Merz schenkte Laschet zum Abschied ein iPad, später meldete sich Söder mit vielen freundschaftlichen Worten aus Nürnberg. »Wir haben Fehler gemacht, es gab Verletzungen. Die müssen heilen, um in Zukunft wieder erfolgreich zu sein«, sagte der bayerische Ministerpräsident, natürlich vor weiß-blauem Hintergrund: »Es ist bedauerlich, dass es uns gemeinsam nicht so gelungen ist. Das tut uns leid und das tut mir leid.«
Interessant: Söder verortete die Union in seinem kurzen Grußwort als »bürgerlich«, und zwar als Kontrapunkt zu »links«, womit er hauptsächlich die Ampel-Koalition meinte. Der CSU-Chef propagierte »gesunden Menschenverstand statt ideologischen Erziehungseifer«, klagte über »die Drogenfreigabe«, über »manches Gendern, was da diskutiert wird« und »andere neue Familienbilder«. Über die AfD verlor er nicht ein Wort.
Kein Zweifel: Merz ist die Hoffnung all jener in der Union, die sich eine Rückkehr zu den konservativen Wurzeln wünschen, die sie unter Angela Merkel sträflich vernachlässigt sahen. Klar ist aber auch, dass es immer noch viele Merkel-Fans in der CDU gibt, die Merz nun nachhaltig überzeugen muss.
Und so versuchte der neue Parteichef in seiner Bewerbungsrede, den ganz großen Bogen zu spannen: »Wir spielen die gesellschaftlichen Gruppen nicht gegeneinander aus, wir führen zusammen«, sagte er, bewusst zu vermeiden versuchend, einseitig als Vertreter der Wirtschaftsliberalen wahrgenommen zu werden: »Die Sozialpolitik ist nicht der Reparaturbetrieb des Kapitalismus. Das Soziale ist konstitutiver Bestandteil unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.« Nach zwei gescheiterten Kandidaturen hat Merz erkannt, dass es nicht reicht, sich im Polohemd als Privatpilot zu inszenieren. Wie die »Merkelianer« nach dem Scheitern von Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet, also ihres eigenen Personals, nun Merz aus der Not heraus ins Amt heben, hat Merz das Soziale aus der Not heraus entdeckt. Auch weiß er, dass die Union bei der Wahl vor allem, wie Söder sagen würde, nach »links« verloren hat: 1,5 Millionen Stimmen an die SPD, eine Million an die Grünen.
Und: Merz weiß, dass die CDU Kontrapunkte zu seiner Person braucht. Jüngere, weibliche Sidekicks. Er wünschte sich eine Vertreterin der Jungen Union im CDU-Präsidium, und er bekam sie: Ronja Kemmer, 32-jährige Bundestagsabgeordnete aus Ulm. Dafür scheiterte ausgerechnet die Vorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, die seit Jahren Verfechterin einer in der CDU umstrittenen 50-prozentigen Frauenquote bei Parteiämtern ist. Gewiss, es sind unterschiedliche und teils widersprüchliche Signale, die von diesem Parteitag ausgehen.
Spahn knapp drin, Karliczek scheitert
Bemerkenswert: Ex-Minister Jens Spahn schaffte es nur ganz knapp ins Präsidium, während die frühere Bildungsministerin Anja Karliczek im Rennen um einen Platz im Bundesvorstand scheiterte. Es schien, als wollten einige Delegierte mit der alten Bundesregierung abrechnen – wenige Tage, nachdem Angela Merkel eine Einladung ihres ewigen Widersachers Merz zum Dinner aus »terminlichen Gründen« abgesagt hatte.
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