Gute Tarnung ist alles. Schlechte geht so

IT-Expertin beschäftigt Geheimdienst und klärt eine mutmaßliche Tarnbehörde des Verfassungsschutzes auf

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit einigen Wochen beschäftigt der »Bundesservice Telekommunikation« das Bundesinnenministerium BMI und die Pressesprecher der Bundesregierung. Das Bemerkenswerte daran: Diese Behörde gibt es angeblich nicht. Mal mehr, mal weniger ambitioniert mauerten die angefragten Sprecher*innen der Bundesregierung und leugneten in den vergangenen Tagen sogar die Existenz der Behörde.

IT-Expertin Lilith Wittmann, die im vergangenen Jahr bereits eine Sicherheitslücke in der CDU-Wahlkampfsoftware entdeckt und auf ungeschützte Daten von Bürger*innen hingewiesen hatte, hat sich auf die digitale Spurensuche rund um den dann doch erstaunlich realen »Bundesservice Telekommunikation«, kurz BST, begeben.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Spuren gibt es seit mehr als zehn Jahren. Das Internetportal »Frag den Staat« befasst sich mit Informationsfreiheitsgesetzen und sichtet dazu auch digitale und öffentlich verfügbare Daten. Wittmann fragte an und konnte so herausfinden, dass schon im Jahr 2011 die Bezeichnung auf der Seite »service.bund.de« zu finden war. Dort sind 955 Behörden des Bundes gelistet. Der BST war mit einer Adresse im Berliner Stadtteil Treptow vertreten.

Wenige Kilometer entfernt, in Berlin-Mitte, befasste sich im Bundestag die Linksfraktion mit dem BST. Die Abgeordnete Heidi Reichinnek wollte im Dezember wissen, welche Gelder in den zu dieser Zeit noch auffindbaren BST geflossen sind. Im Bundeshaushalt der vergangenen zwei Jahre wurde sie nicht fündig. Aus dem Bundesinnenministerium antwortete ihr Staatssekretär Hans-Georg Engelke knapp: »Einem ›Bundesservice Telekommunikation‹ (BST) sind in den letzten fünf Jahren keine Gelder zugewiesen worden.« Angeblich habe es auch niemals Gelder für einen solchen Dienst gegeben. Der Existenz widersprach Engelke jedoch nicht ausdrücklich.

Wäre da nicht die Realität

Ein Dienst mit Internetauftritten, gelistet in Verzeichnissen des Bundes und sogar mit einer angemieteten Liegenschaft in der »Heidelberger Straße« in Treptow. Längst interessiert sich auch die Internetgemeinde für die Geschichte. Ein Twitter-Nutzer sendet ein Bild von Türschild und Klingel, die auf das BST hinweisen - und kurz darauf entfernt wurden. Nachfragen des »nd« zur Liegenschaft beim BMI blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch die Bundesregierung behauptet nun, es gäbe keine solche Behörde in ihrem Geschäftsbereich.

Lilith Wittmann gab sich mit dem vermeintlichen Scheitern nicht zufrieden. Die digitalen Spuren führen immer wieder in Sackgassen, die gleichzeitig jedoch die Existenz einer Tarndienststelle untermauern. So findet Wittmann, die ihre Recherchen umfassend im eigenen Blog am Montagabend veröffentlichte, über die IP-Adressen zum BST in Datenbanken weitere Hinweise. Dort wird für die Heidelberger Straße eine Außenstelle des BMI gelistet, die zu einer Abteilung Z2 Referat 7 gehören soll, die es im BMI ebenfalls weder gibt noch gab und zu der sich auf nd-Nachfrage weiterhin niemand äußerte.

Viele Wege führen nach Köln

Nicht zuletzt wegen der ganz offiziell in Treptow und kaum einen Kilometer von der Heidelberger Straße entfernt angesiedelten Dienststelle des Verfassungsschutzes liegt der Verdacht nahe, einer Tarnbehörde auf der Spur zu sein. Deren Existenz dürfte sogar ganz legal durch die Regierung geleugnet werden. Wittmann prüft Datenbankeinträge der Internetseiten des Verfassungsschutzes und des BMI. Dabei stößt sie auf die dort hinterlegten angeblichen Außenstellen des BMI in Köln und Berlin-Treptow. Orte, an denen es offiziell keine Standorte des Innenministeriums gibt. Wittmann will Klarheit und sendet an die Postfachadresse, die auch durch eine Sportgruppe des BMI genutzt wird, einen GPS-Tracker. Die Sendung mit dem nur wenige Euro kostenden Gerät landet zunächst im Postverteilerzentrum in Köln-Ehrenfeld. Das letzte Signal erreicht Wittmann dann vom Gelände der Merianstraße 100 in Köln-Chorweiler, dem Standort des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Die Twitter-Nutzer*innen griffen am Montag bereitwillig die Recherchen von Wittmann auf und fanden weitere Belege für ein angebliches »BMI Köln«. So verkauft der Zoll vom Standort Merianstraße 100 aus einen ehemaligen Dienstwagen, kann aber laut Angebotsbeschreibung »auf die Vollständigkeit des Fahrzeugzubehörs« keine Gewährleistung geben.

Lesen Sie auch über die aufgeflogene Tarndienststelle des BND den Artikel von Florian Brand »BND missbrauchte Geflüchtet als Informanten«

Der zweifelsfreie Beleg dafür, dass Wittmann die Enttarnung einer Dienststelle des Verfassungsschutzes gelungen ist, kann letztlich nur durch Bestätigung der Bundesregierung erfolgen. Selbst wenn auf »Service.Bund.de« nur der Verfassungsschutz in der Merianstraße 100 gelistet ist. Doch der will zu weiteren Behörden auf dem Gelände nur schriftlich reagieren. Die Bundesregierung äußere sich »aus ganz grundsätzlichen Erwägungen ... zu Spekulationen über nachrichtendienstliche Bezüge nicht«. Man würde generell weder bestätigen noch dementieren. Ansprechpartner seien die parlamentarischen Gremien. Doch auch die dürfen nichts dazu sagen.

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