• Berlin
  • Regierungserklärung der Berliner Regierenden Bürgermeisterin

Giffey gibt die Linie vor

In ihrer ersten Regierungserklärung sendet die Regierende Bürgermeisterin von Berlin soziale Signale

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit einer Regierungserklärung zu Beginn einer Legislatur wird der große Rahmen abgesteckt. Pläne, Vorhaben und Konzepte werden durch eine Regierung dargelegt, um Ziele zu verdeutlichen, die in den kommenden fünf Jahren erreicht werden sollen. Das ist alles natürlich nicht rechtlich verbindlich, aber politisch zeigt es, wo eine Regierung wie der neue rot-grün-rote Senat hinwill. Am Anfang setzte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am Donnerstag im Plenum des Abgeordnetenhauses ein Zeichen der Erinnerung angesichts des Gedenktages 27. Januars. Die SPD-Politikerin mahnte, niemals zu vergessen, welche Verbrechen, welches Leid von der NS-Diktatur ausgingen. »Eine Diktatur, die ihre Machtzentrale, in unserer Stadt hatte«, erinnerte Giffey.

Die Regierende zog in ihrer Rede eine große Linie vom Berlin der 1920er Jahre bis in die Gegenwart und die Zukunft. Es brauche Aufbruchswillen und Tatendrang. »Die Herausforderungen des Wohnungsbaus müssen wir heute wie damals meistern in einer wachsenden Stadt«, erklärte Giffey mit Blick auf die großen Bauprogramme, bei denen seinerzeit 160 000 neue Wohnungen errichtet wurden, die teilweise bis heute eine hohe Lebensqualität bieten. Bis 2030 hat sich Rot-Grün-Rot vorgenommen, ebenfalls 200 000 neue Wohnungen zu bauen, die zum Teil auch im unteren und mittleren Preissegment entstehen sollen. Für dieses Ziel soll sich an diesem Freitag auch erstmals ein großes Wohnungsbündnis treffen, in dem öffentliche, aber auch private Investoren und Genossenschaften im Roten Rathaus zusammenkommen wollen.

Erneut verband Giffey in ihrer Rede die Bildung des neuen rot-grün-roten Senats mit einem Zukunftsversprechen. Man wolle die »Zukunftshauptstadt« sozial, ökologisch und wirtschaftlich gestalten, hieß es. »Ich wünsche mir, dass die Wohnungen, die wir heute bauen, auch in 100 Jahren noch lebenswerte Quartiere sind.« Außerdem wünsche sie sich, dass die Menschen in fünf Jahren bei der nächsten Wahl sagen würden, dass der Senat geliefert habe.

Die Ziele will die SPD-Politikerin mit den Prinzipien der Gemeinsamkeit und der Partnerschaft verfolgen. Als inhaltliche Schwerpunkte zählte Giffey neben der »Chefinnensache« Wohnungspolitik, die Überwindung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen sowie die Aufstellung eines Doppelhaushaltes auf, der garantiert, dass der Senat auch in den kommenden Jahren viel Geld investieren könne. »Wir haben uns darauf verständigt, dass wir uns nicht aus der Krise heraussparen, sondern dass wir investieren.«

Auch für die Bereiche der inneren und der sozialen Sicherheit stellte Giffey Fortschritte in Aussicht. Neben der personellen Aufstockung der Polizei und der Ordnungsämter sprach Giffey in zeitlicher Nähe auch von der Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Auch an anderer Stelle ließ Giffey soziale Forderungen aufblitzen, etwas als sie im Zusammenhang der Wirtschaftsförderung auch die Einhaltung von fairen Arbeitsbedingungen und guten Löhnen einforderte. »Hip ist, wer sich gut um seine Leute kümmert«, so die Regierende, die in ihrer Ansprache auch häufig Bezug auf ihr Team von Senatorinnen und Senatoren nahm.

Naturgemäß schlägt bei Regierungserklärungen auch die Stunde der Opposition, für die solche Anlässe die Chancen zu einer quasi Generalabrechnung bietet. Der formale Oppositionsführer Kai Wegner von der CDU erklärte: »Was Sie, Frau Giffey, präsentiert haben, das ist kein Neuanfang, das ist kein Neustart, das ist ein quälendes Weiter-so.« Der Chef der CDU-Fraktion kritisierte, dass die Vorhaben von Rot-Grün-Rot »erschreckend ambitionslos« seien. Es gebe »keine verbindende Erzählung, kein gemeinsames Projekt«. Wegner zielte auch auf aktuelle Schwenks des Senats in der Test- und Quarantäne-Strategie zur Eindämmung der Corona-Pandemie ab, die er als »Chaos« einstufte. Im Hinblick auf das soziale »Topthema« soziale Wohnungspolitik sagte Wegner, dass die Koalitionsparteien beim Thema erfolgreicher Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen aufeinander zurasen würden wie zwei Güterzüge. Wegner erinnerte die Regierende auch daran, dass sie sich im Wahlkampf gegen die Enteignung von privaten Wohnungskonzernen ausgesprochen habe: »Was ihre rote Linien wert sind, wissen die Berlinerinnen und Berliner jetzt.«

Dass ausgerechnet der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Bauexperte Wegner sich als Verfechter eines sozialen Wohnungsbaus gerierte, brachte anschließend SPD-Fraktionschef Raed Saleh auf Betriebstemperatur. »Du warst einer der Köpfe, die jeden Schritt des Mieterschutzes im Bundestag verhindert haben - jahrelang«, betonte Saleh. »Da ruft der falsche Prophet«, sagte der SPD-Fraktionschef unter großem Applaus der Abgeordneten der Regierungsfraktionen.

Deutlich Position bezog ebenfalls die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Antje Kapek. Sie attackierte die AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker für ihre Ausführungen zur deutschen Geschichte. »Am 27. Januar als Vorsitzende einer rechtsextremen Partei das Leid und das Elend von sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden zu verhöhnen, ist widerlich«, sagte Kapek, sicherlich stellvertretend nicht nur im Namen der rot-grün-roten Koalitionsfraktionen. Kapek erinnerte auch an die humanitäre Verantwortung Berlins, Geflüchtete aufzunehmen.

Dass Berlins Weg aus der Coronakrise nur ein solidarischer sein könne, sagte auch die Fraktionschefin der Linken, Anne Helm. Die Krise haben insbesondere die Defizite im Öffentlichen Sektor aufgezeigt. Es sei deshalb richtig, dass sich Rot-Grün-Rot bereits Ende vergangenen Jahres zu einer Unterstützung der Beschäftigten im Krankenhauswesen durchringen konnte. »Es ist ein starkes Signal, dass sich diese Koalition für einen Entlastungstarifvertrag bei Charité und Vivantes eingesetzt hat«, so Helm.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!