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- Mietenwahnsinn in Berlin
Gemeinsamer Kampf ums Vorkaufsrecht
Bündnis errechnet: Erzwungene Umzüge kosten Berliner Mieter jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag
Die drei größten Städte der Republik, Berlin, Hamburg und München, wollen nun gemeinsam für eine Rückkehr des gemeindlichen Vorkaufsrechts kämpfen. Das hat die Berliner Senatskanzlei am Mittwoch mitgeteilt. Den Städten ist mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom November 2021 mit dem Ende der bisherigen Vorkaufsrechtspraxis in Milieuschutzgebieten ein scharfes Schwert aus der Hand geschlagen worden. Doch die für eine nötige Änderung des Bundesbaugesetzbuchs zuständige Ampel-Koalition im Bund konnte sich auf Betreiben der FDP nur auf einen »Prüfauftrag« dazu einigen.
»Überall dort, wo die Wohnungsmärkte angespannt sind, brauchen wir wirksame und rechtssichere Instrumente zum Schutz von Mieterinnen und Mietern. Deshalb machen wir uns gemeinsam auf den Weg und werben beim Bund sowie den anderen Ländern dafür, hier die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen«, kündigt die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) an.
Der Mietenwahnsinn und die damit einhergehende Verdrängung kostet allein die betroffenen Berliner Mieterinnen und Mieter jährlich rund 80 Millionen Euro. Eine entsprechende Berechnung hat das Bündnis Neues Vorkaufsrecht jetzt aus über 50 stadt- und mietenpolitischen Initiativen sowie Hausgemeinschaften vorgelegt. Umzugskosten, doppelte Mietzahlungen in der Umzugsphase, der Aufwand für Mieterberatungen, die Suche einer neuen Wohnung und dann mögliche längere Arbeitswege, möglicherweise nötige Psychotherapien und nicht zuletzt die höhere Miete in einer neuen Wohnung läppern sich demnach auf 6363 Euro pro Haushaltsmitglied im Umzugsjahr.
Laut einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts von 2017 sind berlinweit jährlich 4,1 Prozent der Umzüge innerhalb der Stadt auf Verdrängung zurückzuführen. Valide Zahlen zu Wohnungskündigungen liefert der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Laut Marktmonitor gab es 2019 bei fünf Prozent der knapp 730 000 Wohnungen - 44 Prozent des Berliner Gesamtbestands an Mietwohnungen - einen Mieterwechsel. Statistisch wären dort an die 3000 Menschen betroffen, was rechnerisch an die 19 Millionen Euro Mehrkosten im Umzugsjahr bedeuten würde. Allerdings sind im BBU vor allem begrenzt mietentreibende Genossenschaften und landeseigene Wohnungsunternehmen organisiert - neben Deutsche Wohnen und Vonovia.
Bei Privatvermietern ist die Fluktuation deutlich höher. Haus & Grund Berlin meldete für 2018 auf Basis einer Mitgliederumfrage eine durchschnittliche Mietdauer von nur acht Jahren. Nimmt man das als Basis für die restlichen 56 Prozent des Wohnungsbestands, würden noch einmal rund 39 Millionen Euro jährlich Zusatzkosten für verdrängte Haushalte hinzukommen. Dabei ist nicht mitgerechnet, dass die höhere Miete von angenommen 1,25 Euro pro Quadratmeter eine dauerhafte Last für die erzwungenen Umzüge bleibt.
»Es ist verdienstvoll, dass die Rechnung zu den Kosten der Verdrängung diese endlich sichtbar macht. Verdrängung macht arm und krank«, kommentiert Niklas Schenker, Mietenexperte der Linksfraktion, gegenüber »nd« die Berechnung der Initiative.
»Überhöhte Mieten durch überhöhte Kaufpreise führen zu Verdrängung und sozialer Spaltung«, konstatiert auch die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger. Das komme eine Stadt wie Berlin teuer zu stehen. »Dadurch wird nicht nur der Wirtschaftsstandort und die sowieso schon geringe Kaufkraft der Berliner*innen geschwächt, die öffentliche Hand, also die breite Gesellschaft muss sowohl die überhöhten Renditen bezahlen, als auch die teuren volkswirtschaftlichen und sozialen Schäden«, so Schmidberger weiter.
Die Linksfraktion im Bundestag macht Druck, dass die Reparatur schnell kommt. Am Freitag wird im Plenum über einen Antrag der Sozialisten für die »sofortige Wiederherstellung des Vorkaufsrechts« debattiert. »Die notwendige Gesetzesänderung darf nicht, wie vom Berliner Stadtentwicklungssenator angekündigt, noch ein bis zwei Jahre warten. Bis dahin sind viele Häuser längst verkauft«, erklärt Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag im Vorfeld.
Am Mittwoch hat das Bündnis Neues Vorkaufsrecht für dieses Anliegen in einem Gespräch mit der SPD-Bundestagsfraktion Druck gemacht. »Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorkaufsrecht hat Städten wie München, Berlin und Hamburg den Boden unter den Füßen weggezogen. Es droht der Verlust eines der wichtigsten Instrumente gegen den Ausverkauf der Städte«, räumt die SPD-Bundestagsabgeordnete Claudia Tausend auf nd-Anfrage ein und erklärt, froh zu sein, dass ihre Parteifreundin, Bundesbauministerin Klara Geywitz »bereits mit Hochdruck an einer Lösung arbeitet, den Kommunen wieder eine rechtssichere Ausübung ihres Vorkaufsrechtes zu ermöglichen«.
»Im Deutschen Bundestag setze ich mich dafür ein, dass wir schnell ein Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs einbringen, mit dem wir ein rechtssicheres und gerichtsfestes Vorkaufsrecht erreichen«, verspricht auch die Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram gegenüber »nd«. Die Grünen warnten schon lange davor, dass vermeintliche Investitionen von sogenannten Entwicklern das Gegenteil bedeuteten, ergänzt Landespolitikerin Schmidberger. »Das Bündnis macht zurecht die volkswirtschaftliche und soziale Rechnung für uns alle auf, das sollten auch CDU und FDP zur Kenntnis nehmen«, sagt sie.
Daniel Föst, Bau- und wohnungspolitischer der FDP-Fraktion im Bundestag, äußerte sich zunächst nicht auf nd-Anfrage.
Linke-Politiker Schenker fürchtet »eine neue Welle der Verdrängung«. Es sei gut, »dass die Linksfraktion an diesem Freitag im Bundestag über einen Antrag für ein neues Vorkaufsrecht abstimmen lässt«. Er fordert: »Die Ampel muss sich einen Ruck geben und dem zustimmen.«
»Das Vorkaufsrecht wirkt und ist ein wichtiges Instrument zur Sicherung bezahlbarer Mieten«, unterstreicht auch Sevim Aydin, die neue wohnungspolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus. Denn nicht nur die Vorkäufe selbst, sondern auch die geschlossenen Abwendungsvereinbarungen hätten Mieterinnen und Mieter in der Vergangenheit vor Verdrängung geschützt. »Ich erwarte vom Bund, dass er das Vorkaufsrecht schnell wieder rechtssicher macht, damit es den Gemeinden wieder zur Verfügung steht«, so Aydin weiter.
Das Bündnis Neues Vorkaufsrecht jetzt hat noch eine Rechnung aufgemacht, nämlich was die Mieterinnen und Mieter der Kampf um die Ausübung von Vorkaufsrechten volkswirtschaftlich kostet. Sie kommen auf 1512 Euro für den Zeitaufwand jedes Beteiligten für politische Arbeit, Hausversammlungen und Beratungen. Die Ausübung wurde 2020 von der Bezirken für 252 Häuser geprüft. Macht zusammen fast 23 Millionen Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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